Wie erwartet haben die US-Notenbank und die Europäische Zentralbank (EZB) in ihren Dezember-Sitzungen die Leitzinsen unverändert bei 5,25 beziehungsweise 4,5 Prozent gehalten. Doch die Investoren und Spekulanten an den Zinsmärkten interessiert das wenig. Denn sie treiben schon seit Wochen die Marktzinsen, also die Zinsen am Geldmarkt und am Markt für Staatsanleihen, deutlich nach unten. Inzwischen ist an diesen Märkten eine Erwartungshaltung eingepreist, die von mehreren Leitzinssenkungen schon im Jahr 2024 ausgeht. Das wäre eine extrem schnelle Kehrtwende nach der rasanten Erhöhung der Leitzinsen in den vergangenen 18 Monaten.
Es wird damit immer klarer, dass die Notenbanken mit ihren veralteten geldpolitischen Prognosemodellen seit Jahren falsche oder zumindest völlig ungenaue Einschätzungen zur Konjunktur und vor allem zur Inflationsentwicklung liefern.
Währungshüter haben zu spät reagiert
Die Auswirkungen der Pandemie, der Konjunkturpakete und des Preisdrucks, der über kaputte Lieferketten entstanden ist, haben die Währungshüter lange unterschätzt und viel zu spät die geldpolitische Expansion und die Nullzinspolitik gestoppt. Erst hatten uns die Experten der EZB über viele Quartale erzählt, dass es keine Inflationsgefahr gäbe. Um dann bei nicht mehr ignorierbaren Preisanstiegen die Zinsen massiv zu erhöhen und uns zu erklären, dass die Inflation gefährlich sei und auch länger bleiben würde als gedacht.
Hohe Lohnforderungen und verhaltenes Wirtschaftswachstum
Mit ihrer verspäteten Reaktion haben die Währungshüter den Gewerkschaften Argumente geliefert, um extrem hohe Lohnforderungen im zweistelligen Prozentbereich zu stellen. Diese „Zweitrunden-Effekte“ haben sie also praktisch selbst herbeigerufen. Damit ergibt sich jetzt die paradoxe Situation, dass die Lohnerhöhungen kommen und sich verfestigen. Und das zu einer Zeit, in der die Inflationsraten aufgrund von Wirtschaftsabschwächung, geringeren Energiekosten und fallenden Nahrungsmittelpreisen an den Rohstoffmärkten bereits wieder stark fallen.
Es zeigt sich immer deutlicher, dass die Europäische Zentralbank mit ihrer Präsidentin Christine Lagarde inzwischen offenbar Angst vor ihrer eigenen Courage bekommen hat, das aber nicht zugeben kann. So spricht der EZB-Rat in seinen geldpolitischen Beschlüssen davon, die Leitzinsen „so lange wie erforderlich“ auf einem ausreichend hohen Niveau zu halten. Es ist aber klar, dass Frau Lagarde als politische Besetzung der EZB längst auf die schwache Konjunktur schielt, die für die Regierungen ein echtes Problem wird. Denn weniger Wachstum bedeutet weniger Steuereinnahmen und weniger budgetärer Handlungsspielraum. Auch die deutsche Ampelregierung lernt diese Herausforderung gerade sehr genau kennen.
Senkung der Leitzinsen wahrscheinlich
Auch wenn die Europäische Zentralbank offiziell noch mit einer Erholung der Konjunktur rechnet, wird sie die Leitzinsen mit hoher Wahrscheinlichkeit schon im ersten Halbjahr 2024 ein erstes Mal senken. Die Marktzinsen nehmen das jedenfalls schon vorweg.
Fast schon bizarr wirkt vor diesem Hintergrund die Revision der Inflationsprognose nach unten, die die EZB am 14. Dezember vollzogen hat. Der EZB-Rat erwartet jetzt 2,1 Prozent in 2025 und 1,9 Prozent in 2026. Das sind Zahlen, die die EZB 2020 auch für 2022 und 2023 erwartet hatte. Damit lag sie aber komplett falsch. Und auch heute weiß niemand, wie man in einer komplett unsicheren Welt meinen kann, die Inflationsraten auf drei Jahre voraus auf die Kommastelle zu prognostizieren – und daran seine Zinspolitik auszurichten.
Der Kapitalmarkt ist da viel pragmatischer. Dort schaut man darauf, was gerade passiert und sieht:
- Unsicherheit bei den Unternehmen und weniger Investitionsbereitschaft
- Vollbremsung an den Immobilienmärkten und der Baukonjunktur aufgrund der hohen Zinsen
- Deflationsangst und schwaches Wachstum in China
- Massive politische Spannungen und Konfliktpotentiale
Deshalb wird die aktuelle Zinspolitik inzwischen als zu restriktiv angesehen und auf eine baldige Anpassung an die aktuelle Situation spekuliert.
Verbraucherinnen und Verbraucher sollten genauer hinschauen
Für Sparer heißt das inzwischen schon wieder: Achtung beim Vergleich der Tagesgeld- und Termingeld-Konditionen. Denn die ersten Banken haben begonnen, weniger fürs Spargeld zu bezahlen. Weil sie eben auch fallende Zinsen erwarten und deshalb ihre längerfristige Wiederanlage des Geldes weniger Zinsen abwerfen wird.
Für Baufinanzierer hat sich die Situation hingegen etwas entspannt und die Top-Konditionen für zehn Jahre liegen nicht mehr bei 4,20 Prozent, sondern schon wieder bei 3,60 Prozent. Das erhöht auf jeden Fall die Leistbarkeit. Auch für die Verlängerung von bestehenden Darlehen ergeben sich wieder bessere Chancen.
In den kommenden Monaten werden die Notenbanken immer mehr unter Druck kommen, schneller Zinssenkungen einzuleiten. Wie man am Baugeld sieht, hat der Kapitalmarkt schon jetzt die ersten 0,60 Prozent antizipiert. Frau Lagarde wird also nachziehen – und nicht mehr selbst den Ton angeben im Jahr 2024.
Wie viel Zinsen die Banken beim Tagesgeld und Festgeld zurzeit bieten, steht tagesaktuell bei Finanztip.
(von Robert Haselsteiner)