Kommentar

Plötzlich sind die Zinsen zurück!

Wie die aktuelle Zinsentwicklung einzuschätzen ist, erklärt Dir unser Co-Gründer und Kapitalmarktexperte Robert Haselsteiner ausführlich in seiner Zinsprognose.

Zinsen werden oft als „der Preis für das Geld“ bezeichnet. Wollen Sparer Geld anlegen,
erwarten sie dafür einen Ertrag in Form von Habenzinsen. Will sich hingegen ein
potenzieller Kreditnehmer Geld borgen, so geht er natürlich davon aus, bestimmte
Kosten tragen zu müssen, in Form von Sollzinsen.

Dass Kreditzinsen höher sind als Sparzinsen, ist nur logisch: Die Banken übernehmen
ja die Aufgabe, Spargelder einzusammeln, um sie dann in Form von Krediten wieder
anderen Privatkunden oder Geschäftskunden zur Verfügung zu stellen.

Für diese Dienstleistung und das dazu gehörige Risikomanagement müssen Banken
bezahlt werden. Es ist auch einleuchtend, dass Bankkunden mehr Zinsen erhalten
oder auch bezahlen, je länger sie das Spargeld zur Verfügung stellen bzw. einen
Kredit in Anspruch nehmen. Denn je länger die Laufzeit ist, desto mehr kann
passieren. Dieses Risiko muss berücksichtigt und abgegolten werden.

Es ist nur fair und logisch, dass diese Regeln für Privatkunden, Unternehmen und
auch Staaten gleichermaßen gelten. Über Jahrhunderte war das die gelebte Praxis.

Die Krise nutzte den Staaten
Doch dann kam die globale Finanzkrise 2008, es folgte die Eurokrise 2012 – und die
weltweit führenden Notenbanken sahen sich nun gezwungen, die Leitzinsen und
damit den Preis für Geld immer weiter zu senken. Schließlich sollten so Konsum und
Investitionen gefördert werden. Nun passierte aber Folgendes: Die Leitzinsen waren
bei null angekommen, die Konjunktur blieb immer noch schwach und durch die
Pandemie brachen auch noch Nachfrage und Angebot in der Weltwirtschaft ein.

Also griffen die Notenbanken zu noch drastischeren Maßnahmen: Leitzinsen wurden
negativ und die Zentralbanken kauften mit neu gedrucktem Geld massenweise die
Anleihen ihrer Staaten auf, um auch die Zinsen für längere Laufzeiten gegen Null zu
drücken und damit Kredite extrem günstig und das Halten von Spargeldern extrem unattraktiv zu machen. Auf diese Weise sollte die Wirtschaft gestützt und die Unternehmen vor dem Kollaps gerettet werden. Und natürlich machten die Notenbanken es den eigenen Staaten damit leicht, neue Schulden aufzunehmen und die alten zu bedienen.

Sparer zahlten plötzlich drauf
Besonders skurril wurde die Situation in Deutschland: Sparer mussten plötzlich
Verwahrgeld für ihre Bankeinlagen zahlen, statt Zinsen zu bekommen. Und der
deutsche Staat kassierte plötzlich für die Aufnahme von neuen 10-jährigen Krediten
in Form von Bundesanleihen Zinsen vom Gläubiger. Der Staat verdiente also
plötzlich an seinen Schulden. Eine völlig absurde Situation, die es in 2000 Jahren
Finanzmarktgeschichte noch nie gegeben hat. Konsumenten, Firmen und Staaten
hatten also Zugriff auf Geld zum Nulltarif und griffen auch zu.

Die einen liehen sich Geld, um damit Immobilien zu immer höheren Preisen zu
kaufen. Die anderen kauften mit Krediten eigene Aktien zurück und trieben die Kurse
nach oben. Die Staaten begannen, wegen der Pandemie und der Energiepreise riesige
Rettungspakete zu verteilen, und nahmen dafür weitere Schulden auf. Am Ende
standen 2020 und 2021 eine massiv gestiegene Geldmenge einem stagnierenden
Angebot auf dem Gütermarkt gegenüber.

Und nun passierte das, was in einer solchen Konstellation immer passiert: Die Preise
für Produkte, für Dienstleistungen und für Arbeitskraft zogen deutlich an. Viel Geld
jagte ein beschränktes Angebot – Inflation ist die Folge. Zum ersten Mal seit 30
Jahren spüren Konsumenten aber auch Notenbanker und Politiker, was der Preis
dieser unorthodoxen Geldmarktpolitik (die ja zur Systemrettung gedacht war) ist.
Geld wird entwertet und die Kaufkraft sinkt – ein Phänomen, das die meisten nur aus
Erzählungen über die 1970er und 1980er-Jahre kennen.

Und jetzt steigen die Zinsen
Was ist die positive Botschaft? Die Notenbanken haben inzwischen erkannt, dass sie vehement gegensteuern müssen. Denn sonst riskieren sie, dass die Inflationserwartungen immer mehr steigen. Die Gelddruckmaschine wurde vor allem in den USA eingestellt, und die Leitzinsen wurden zuletzt rasant erhöht. Plötzlich gibt es wieder Zinsen für Sparer und Immobilienkredite und Konsumkredite kosten in Deutschland wieder mindestens 4%. Der Staat muss nun auch wieder Zinsen zahlen und Unternehmen müssen ihre Investitionen teuer finanzieren.

Das alles wird die Wirtschaft deutlich abbremsen. Ob es die Inflation kurzfristig
senken kann, ist vorerst nicht absehbar. Es ist eher damit zu rechnen, dass die
Preissteigerungen hartnäckig hoch bleiben werden. Die EZB wird daher noch weitere
Zinsschritte nach oben vollziehen. Der aktuelle Leitzins von 2% wird wohl
nicht ausreichen, um eine Inflationsrate von 10% einzufangen.

Inflation soll runter auf 2%
Sparer können sich zwar über die Rückkehr der Zinsen freuen (Tagesgeld liegt jetzt
bei rund 1% und 36 Monate Festgeld bei 2,5%) aber bei 10%
Entwertung ist das vorerst ein schwacher Trost. Baugeld bei 4% bedeutet eine
Vervierfachung der Zinsbelastung innerhalb von 12 Monaten! Kein Wunder, dass der
Immobilienmarkt zum Stillstand gekommen ist. Käufern fehlt einfach das Budget,
und Verkäufer wollen ihre Immobilien nur zu den Preisen von gestern abgeben.

Für den Aktienmarkt ist die Rechnung einfach: Sind die Zinsen hoch, dann sind die
Investoren nicht bereit, für die zukünftigen Gewinne den gleichen Preis zu zahlen
wie in der Nullzinsphase. Die Bewertungen sinken daher und das betrifft besonders
heftig die Aktienkurse der Unternehmen, die ganz geringe oder gar keine Gewinne
machen.

Kurzfristig erwarten wir keine Entspannung bei den Kapitalmarktzinsen. Der Wille
der Notenbanken ist hoch, die Leitzinsen noch weiter zu erhöhen. Sie wollen damit
keine Zweifel über die Absicht aufkommen lassen, die Inflationsraten Richtung 2% zu senken. Das wird aber dauern. Mittelfristig hängt auch viel von der Entwicklung am Energiemarkt und am Arbeitsmarkt ab. Baugeldzinsen werden in den nächsten Monaten bei rund 4% bleiben. Zinsen bei Sparprodukten werdenhingegen schrittweise höher gehen.

Hier geht's zur nächsten Zinsprognose 12/2022.

 

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