Trotz KfW-Studienkredit in ETFs investieren?

  • Liebe Finanztip Community,


    ich bin ganz frisch hier, auch wenn ich schon mehrere Beiträge und Youtube-Videos von Finanztip gesehen habe.


    Und zwar geht es um die Frage "Anlegen trotz Kredit?". In der Regel ist die Antwort ja nein, allerdings möchte ich kurz meine Situation darstellen:


    Ich bin 24 und bin in etwa 1-2 Jahren promoviert (Naturwissenschaften). Momentan laufe ich noch auf einem KfW-Studienkredit, das nächstes Jahr aus der Auszahlungsphase mit knapp 50.000 EUR ausläuft. Daran schließt sich die zweijährige Karenzphase an, in der nur die Zinsen (etwa 100 EUR/Monat) zu entrichten sind. Im best case finde ich eine gut bezahlte Anstellung (z.B. Consultant mit ca. 80.000 EUR brutto), im worst case schließe ich einen Postdoc an (50.000 EUR brutto). Die Zinsen für den Kredit sind momentan noch unter 5% p.a.
    Seit letztem Jahr investiere ich mit 200 EUR/Monat in ETFs.
    Macht es für mich Sinn, damit fortzufahren oder sollte ich die Einzahlungen besser stoppen und das Geld auf ein Tagesgeldkonto packen bis ich es dann ab nächstem Jahr zurückzahlen kann?


    Gerade nachdem ich Gerd Kommers "Souverän investieren mit Indexfonds und ETFs" gelesen habe, in welchem er unterscheidet zwischen einem Konsum-Kredit und einem, der zur Investition genutzt wird (und eine Investition in Bildung ist ja auch mit einer gewissen Rendite verbunden, dazu gibt es übrigens auch ein gutes Video von Finanzfluss), bin ich mir nicht mehr sicher ob man die Regel "Kredit vor dem Anlegen Abbezahlen" so einfach auf einen Studienkredit übertragen kann.


    Was meint ihr dazu? Würde mich über die Meinung und Einschätzung von anderen sehr freuen.


    Beste Grüße

  • hallo @honululude willkommen im Forum.


    Meiner Einschätzung nach, gibt es da keine eindeutig richtige oder falsche Entscheidung. Du kannst hier nur mit Wahrscheinlichkeiten operieren und das mit deinem Bauchgefühl abgleichen. Als promovierter Naturwissenschaftler mit Mitte 20, schätze ich deine Berufschancen als grundsätzlich sehr positiv ein. Also daher hast du eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass du auch parallel in ETF investieren kannst,. Allerdings in Anbetracht der Corona-Krise weiß man nicht, wie sich die Wirtschaft in den nächsten Jahren entwickeln wird. Du bist jung und wenn du keine Familie durchbringen musst und außer dem KfW-Kredit keine Kredite hast, sind 200 Euro ETF plus die 100 € als Sparrate, bei deinem prognostizierten Einkommen sicher zu vertreten. Ich persönlich würde immer erst investieren, wenn ich ein finanzielles Polster von einem halben Jahr hätte. Darüber hinaus gefragt, wie sind den die Modalitäten bei deinem KFW-Studien was etwaige Stundungen anbelangt? Hier bei Finanztip wird ja empfohlen immer erst Kredite abzuzahlen, bevor du investierst. Geh besser immer vom worst-case-szenario aus, wenn du das auch hinbekommen würdest ohne gravierend zu leiden, dann würde ich es machen. Aber das ist echt eine Typ-Frage.


    In jedem Fall wünsche ich dir viel Erfolg für deine Promotion und deine Zukunft.


    Liebe Grüße

  • Hallo @honululude


    Wenn du einen Kredit mit ca. 5% Zinsen bedienst, bist du aber optimistisch bei der Prognose der ETF Rendite. Es gab beim MSCI World einige Jahreskombinationen, wo die Jahresrendite gering oder negativ war.


    Renditedreieck


    Ich würde eine vernünftige Sparrate halten, bis klar ist, in welcher Gehaltsregion du startest. Das Geld kannst du dann immer noch in ETF als Einmalanlage stecken. Aber sichere 5% Rendite durch Zinsvermeidung sind erstmal attraktiv.

  • Hallo.


    Wie sehen denn die Konditionen für den Kredit aus?


    Wenn Sondertilgungen möglich sind, dann würde ich den ETF-Plan auf ein Minimum reduzieren (ggf. der Psychologie wegen auf Sparflamme weiterlaufen lassen) und Geld in Tages- bzw. Festgeld bunkern. Sobald möglich würde ich tilgen wie verrückt, um die 5% vom Hacken zu bekommen.


    Wenn ich das Produktblatt zum KfW-Kredit 174 richtig verstanden habe, sind Sondertilgungen möglich.

  • Hallo zusammen,


    ich musste auch auf einen KfW-Studienkredit zurückgreifen, nachdem ich spendable 74€ Bafög bekommen habe - trotz damals arbeitslosen/erkrankten Eltern (Bafög schaut immer 2 Jahre rückwirkend) und habe eine ähnlich hohe Summe über die KfW und deren Studienkredit wahrgenommen (47.000€).


    Bei mir ergibt sich aber der Unterschied, dass ich schon ins Berufsleben gestartet bin und nun monatlich 500€ tilge, 500€ in ETFs anlege und über die Steuerrückzahlungen jährlich ca. 10% Sondertilgung umzusetzen. Das war für mich aber nur möglich, weil ich über meine Hausbank umgeschuldet und den Zinssatz der KfW von schwankenden und >4% auf feste 1,99% halbiert habe. So will ich es schaffen in 5 Jahren fertig zu tilgen und gleichzeitig anzulegen.



    Mit dem Hintergrund, dass du noch an deinem Doktor und der Auszahlungsphase hängst, gibt es m.E. mehrere Möglichkeiten, welche die Richtige bzw. Beste ist, kommt dem Blick in eine Glaskugel gleich.



    Aber darf ich fragen, warum du weiterhin in der Auszahlungsphase bist, wenn du doch zeitgleich 200€/Monat in ETFs anlegst ?
    Das finde ich ehrlich gesagt schwachsinnig, weil du damit auf Pump investierst und wettest, dass die Rendite der ETFs höher als die Zinsen der KfW liegen. Ich weiß gerade nicht, wie 2019 gelaufen ist, aber zumindest der Jahresstart von 2020 lässt Zweifel entstehen, dass die Wette aufgeht.
    Mein gut gemeinter Rat: ich persönlich würde dies schleunigst überdenken und die Auszahlungshöhe minimieren sowie die ETF Sparpläne einstellen !
    Für mich sieht es nämlich eher so aus, dass du nicht mehr in der aktuellen Höhe oder generell weiterhin auf die Auszahlungen des KfW-Kredits angewiesen bist.


    Wenn du schon nur noch den Mindestbetrag abrufst von der KfW und 200€ monatlich sparen kannst, würde ich sofort die Auszahlung stoppen und in die Karenzphase starten. Dabei kann man dann natürlich weiter in ETFs sparen (und wetten, dass es mind. gleich bleibt). Die Rückzahlung würde ich persönlich ohne festen Job und während der Promovierung noch nicht antreten wollen. Da man bei der KfW die Höhe der Rückzahlung flexibel gestalten kann und ich glaube sogar noch etwas nach hinten schieben, wenn man keinen Job hat, würde ich mir wegen der Knappheit 2 Jahre Karenz und 1-2 Jahr bis zur Erreichung des Doktortitels plus Jobsuche weniger den Kopf machen.



    Bitte versteh mich nicht falsch, ich will dich jetzt nicht verrückt machen - du bist auf dem richtigen Weg, weil du ja die jetzige Lage überdenkst und dir Rat suchst. Also alles gut. Und bist in einer super Ausbildung mit sehr guten Chancen - und noch sehr jung. Also bleibt dir noch viel Zeit - die Tilgung so schnell wie möglich hinter sich bringen und dann beim Ansparen reinklotzen.
    Den für dich richtigen und vor allem psychologisch unbeschwertesten Weg musst du leider selber (heraus-)finden.

  • Vielen Dank euch allen!


    Das sind schon mal sehr schöne Einblicke gewesen soweit.


    Zu @driverinb und @Referat Janders : Stundungen sind per se möglich bei einem KfW Studienkredit, Sondertilgungen sind zwei mal pro Jahr möglich, ohne Vorfälligkeitsentschädigung.


    Ich hätte vielleicht noch erwähnen solllen, dass der Doktor schon vertraglich vergütet wird, davon gehen 200 Euro in ETFs und 250 schon aufs Tagesgeld. Meine Idee für das Tagesgeld ist aber der generell empfohlene Puffer von 3-4 Monatsnettoeinkünften.


    @DeSa : Du hast genau den Punkt erkannt, warum ich noch nicht in die Karenzphase eingetreten bin, aber ich wusste nicht, dass man eventuell schon zu Beginn stunden kann, wenn man keinen Job hat.


    Dann würde ich unter Einbeziehung eurer Meinungen die Investitionen in die ETFs stoppen/minimieren und vorerst jenes Geld auf dem Tagesgeldkonto zwischenlagern. Es ist halt schade, dass ich auf jenen Kredit zurückgreifen musste und auch schlechte Karten beim Bafög gezogen hatte.


    Vielen lieben Dank noch einmal für eure Einschätzungen!