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Kommentar Daily

US-Notenbank pausiert, EZB erhöht die Zinsen weiter: Was wir jetzt empfehlen

Unser Co-Gründer und Kapitalmarktexperte Robert Haselsteiner bewertet die neueste Leitzinserhöhung und erklärt Dir, warum eine Welt mit Zinsen wahrscheinlich besser funktioniert als eine ohne.

Es war zu erwarten: Die US-Notenbank hat am 14. Juni 2023 keine weitere Leitzinserhöhung vorgenommen. Stattdessen hat sie auf den Juli und die folgenden Monate verwiesen. FED-Chef Powell hat damit den Marktteilnehmern eine Pause gegönnt und sich selbst die Möglichkeit, in einigen Wochen mehr Daten zum tatsächlichen Konjunkturverlauf zur Verfügung zu haben. Diese Haltung verdient die Beschreibung „wachsam, aber unsicher“. Die Inflation sinkt, aber wie schnell, das bleibt noch offen. 

Zinserhöhung der Europäischen Zentralbank um 0,25 Prozentpunkte
Die Europäische Zentralbank (EZB), die ja deutlich später im Jahr 2022 mit Zinserhöhungen losgelegt hatte, machte hingegen am 15. Juni einen weiteren kleinen Schritt nach oben. Der wichtigste Leitzins liegt inzwischen bei 4,0 Prozent. Der EZB-Rat möchte die Inflation zeitnah wieder auf den Zielwert von 2 Prozent bringen. In der 2. Jahreshälfte dürfte es deshalb noch mindestens einen Zinsschritt nach oben geben. 

Die Aktienmärkte nehmen dieses langsame Vorgehen bisher positiv auf. Die meisten Investoren erwarten, dass die Inflationsrate weiter sinken wird und die Zinsen 2024 und 2025 wieder deutlich niedriger liegen werden.

Die Negativzinsen waren nicht normal
Wie wir aus den letzten 15 Jahren seit der weltweiten Finanzkrise 2008 wissen, haben die tiefen Zinsen wie ein massives Aufputschmittel für die Preise von Vermögenswerten gewirkt. Aktien und Immobilien sind im Preis gestiegen. Das betraf sogar Vermögenswerte, die gar keinen Ertrag einbringen, wie Kunst, Uhren oder Oldtimer. Denn Kredite wurden immer billiger, und für konservative Spareinlagen gab es keine Zinsen mehr.

Die Notenbanker gingen so weit, uns zu erklären, dass negative Zinsen „normal“ seien in solchen „besonderen“ Situationen. Sie seien gar notwendig, um die Weltkonjunktur zu retten. US-Notenbank-Präsidenten wie Alan Greenspan, Ben Bernanke und auch Janet Yellen waren fixiert auf die Gefahr einer Deflation und Depression wie in den 1930er Jahren. Sie haben die Welt in ein Zins-Experiment geführt, wie man es seit rund 5.000 Jahren nicht gesehen hat. Und Euroland ist unter dem EZB-Chef Mario Draghi den Amerikanern gerne gefolgt. 

Aber schon seit dem Mittelalter weisen Ökonomen auf Phänomene hin, die entstehen, wenn die Zinsen unter 2 Prozent sinken. Wenn Geld faktisch seinen „Preis“ verliert, man weder Zinsen bekommt noch für Kredite Zinsen bezahlt, dann treibt dies die Menschen in aggressivere Anlageformen, deren längerfristige Risiken sie aber nicht verstehen. 

Folgen der Niedrigzinspolitik
Was passiert, wenn die Zentralbank die Zinsen de facto abschafft, zeigt die Entwicklung bis Mitte 2022: Immobilien werden zu immer höheren Preisen gekauft, weil die Zinsbelastung gering ist. Sparer verschieben ihr Spargeld von deutschen Sparkassen zu osteuropäischen Banken, deren Namen sie nicht mal aussprechen können – nur weil sie dort noch minimale Zinsen bekommen. Und gleichzeitig steigen die Aktienwerte, weil plötzlich jeder meint, mit den Kursgewinnen die fehlenden Zinsen auf die Spareinlagen ausgleichen zu können. 

Die Bewertungsmodelle der Aktienanalysten treiben bei Nullzinsen den Wert der erwarteten, aber weit in der Zukunft liegenden Gewinne von Technologieunternehmen in exorbitante Höhen. Das treibt wiederum die Bewertungen von Start-Up-Unternehmen. Private Equity Firmen zahlen hohe Preise für Unternehmen, weil die Kreditfinanzierung fast nichts kostet. Die Beispiele sind endlos.

Corona-Pandemie brachte die Wende
Aber seit die Corona-Pandemie und ihre wirtschaftlichen Verwerfungen plötzlich die Inflation auch für Konsumenten sichtbar gemacht hat, haben Jerome Powell und Christine Lagarde gehandelt – oder besser gesagt handeln müssen. Die Blasen in den Vermögenswerten konnten noch ignoriert werden, 10 Prozent Konsuminflation aber nicht mehr – denn das betrifft ALLE Bürger. Und so ist das Experiment mit den Negativzinsen rasch zu Ende gegangen. 

Geld hat wieder einen Preis und damit wird auch wieder deutlich, dass Kredite wohl überlegt sein müssen. Sparer, die auf den Konsum heute verzichten und verantwortlich handeln, müssen für ihre Ersparnisse auch einen fairen Zins erhalten, ohne zu spekulieren oder ihr Geld an unbekannte Banken zu verleihen.

Eine Welt mit Zinsen funktioniert wahrscheinlich besser
Schon heute gibt es eine Reihe von Ökonomen, die die vergangene Phase mit Negativzinsen als völlig absurd betrachten, auch wenn die Notenbanken uns erklärt haben, dass es dazu keine Alternative gab. Es wird sich in den nächsten zwei Jahren sehr wahrscheinlich zeigen, dass eine Welt mit Zinsen viel besser funktioniert als eine ohne Zinsen.

Investitionen werden nur dann getätigt, wenn sie sinnvoll sind und sich rechnen können. Immobilien werden realistischer bepreist werden. Vieles wird effizienter laufen als in den vergangenen Jahren, in denen das preislose Geld Blasen entstehen und platzen ließ. Der Anpassungsprozess ist allerdings noch am Laufen. Denn viele hoffen, dass mit dem Sinken der Inflation auch die Nullzinsen wieder zurückkommen und die Party dann endlich weitergeht. Wir können aber nur hoffen, dass sich bis dahin die Erkenntnis durchsetzt, dass Nullzinsen nicht die Antwort sind, sondern eine Ursache der Probleme. Wir vertrauen vorerst auf Powell und Lagarde.

Verbraucher sollten verhandeln
Für Verbraucherinnen und Verbraucher bleibt unser Rat klar: Sie sollten mit ihren Banken hart um gute Konditionen bei Spargeldern und Termingeldern verhandeln. Wie viel Zinsen die Banken beim Tagesgeld und Festgeld zurzeit bieten, steht tagesaktuell bei Finanztip.

Und auch beim Immobilienkauf gilt es, hart zu verhandeln. Was die Zinsen angeht, hilft der Vergleich bei einem der großen Baufinanzierungsvermittler. Denn bei den großen Summen, um die es geht, und den langen Fristen zählt jedes Zehntelprozent beim Zinssatz. Auf welchem Niveau die aktuellen Bauzinsen gerade liegen, steht ebenfalls bei Finanztip.

(rha)


 

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