VW-Skandal: Schadensersatz, Motortypen EA 189, 288, 897 Diese Rechte haben Diesel-Besitzer noch
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Der Abgas-Skandal erschütterte das über Jahrzehnte aufgebaute Vertrauen in den Volkswagen-Konzern. Der Autobauer hatte Diesel-Fahrzeuge mit einer Abgas-Software manipuliert, damit sie die gesetzlichen Abgasnormen erfüllen. Nach dem Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs vom 25. Mai 2020 wollte der Autobauer den Abgasskandal zügig zu den Akten legen, doch es wird weiter gestritten wegen anderer Motoren und des sogenannten Thermofensters.
Auslöser des Diesel-Skandals war der manipulierte Diesel-Motor vom Typ EA 189. Das ist der Diesel-Motor, den der VW-Konzern zwischen 2008 und 2015 verbaut hat. Alle Autos mit diesem Motor benötigten ein Software-Update. Es gab einen offiziellen Rückruf des Kraftfahrtbundesamtes (KBA) von insgesamt 2,4 Millionen Autos.
Außerdem wurde im Dezember 2017 der VW Touareg 3.0 Liter Euro-6-Diesel zurückgerufen. In diesem Modell ist ein Motor mit der Bezeichnung EA 897 verbaut. Dieser Motortyp findet sich in zahlreichen Premium-Modellen des VW-Konzerns.
Bei Audi waren ebenfalls viele Euro-6-Diesel von der Abgasmanipulation betroffen. Das Kraftfahrtbundesamt rief im ersten Halbjahr 2018 insgesamt 151.000 Audis zurück. Dabei handelt es sich um die Baureihen A6, A7 Sportback, A8, Q5 und AQ5 aus den Jahren 2014 bis 2018. Auch Fahrzeuge der Baureihen A4, A5 und Q7 mit 3.0-Liter-Dieselmotoren wurden beanstandet.
Auch Fahrzeuge mit dem Vorgängermotor Typ EA 896 sind vom Abgasskandal betroffen. Die Liste von Rückrufen wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen, die nicht den Motortyp EA 189 betreffen, aktualisiert das KBA laufend. Betroffen sind hier Audis wie etwa der SQ5 3.0 TDI mit der Abgasnorm Euro 6.
Fast vier Jahre nach Dieselgate bestätigte der Bundesgerichtshof, dass Volkswagen Schadensersatz zahlen muss, weil der Autobauer aus Gewinninteresse mit seinen illegalen Abschalteinrichtungen im Motortyp EA 189 das Kraftfahrtbundesamt und die Verbraucher bewusst getäuscht hat (Az. VI ZR 252/19).
Allen Betroffenen standen Schadensersatzansprüche wegen vosätzlicher sittenwidriger Schädigung gegen Volkswagen zu, weil der Hersteller eine Steuerungssoftware eingebaut hatte, die die Abgasreinigung auf dem Prüfstand anstellte und im normalen Verkehr abstellte (§ 826 BGB). Volkswagen hatte den Betroffenen den Kaufpreis als Schaden zu ersetzen. Im Gegenzug mussten sie das Fahrzeug zurückgeben. Die gefahrenen Kilometer wurden auf den Schadensersatz angerechnet (25.05.2020, Az. VI ZR 252/19).
Erstattung der Finanzierungskosten - Wer seinen Diesel mit einem Kredit finanziert hatte, konnte sich vom Autobauer auch die Finanzierungskosten in voller Höhe erstatten lassen. Dazu zählen die Zinsen und auch die Kosten für eine Restschuldversicherung (BGH, 13.04.2021, Az. VI ZR 274/20).
Kauf nach Bekanntwerden des Diesel-Skandals - Keinen Schadensersatz bekam derjenige, der erst nach Aufdeckung des Skandals im September 2015 seinen Wagen gekauft hat (BGH, 30.07.2020, Az. VI ZR 5/20).
Verjährung - Die dreijährige Verjährungsfrist begann spätestens mit dem Ende des Jahres, in dem der Betroffene das Rückrufschreiben von VW bekommen hat. Viele bekamen erst 2016 Post, ihre Ansprüche verjährten somit Ende 2019 (BGH, 17.12.2020, Az. VI ZR 739/20).
Gegen Audi war es für Autokäufer deutlich schwerer, mit einer Dieselklage erfolgreich zu sein, auch wenn der Autobauer den gleichen Motor vom Typ EA 189 mit Betrugssoftware eingebaut hat. Kläger mussten nachweisen, dass Audi selbst betrügerisch vorgegangen ist (BGH, 08.03.2021, Az.VI ZR 505/19). Entscheidend ist, was der Vorstand von Audi von den Betrugsmotoren wusste. Das ist nach dem Strafverfahren vor dem Landgericht München gegen ehemalige Vorstandsmitglieder nunmehr klar. Der von 2017 bis 2018 amtierende Vorstandsvorsitzende hat ein Geständnis abgelegt und wurde wegen Betrugs verurteilt.
Eine neue Dimension bekommt der VW-Diesel-Skandal dadurch, dass mit dem Software-Update zwar die ursprüngliche Abschalteinrichtung entfernt wurde, aber damit das sogenannte Thermofenster installiert wurde. Die Abgasreinigung wird entsprechend der Außentemperatur gesteuert: Je kälter es ist, desto weniger wird gereinigt. Das Thermofenster wird mittlerweile ziemlich einhellig ebenfalls als illegale Abschalteinrichtung gewertet. Die juristische Aufarbeitung des Diesel-Skandals dauert an.
Der Bundesgerichtshof lehnte bisher Schadensersatz bei Thermofenstern ab (09.03.2021, Az. VI ZR 889/20). Denn er verlangte für die Haftung eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung, an der es fehle, da eine Genehmigung des Kraftfahrtbundesamts vorliege (§ 826 BGB). Doch der Europäische Gerichtshof bewertete das Thermofenster als unzulässige Abschalteinrichtrichtung (14.07.2022, Az. C-128/20). Zudem müsse auch bei Verletzung von europäischen Abgasbestimmungen Schadensersatz möglich sein. Wer ein Fahrzeug mit EG-Typengenehmigung kauft, soll sich darauf verlassen können, dass es die Abgasvorgaben erfüllt, wie es in der Übereinstimmungserklärung auch bestätigt ist (21.03.2023, Az. C-100/21).
Neu: Im Juni 2023 urteilte der Bundesgerichtshof erneut im Anschluss an die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs: Wer ein illegales Thermofenster in seinem Diesel hat, dem steht laut Bundesgerichtshof nunmehr doch Schadensersatz zu, wenn dem Hersteller Fahrlässigkeit nachzuweisen ist (§ 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs 1, 27 EG-FGV). Er soll dann zwischen 5 bis 15 Prozent des Kaufpreises als sogenannten Differenzschaden zahlen. Die Höhe des Schadens kann das Gericht schätzen, ohne ein Sachverständigengutachten einzuholen. Die gefahrenen Kilometer werden grundsätzlich nicht gegengerechnet (BGH, 26.06.2023, Az. VIa ZR 335/21).
Der Volkswagen-Konzern bewertet das Thermofenster nach wie vor als zulässige Abschalteinrichtung zum Schutz des Motors, das vom Kraftfahrtbundesamt so genehmigt war. Von Fahrlässigkeit könne keine Rede sein.
Das Verwaltungsgericht Schleswig verurteilte Ende Februar 2023 das Kraftfahrtbundesamt aber nach einer Klage der Deutschen Umwelthilfe dazu, den Freigabebescheid für ein Softwareupdate für bestimmte ältere Modelle des Golf Plus aufzuheben, soweit der Freigabebescheid sich auf das Thermofenster bezieht (20.02.2023, Az. 3 A 113/18).
Für viele Diesel-Klagen wird entscheidend sein, ob Volkswagen der Nachweis gelingt, dass sie nicht fahrlässig gehandelt haben. Laut Bundesgerichtshof wird ein Verschulden des Herstellers vermutet. Schadensersatzansprüche wegen des Thermofensters sind noch nicht verjährt. Das Software-Update ist für die Verjährung zwar relevant, aber zu diesem Zeitpunkt wussten die Betroffenen noch nicht, dass ihr Fahrzeug damit eine weitere unzulässige Abschalteinrichtung bekam. Eine Klage war Betroffenen erst zumutbar, nachdem der Europäische Gerichtshof im Jahr 2022 das Thermofenster klar als illegal bewertet hatte. Die Verjährung begann dementsprechend frühestens 2022. Ein Ende der Diesel-Verfahren ist noch lange nicht in Sicht.
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Zu dem neueren von Volkswagen entwickelten Motortyp EA 288 liegen derzeit etwa 10.000 Klagen bei den Gerichten. Das Oberlandesgericht Naumburg verurteilte Volkswagen zu Schadensersatz von über 20.000 Euro wegen einer illegalen Abschalteinrichtung in einem VW Golf VII 2, obwohl es keinen amtlichen Rückruf durch das Kraftfahrtbundesamt gab (09.04.2021, Az. 8 U 68/20). Eine Auswahl von Urteilen findet sich bei Professor Heese, Universität Regensburg im Rahmen des Projekts Dieselskandal. Ein Urteil des Bundesgerichtshofs zum Nachfolgemotor EA 288 steht noch aus.
Mehr als 10.000 Klagen gibt es auch zu den 3-Liter-Dieselmotoren der Typen EA 897 und 896 (federführend von Audi entwickelt), bei denen das Kraftfahrtbundesamt illegale Abschalteinrichtungen entdeckt hat. Für mehr als 200.000 Fahrzeuge von Audi, Volkswagen und Porsche hat das Amt einen amtlichen Rückruf angeordnet.
Das Oberlandesgericht Frankfurt urteilte zum Beispiel, dass die von der Audi AG verwendete schadstoffmindernde, sogenannte schnelle Aufwärmfunktion eine unzulässige Abschalteinrichtung ist. Die Kläger konnten das Auto zurückgeben und erhielten Schadensersatz (24.02.2021, Az. 4 U 257/19 und 4 U 274/19). Eine Auswahl von Urteilen zu den von Audi gebauten Dieselmotoren EA 897 und EA 896 findet sich auch bei Professor Heese, Universität Regensburg im Rahmen des Projekts Dieselskandal.
Neben dem VW-Konzern sind auch andere Autobauer wie Mercedes oder BMW in den Diesel-Abgasskandal verstrickt. Auch deren Motoren hat das Kraftfahrtbundesamt wegen illegaler Abschalteinrichtungen bemängelt. Es gibt bereits einige Urteile, die zugunsten der Verbraucher ausgegangen sind. Für all diese Verfahren ist das BGH-Urteil zum VW-Abgasskandal wichtig, da sich viele Grundsätze auf andere Dieselfälle übertragen lassen. Dabei geht es auch um die Frage, wer was beweisen muss.
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