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Kommentar

Warum die EZB die Zinsen nur noch leicht erhöht

Die US-Notenbank und die EZB haben zwar im Mai 2023 die Leitzinsen erneut um 0,25 Prozentpunkte erhöht – aber damit wohl auch das vorläufige Ende ihres Zinserhöhungszyklus eingeläutet.

Eine weitere Erhöhung wird der US-Wirtschaft, den amerikanischen Politikern und dem Bankensystem nicht mehr zumutbar sein. Immerhin hat es der Chef der Federal Reserve Bank, Jay Powell, geschafft, die Leitzinsen über die aktuelle Kern-Inflationsrate zu hieven. Diese liegt in den USA bei knapp unter 5 Prozent.

Der Spielraum der US-Notenbank ist ausgeschöpft
Vermutlich hätte er gerne, so wie sein historisches Vorbild Paul Volcker in den 80er-Jahren, die Leitzinsen für einige Zeit deutlich über die Inflationsrate gehoben. Denn in der geldpolitischen Theorie müssen, um die Inflation zu besiegen, die Kräfte eingedämmt werden, die den Preisanstieg treiben.

Aber das wird vorerst nicht mehr möglich sein. Zu groß sind die Risse, die sich inzwischen im amerikanischen Bankensystem auftun. Am letzten Aprilwochenende musste mit der First Republic Bank schon wieder ein großes Kreditinstitut in Zwangsabwicklung gehen, nachdem die Kunden ihre Gelder abzogen und der Börsenkurs der Bank abstürzte. Der brutale Zinsanstieg von Null auf 5 Prozent hat den Wert der Anlagen von Banken fallen lassen und gleichzeitig die Sparer in Bewegung gebracht. Sie bewegen ihr Spargeld dorthin, wo es die höheren Zinsen gibt oder wo sie sich sicherer fühlen. Das geht heute per Knopfdruck und schneller als vor der Internetzeit.

Viele amerikanische Banken verlieren Einlagen
Eigentlich sollte der niedrigere Wert der Anlageseite der Banken, die aus Krediten, Hypotheken und Anleihen besteht, kein Problem sein. Denn die Buchhaltungsregeln sehen weltweit vor, dass solche niedrigeren Bewertungen nicht ausgewiesen werden müssen. Zumindest solange die Bank behauptet, dass sie diese Anlagen bis zur Fälligkeit und damit zur Rückzahlung zu 100 Prozent hält.

Aber wenn die Spareinlagen Beine und Flügel bekommen und weg wollen, dann müssen Banken diese Anlagen verkaufen, um mit dem Geld die Sparer zu bedienen. Plötzlich werden aus Buchverlusten doch reale Verluste und das Eigenkapital der Bank schmilzt wie der Schnee in der Frühlingssonne. Banken werden nervöser und vorsichtiger in der Kreditvergabe, die Bankenaufsicht mahnt ebenfalls zur Vorsicht. All das wirkt bremsend auf die Wirtschaft und hat den gleichen Effekt, den weitere Zinserhöhungen der Notenbank hätten. Man könnte auch sagen: Der Leitzins steht in den USA jetzt eigentlich schon bei 6-7 Prozent.

Auch die Europäische Zentralbank muss die Stabilität der Banken beachten
In Euroland sind derartige Risse bei den Banken noch nicht zu sehen. Aber es würde mich nicht wundern, wenn die rasante Erhöhung der Geldmarktzinsen von negativ auf plus 3 Prozent nicht auch hier einige Akteure auf dem falschen Fuß erwischt hätte. Daher wird auch bei uns die Bankenstabilität immer mehr zu einer Nebenbedingung der EZB-Politik.

Die Leitzinserhöhung vom 4. Mai 2023 um 0,25 Prozent auf nunmehr 3,25 Prozent erfüllt aber bei weitem nicht die Forderung der bereits genannten Theorie: Um die Preissteigerungen wirklich eindämmen zu können, sollte der Leitzins einige Zeit deutlich über der Kerninflationsrate liegen. Diese Kerninflationsrate beträgt derzeit in Euroland über 6 Prozent - die EZB wettet also darauf, dass diese Rate ohne weiteres Zutun deutlich sinken wird.

Die Zinsschritte müssen mehrere Hürden überwinden
Doch ob die bisherigen Schritte der Notenbanken ausreichen, ist unsicher. Denn es gibt drei große Unbekannte in der Gleichung. Erstens geht die Theorie davon aus, dass die höheren Zinsen eine Rezession herbeiführen. In der Folge werden Unternehmen zu Preisnachlässen und Arbeitnehmer zu Lohnzurückhaltung gezwungen sein.

Wir leben heute aber in einer Welt, in der kein Politiker eine Rezession zulassen möchte. Daher konterkariert die Politik überall die Arbeit der Notenbanken mit Subventionen und Zuschüssen an die Wähler und Unternehmen. Damit führt die Politik dem System hintenrum wieder Liquidität zu, die vorne abgesogen wird. Inflationsausgleich ist das Zauberwort der Politik, das zwar für den Einzelnen toll klingt, aber im Gesamten die Quadratur des Kreises ist. 

Zweitens ignorieren Notenbanker und Politik die strukturellen Veränderungen am Arbeitsmarkt. In USA und in Europa sinkt die Zahl der verfügbaren Arbeitskräfte aufgrund einer alternden Bevölkerung. Die Verhandlungsposition der Arbeitnehmer hat sich in den letzten 10 Jahren daher deutlich verbessert. Lohndruck in allen Sektoren ist die Folge. Das wird ein Erreichen der alten 2-Prozent-Zielmarke bei der Inflationsrate sehr schwierig machen.

Drittens schreitet die Deglobalisierung fort. Die Spannungen zwischen den USA und China nehmen zu. Global integrierte, gut funktionierende Lieferketten und Handelbeziehungen kommen unter Druck und die Preise steigen nachhaltig und strukturell. Die Zeiten ständig sinkender Preise durch Offshoring sind vorbei – eine weitere Hürde für das 2-Prozent-Ziel.

Das sollten Sparerinnen und Sparer jetzt beachten
Vorerst scheinen die Notenbanken die Grenzen ihres Handelns erreicht zu haben. Die Leitzinsen werden also in den nächsten 6 Monaten in den USA wahrscheinlich stabil bleiben und in Euroland vielleicht noch um 0,25-0,50 Prozent ansteigen. Dann warten wir alle gemeinsam auf den Tag der Wahrheit: Fällt die Inflation wirklich? Oder bleibt sie entgegen den Expertenaussagen hartnäckig hoch oder steigt sogar erneut? 

Immerhin: Für Sparerinnen und Sparer bedeuten die aktuellen Zinsschritte weiterhin gute Tagesgeld- und Festgeldangebote nach der langen Nullzins-Durststrecke. Da viele Investoren am Anleihemarkt mit einer Rezession und damit ultimativ wieder mit Zinssenkungen der EZB rechnen, sind die langfristigen Staatsanleihen sogar unter dem Leitzinsniveau.

Das heißt auch, dass die Bestkonditionen für Baugeld unter 4 Prozent liegen. Historisch gesehen ist das (trotz des starken Anstiegs zuletzt) ein niedriges Niveau und liegt deutlich unter der Inflationsrate. Banken ermöglichen auch wieder 1 Prozent anfänglicher Tilgung, was die monatliche Belastung in Grenzen hält. Es ist allerdings wichtig, mit dem Verkäufer beim Immobilienkauf hart zu verhandeln, denn gerne werden noch alten Preise aus dem Niedrigzinsumfeld des Jahres 2021 aufgerufen.



(rha)

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