Hallo zusammen,
wie neulich in einem anderen Thread schon angesprochen: Mich interessieren diejenigen Entnahmestrategien, die a) absehbar auf lange Sicht das Vermögen erhalten und die b) relativ einfach mit (ausschüttenden) ETFs umzusetzen sind. Im generell zum Thema ETF sehr lesenswerten Special der Finanztest (https://www.test.de/shop/gelda…l-anlegen-mit-etf-fs0098/) ist ein Vergleich mehrerer Entnahmestrategien vorgenommen worden (S. 29 ff.).
Die zwei für mich interessanten Konzepte wurden bezogen auf die letzten 30 Jahre modelliert bzw. gerechnet und sind im Grunde einfach erklärt: Angenommen wird für die Entnahmephase, man wäre vor genau 30 Jahren mit exakt 100T € Gesamtvermögen gestartet. Das Portfolio dieser 100T € kann entweder nur aus dem Weltaktienmarkt (MSCI-World zu 100 %) oder anteiligen Beimischungen von Tagesgeld (zu 50 % bei "Ausgewogen" oder zu 25 % bei "Offensiv") bestehen. Errechnet wurde für die Entnahmestrategie "Fix" jeweils der Betrag, den man im schlimmsten aller bisherigen Börsen- und Zinsverläufe hätte entnehmen können ohne das Vermögen vorzeitig aufzubrauchen. Bei der Entnahmestrategie "Zins und Dividende" werden nur die Dividendenausschüttungen bzw. Zinszahlungen entnommen.
Das Ergebnis der Rückrechnung für die letzten 30 Jahre sieht dann so aus:
Portfolio | Entnahme | Monatliche Entnahme (EUR) | Endvermögen | Rendite des Entnahmeplans | Stärkste Rentenschwankung | ||||
Am Rentenbeginn | Am Rentenende | Mindestens | Median | Höchstens | |||||
Ausgewogen | Fix | 334 € | 334 € | 334 € | 334 € | 334 € | 249.664 € | 6,0% | 0% |
Zins und Dividende | 259 € | 420 € | 147 € | 217 € | 455 € | 198.311 € | 4,8% | -67% | |
Offensiv | Fix | 363 € | 363 € | 363 € | 363 € | 363 € | 380.045 € | 7,3% | 0% |
Zins und Dividende | 214 € | 442 € | 196 € | 266 € | 462 € | 246.140 € | 5,5% | -46% | |
MSCI-World | Fix | 389 € | 389 € | 389 € | 389 € | 389 € | 459.455 € | 8,0% | 0% |
Zins und Dividende | 170 € | 436 € | 170 € | 295 € | 436 € | 289.214 € | 6,0% | -27% |
Was ich mich dazu frage bzw. was mich an den Ergebnissen wundert bzw. irritiert:
1. Die Varianten „Ausgewogen“ mit 50 % Tagesgeld und „Offensiv“ mit 25 % Tagesgeldanteil haben die deutlich höhere anfängliche Ausschüttung bei Entnahme der Ausschüttungen. Das scheint mir logisch vor dem Hintergrund des deutlich höheren Zinsniveaus vor 30 Jahren.
2. Bei reiner Ausschüttungsstrategie im Fall von 100 % MSCI-World scheint mir die Entnahmerate bei konstanter Entnahme relativ hoch: 389 € p.M. sollten anfänglich 4,7 % Entnahmequote p.a. entsprechen. Ok, scheint mir aber plausibel vor dem Hintergrund der in diesem Zeitraum insgesamt ziemlich gut gelaufenen Aktienmärkte. Mitte der 1990er (also ganz zu Beginn der Entnahme) lief es noch relativ gut, die Crashs kamen dann erst mit der New-Economy-Krise um die Jahrtausendwende und dann nochmal mit der Finanzkrise 2007/2008.
3. Erwartungsgemäß nimmt die Entnahme im Fall der Ausschüttungsstrategie über die Zeit zu, sodass man im Gegensatz zur fixen Entnahme einen Inflationsausgleich bzw. ein Steigen der Entnahmen hat.
4. Was mich wundert: Warum ist die Ausschüttungsstrategie offenbar so renditeschädlich? Bei 100 % MSCI-World schwankt die Dividendenausschüttung zwischen 170 € und 436 € mit 295 € im Median. Verglichen mit einer kontinuierlichen Entnahme von 389 € beträgt das Endvermögen aber nur 289.214 € statt 459.455 € und die Rendite in dieser Zeit beträgt nur 6 % statt 8 %. Dazu:
a) Mit der Rentenschwankung von 27 % könnte ich gut leben, aber der Renditeverlust scheint mir ziemlich heftig… Wie seht ihr das?
b) Erwartet hätte ich eher, dass man mit der Entnahme der Dividenden in oder unmittelbar nach den realwirtschaftlich gut gelaufenen Phasen etwas mehr entnimmt und in den schlecht gelaufenen Phasen entsprechend weniger. Also praktisch schonend mit der Kapitalbasis umgeht, wenn die Kurse relativ schlecht stehen und vice versa. Nur: Das Gegenteil scheint der Fall! Eine kontinuierliche (real aber fallende) Entnahme scheint für die Rendite in % deutlich besser, warum? Nur wegen der starken Steigerungen der letzten Dekade?
5. Was mich außerdem wundert: Sobald man 25 % oder 50 % Tagesgeld beimischt, steigt die Rentenschwankung bzw. Ausschüttungsschwankung massiv. Auch hier hätte ich eher mit dem Gegenteil bzw. mit einer Stabilisierung der Entnahmeraten gerechnet. Also ich hätte angenommen, dass die Zinserträge und die Dividendenausschüttungen sich wechselseitig etwas stabilisieren. Warum war bezogen auf die letzten 30 Jahre das Gegenteil der Fall und durch die Hälfte im Tagesgeld steigt die Rentenschwankung auf 67 %? Haltet ihr das für eine Sondersituation durch die Nullzinsphase oder für allgemeingültig?
6. Welche Punkte fallen euch in dem Kontext auf bzw. sind wie erwartet oder abweichend?
Ich bin nach wie vor ein Fan der Idee, ein ausschüttendes Portfolio aufzubauen und dieses dann später einfach liegen zu lassen und nur die Ausschüttungen zu entnehmen. Die Zahlen lassen mich dazu aber etwas nachdenklich werden...
Lieben Gruß und Frohes Neues noch an dieser Stelle an alle!
FT_User