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Kommentar

EZB hält vorerst still und steuert mit Worten

Nach zehn Erhöhungen in Folge hat die EZB diese Woche zum ersten Mal eine Pause eingelegt und die Leitzinsen nicht weiter erhöht. Was das für Dich beim Sparen oder Immobilienkauf bedeutet, erklärt Dir unser Co-Gründer und Kapitalmarktexperte Robert Haselsteiner in seinem aktuellen Kommentar zur Zinsentwicklung

Dieses Mal hielt die Europäische Zentralbank die Füße still und beließ in ihrer Sitzung am 26. Oktober 2023 die Leitzinsen im Euroraum unverändert. Der wichtigste Leitzins steht damit weiterhin bei 4,5 Prozent. Gleichzeitig wiesen die Zentralbanker darauf hin, dass mindestens dieses Niveau bis weit ins Jahr 2024 bestehen bleiben wird. Damit sollen die Inflationsraten und vor allem die Inflationserwartungen wieder Richtung 2 Prozent gedrückt werden. Zudem will die EZB in den nächsten Monaten ihren Bestand an Staatsanleihen schrittweise abbauen, die sie während der Pandemie aufgekauft hatte. Die US-Notenbank hat sich übrigens parallel ganz ähnlich geäußert. Mit diesen Aussagen versuchen die Währungshüter, Einfluss auf die längeren Laufzeiten am Zinsmarkt zu nehmen.

Ein neues Zinsumfeld ist entstanden
Die langfristigen Zinsen sind in den letzten Wochen tatsächlich deutlich gestiegen: Die Zinsen für 10-jährige US-Staatsanleihen haben das Niveau von 5 Prozent erreicht, den höchsten Stand seit 17 Jahren. Und auch die 10-jährigen deutschen Bundesanleihen sind inzwischen auf knapp unter 3 Prozent gestiegen. 

Diese Marktzinssätze führen zu signifikant höheren Zinskosten bei allen neuen Krediten für Investitionen bei Unternehmen und Privatleuten - dort natürlich besonders im Bereich Immobilienkredite. Das hat wiederum massive Auswirkungen auf die Investitionsbereitschaft und auf die Aktivitäten an den Immobilienmärkten und damit auch der Bauwirtschaft. 

Im Vergleich zur Situation vor zwei Jahren befinden wir uns nun in einem völlig neuen Zinsumfeld, in dem Geld plötzlich wieder einen Preis hat und jede Investition genau überdacht werden muss. Jeder Immobilienkauf und jeder Neubau muss akribisch auf Leistbarkeit überprüft werden.

In Ländern mit hoher Privatverschuldung wird das auch den Konsum schwächen. In den USA zum Beispiel zahlen Kredit­kartennutzer inzwischen 23 Prozent Über­zie­hungs­zin­sen. Die Frage ist daher weniger, ob die Wirtschaftsabschwächung (und damit auch der Preisdruck) wieder nachlässt, sondern wann genau und in welcher Dimension. Traditionell brauchen Zinserhöhungen der Notenbanken zirka ein Jahr, bis sie in der Realwirtschaft ankommen. Das erste Halbjahr 2024 wird also zeigen, ob die Notenbanker das richtige Maß gefunden haben.

Es geht auch darum, den Euro zusammen zu halten
Die EZB hat aber neben der Kontrolle über die Inflation noch eine weitere große Herausforderung zu bewältigen. Sie muss versuchen, den Euro als Gemeinschaftswährung zusammen zu halten. Schon immer war es schwer, eine einheitliche Zinspolitik für 27 Länder zu gestalten, deren Konjunkturentwicklung und vor allem Wirtschaftsstruktur oft sehr unterschiedlich ist. 
Zudem weichen die Staatsverschuldungen – und damit auch Schuldenlast und Bedienbarkeit – extrem voneinander ab. 

Normalerweise wären in einer Phase heftig steigender Zinsen stark verschuldete Länder sofort mit überproportional steigenden Zinsen durch den Markt bestraft worden. Der Grund: eine erwartbare Rezession und eben steigende Zinsbelastungen auf ihre hohen Schulden.  

Diese Effekte sind aber bisher ausgeblieben, denn die EZB hat vor einiger Zeit auch begonnen, die Spreads (Zinsabstände) zwischen den starken und schwachen Bonitäten im Euroraum zu beeinflussen, indem sie in solchen Phasen die Staatsanleihen der schwachen Länder aufkauft und Anleihen der starken Länder aus ihrem Bestand abgibt. Im Kern wird damit über niedrige Zinskosten Geld von starken in schwächere Länder transferiert. 

Besonders extrem ist dieser Effekt im Fall von Griechenland. Um das Land vor dem Bankrott zu retten, wurde fast der ganze Bestand an Staatsschulden mit niedrigen Zinsen auf Jahrzehnte ausgestattet und liegt jetzt beim Euro-Stabilisierungsfonds. Griechenland hat damit ein künstlich niedriges Zinsniveau, das dazu führt, dass eine Baufinanzierung in Griechenland jetzt günstiger ist als in Deutschland. Kein Wunder, dass die Baukonjunktur dort brummt und die Immobilienpreise explodiert sind. 

Das Zinsgefüge in der Eurozone spiegelt daher schon lange nicht mehr die jeweilige Schuldenfähigkeit der einzelnen Länder wider, sondern ist praktisch ein Einheitszins, der von der EZB über Marktintervention gesteuert wird. Ob das auch gut geht, wenn wir jetzt in eine Phase von generell höheren Zinsen und schwacher Konjunktur und damit wieder höherer Schuldenaufnahme gehen, wird sich zeigen. Auf jeden Fall wird die EZB sich diesen Herausforderungen stellen müssen.

Verbraucher sollten verhandeln
Für die nächsten Monate gehe ich von einer Seitwärtsbewegung bei den Zinsen auf dem aktuellen Niveau aus. Positiv ist, dass in den letzten Wochen viele Banken bei ihren Angeboten für Tagesgeld und Termingeld nachgezogen haben und die Konditionen erhöht haben. Das sind gute Neuigkeiten für Sparer und Anleger. 

Mein Rat für Verbraucherinnen und Verbraucher bleibt klar: Sie sollten mit ihren Banken hart um gute Konditionen bei Spargeldern und Termingeldern verhandeln. Auch am Immobilienmarkt scheint langsam die Realität anzukommen. Ich höre von zum Teil deutlichen Preisanpassungen nach unten. Besonders bei Bauträgerobjekten lohnt es sich, hart zu verhandeln und auf keinen Fall die Preise von gestern zu akzeptieren. Bei neuen Immobilienkrediten sollten Verbraucherinnen und Verbraucher möglichst viel Eigenkapital einbringen und damit die monatlichen Belastungen steuern. Und lieber die 10 Quadratmeter kleinere Wohnung kaufen, bevor sie sich finanziell übernehmen.

Wie viel Zinsen die Banken beim Tagesgeld und Festgeld zurzeit bieten, steht tagesaktuell bei Finanztip.
 

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