
Die Musterklage ist auf der Zielgeraden: Vergangene Woche verabschiedete das Bundeskabinett den Gesetzentwurf. Verbraucherverbände sollen damit zum Beispiel geschädigten Diesel-Fahrern in Musterprozessen zu ihrem Recht verhelfen können. Doch ausgerechnet der Umwelt- und Verbraucherverband DUH um Geschäftsführer Jürgen Resch (siehe Bild), der seit Jahren für das Informationsrecht der Autokunden kämpft und maßgeblich den Dieselskandal mit aufgeklärt hat, soll keine Musterklagen einreichen dürfen.
Das Justizministerium führt eine Liste mit 78 klageberechtigten Verbraucherverbänden, die schon länger sogenannte Verbandsklagen gegen verbraucherfeindliche Geschäftspraktiken erheben dürfen. Auf dieser Liste steht auch die Deutsche Umwelthilfe, kurz DUH. Die Große Koalition dachte sich aber für die Musterklage weitere Kriterien aus, darunter: Klagebefugte dürfen höchsten 5 Prozent ihrer Spenden und Einnahmen von Unternehmen beziehen. Die DUH finanzierte sich zuletzt zu etwa einem Fünftel daraus, Tendenz fallend. Eigentlich ganz normal, auch andere Umweltverbände beziehen deutlich mehr als 5 Prozent von Unternehmen.
Soll die DUH gezielt ausgeschlossen werden? Schließlich klagte die Umwelthilfe nicht nur erfolgreich gegen den Betrug der Autoindustrie, sondern auch gegen die mangelhaften Luftreinhaltepläne der Politik. In ihrem aktuellen Newsletter wehrt sich die Umwelthilfe deshalb vehement gegen den Ausschlussversuch.
Am Donnerstag hat die EU-Kommission Klage gegen die deutsche Luftreinhaltepolitik eingereicht – und damit der DUH praktisch recht gegeben. Wir meinen: Die Umwelthilfe von der Musterklage auszuschließen wäre nicht im Sinne der Verbraucher!
Musterklagen sind für Verbände nicht unbedingt attraktiv
Auf der Verbändeliste des Justizministeriums stehen aktuell 78 Verbände, darunter allein 33 Mietervereine. Natürlich klagen die Verbände nur in Fällen, zu denen Sie auch einen Bezug haben. Neben den Mietervereinen sind auf der Liste noch 16 Verbraucherzentralen und deren Dachorganisation VZBV sowie 28 weitere Verbände von mächtigen ADAC bis zum eher kleinen Pro Rauchfrei e.V.
Da die Große Koalition Wert darauf legt, dass an den Musterklagen nicht so viel verdient werden kann, die Streitwerte sollen auf 250.000 Euro begrenzt werden. Manche Verbände fürchten schon jetzt, dass sie am Ende draufzahlen könnten, wenn sich Prozesse hinziehen sollten. Und große Gegner wie VW hätten in jedem Fall die Mittel dazu, einen Prozess langwierig zu machen.
Denn klar ist, dass auch die Verbraucherverbände nicht jeden Prozess gewinnen können. Die Bundesregierung rechnet in ihrem Gesetzentwurf allein dadurch an Mehrbelastungen von knapp 1 Million Euro pro Jahr für die klagenden Verbände. Angesichts dessen macht es noch weniger Sinn, mit der DUH ausgerechnet einen Verband auszuschließen, der bewiesen hat, dass er keine Angst hat und auch die Ressourcen, sich mit den Großen anzulegen.
So funktioniert die Musterklage
Die Idee der Musterklage: Verlangen Banken unzulässige Gebühren, erhöhen Stromanbieter mit eigentlich unwirksamen AGB die Preise oder sind massenhaft verkaufte Produkte mangelhaft, dann muss nicht mehr jeder Verbraucher allein seine Ansprüche vor Gericht durchsetzen. Stattdessen erwirkt ein Verbraucherverband ein grundsätzliches Urteil, auf das sich dann alle geschädigten Verbraucher berufen können.
Das funktioniert so: Geschädigte Kunden, zum Beispiel VW-Diesel-Besitzer wenden sich an einen Verband. Hält der das Thema für relevant und hat mindestens zehn Geschädigte zusammen, kann er eine Musterklage anstrengen. Das wird im Klageregister veröffentlicht – tragen sich dort in zwei Monaten mindestens 50 Geschädigte ein, kommt die Klage zustande.
Der große Vorteil für eingetragene Verbraucher: Ihre Ansprüche verjähren nicht. Sie können in Ruhe die Musterklage abwarten und dann auf dieser Grundlage Ihr Recht einfordern.
Schon 2016 wollte die SPD das Gesetz auf den Weg bringen, doch erst in den Koalitionsverhandlungen zur neuen Regierung gab es eine Einigung mit der Union – und jetzt soll es schnell gehen: Denn das Gesetz soll spätestens zum 1. November in Kraft treten, um noch zwei Monate zu haben, bis die meisten Ansprüche im Abgasskandal gegen VW verjähren.
Die Bundesregierung geht davon aus, dass pro Jahr 450 neue Musterfeststellungsklagen erhoben werden mit im Schnitt 75 Verbrauchern, die sich im Klageregister anmelden. Dadurch würden sie um etwa 2,4 Millionen Euro Gerichtskosten entlastet.
Matthias Urbach war von 2014 bis 2022 stellvertretender Chefredakteur von Finanztip. Als Diplomphysiker und Absolvent der Henri-Nannen-Schule kombiniert er analytisches und redaktionelles Know-how. Zuvor war er unter anderem als Verlagsdirektor beim SpringerNature-Wissenschaftsverlag und als Leiter von taz.de tätig.
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12 Kommentare
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Freiheit ist die Freiheit des Denkens !
Entweder haben alle das gleiche Recht, oder wir sollten auf den Begriff Rechtsstaat BRD in Zukunft verzichten.
Unliebsame Verbände und Vereine vom für alle geltenden Recht auszuschließen, ist keine Lösung, sonder verstärkt nur unter Anderem die Staatsverdrossenheit.
Der Ausschluss der Umwelthilfe ist erst einmal ein Schock für alle, die der übermächtigen Autolobby etwas entgegensetzen wollen. Wenn die Umwelthilfe allerdings objektiive, gesellschaftlich anerkannte Kriterien nicht erfüllen kann (weniger als 5% Unternehmensspenden), dann muss das hingenommen werden, auch wenn ich es bedauerlich fände.
Die DUH ist keine Verbraucherschutzorganisation, sondern ein Abmahnverein!
Verbraucherfeindliche Praktiken abzumahnen, ist eine wichtige Aufgabe von Verbraucherschutz-Organisationen. Das machen andere Verbände ganz genauso.
Und was genau ist verbraucherfeindlich, was die DUH abmahnt?
Dem kann ich nur ausdrücklich beipflichten!
Die DUH auszuschließen, würde den deutschen Verbrauchern einen gewaltigen Dienst erweisen! Die DUH, zu einem erheblichen Teil steuerfinanziert (also Realsatire pur), will den Verbraucher, der es wagt, ein Auto zu fahren, enteignen. Auf nichts anderes spekulieren diese Leute.
Darüber hinaus bin ich – ein Verbraucher – strikt gegen Verbandsklagen. Klagen soll der, der beschwert ist. Natürlich kann er sich mit anderen zusammenschließen und so zum Beispiel Spenden für die Prozesskosten sammeln. Erwirkte höchstgerichtliche Urteile gelten dann ja eh für alle.
Aber alles andere führt dann zur Klagemanie. Wieso sollte irgendein Verein klagebefugt sein, obwohl ihn als Rechtssubjekt eine Maßnahme in keiner Weise betrifft? Ich lehne dies absolut ab. Deshalb bin ich strikt gegen den Gesetzesentwurf als Ganzes, nicht nur gegen einen Einschluss der DUH in den Kreis der Klagebefugten.
Die DUH ist nichts anderes als ein Inkassoverein. Hat Millionen von Autobesitzern beträchtlich geschädigt und das Ganze auf Basis geschätzter Werte – wo sind die Grenzwerte der Emissionen denn Hieb-und Stichfest ermittelt worden? Die Zahl der vom Bundesumweltministerium verkündeten Toten ist auch durch nichts belegt sondern einfach mal behauptet. Derartige „Helfer“ haben wir viel zu viele und benötigen sie nicht, vor allem müssen die Zuschüsse seitens des Staates abgestellt werden.
Die Dieseltoten sind genauso gut belegt wie die Toten durchs Rauchen oder durch Asbest. Die entsprechenden Gifte töten nun mal nicht sofort in der Sekunde, sondern langsam. Die betroffenen Menschen sterben leise zu Hause, im Krankenhaus oder im Hospiz. Nichtsdestotrotz gibt es sie.
Dann seien sie doch mal so nett und nennen die Belege! Ich bin gespannt. Und nein, keine Computerberechnungen, sondern wissenschaftlich nachprüfbare medizinische Belege. Ich warte…
Nicht die Umwelthilfe hat die Autobesitzer erheblich geschädigt, sondern die Autoindustrie mit ihrer Lobby und die gutgläubigen Autobesitzer sich selbst, da sie entweder schon lange wider besseres Wissen handeln oder einfach nicht in der Lage sind, bestimmte Zusammenhänge zu begreifen. Ich selbst bin ein Dieselautobesitzer, aber weit davon entfernt nur auf die Anderen zu zeigen.
Dem Verhalten der Autoindustrie: statt die beschissenen Autokäufer zu entschädigen ein Angebot zur Sicherung des eigenen Absatzes und Umsatzes abzugeben, kann nur als Frechheit bezeichnet werden.
Da unsere regierenden Amtsmeineids-Schwörer (statt Schaden vom Volk abzuwenden wird Schaden nur von der Industrie und ihren Dividendenempfängern abgewendet) das alles akzeptieren, hilft nur kräftiger Gegenwind aus dem Volk. Im Augenblick sehe ich dies durch die DUH für gegeben, insbesondere auch, dadurch, dass die DUH ausgebootet werden soll.