Retouren: Wenn der Kunde nicht mehr König ist
Amazon-Kunden kennen das: Ständig kommen E-Mails von dem Online-Händler. Bestellbestätigung, Versandbestätigung, Paket liegt in Filiale, Paket wurde abgeholt. In der Mail-Flut hätte Finanztip-Mitarbeiter Reinhard fast die Nachricht mit dem unscheinbaren Betreff „Ihr Kundenkonto bei Amazon.de“ übersehen. In der Mail heißt es unheilvoll: „In den letzten Monaten haben Sie eine außergewöhnlich hohe Anzahl der bestellten Artikel wieder an uns zurückgesendet.“ Das ist Amazons Weg, einem Kunden klarzumachen, dass Amazon auch auf ihn verzichten kann.
Der Kunde ist König, so heißt es im Volksmund. Und Amazon eilt der Ruf voraus, so kundenfreundlich wie sonst niemand zu sein. Und tatsächlich ist der Online-Riese sehr kulant – und auch deshalb so erfolgreich. Doch offenbar hat das Grenzen. Denn Amazon schmeißt auch Kunden raus, die das Unternehmen für zu teuer hält.
Zu oft die Hotline angerufen
Unser Kollege hatte gar nicht so viel zurückgeschickt. Aber er rief mehrfach den Kundendienst an. Zum Beispiel, weil eine Lieferung nicht ankam. Es sieht so aus, als sammelten Kunden, die häufig anrufen, eine Art von „Strafpunkten“. Jedenfalls ging die Verwarnung raus.
Wie unsere Recherche ergab, ist die Mail der erste Warnschuss – und noch kein Grund zur Sorge. Bis Amazon das Konto sperrt, muss mehr passieren. Macht der Kunde aber so weiter, löst Amazon die zweite Warnstufe aus. Diese Mail klingt dann schon bedrohlicher: „Bleibt Ihr derzeitiges Retourenverhalten so außergewöhnlich wie bisher, behalten wir uns das Recht vor, Ihr Amazon.de Konto zu schließen.“ (Die kompletten Mails finden Sie hier.)
Die Warnung unbedingt ernst nehmen
Wer so eine Mail erhält, fühlt sich garantiert nicht mehr wie ein König. Falls Sie trotzdem Amazon-Kunde bleiben wollen, sollten Sie dem Kundendienst unbedingt die Retouren erklären.
Wenn am Ende tatsächlich das Konto gesperrt wird, soll es sich um einen der „seltenen Fälle“ handeln, in denen jemand „unseren Service über einen längeren Zeitraum missbraucht“. So erklärte es Amazon auf Finanztip-Nachfrage.
Otto und Zalando gelassener
Millionen Deutsche bestellen neben Amazon auch bei Otto, Zalando oder anderen Online-Shops – und schicken zurück, was ihnen nicht gefällt. Das ist auch ihr gutes Recht. Ein Sprecher von Otto versichert uns: „Wir sperren keine Kundenkonten wegen übermäßiger Retouren.“ Und die Nummer 3 am deutschen Markt erklärt: „Zalando sperrt Kundenkonten nur auf Kundenwunsch oder falls es zum Betrugsfall kommen sollte.“
Offenbar sind die deutschen Konkurrenten toleranter als der US-Konzern. (Falls Sie andere Erfahrungen gemacht haben, melden Sie sich bitte bei uns.) International gibt es auch richtig rabiate Verkäufer. Ohne Vorwarnung verloren jüngst Kunden der Einkaufsplattform Wish ihren Zugang – und konnten sogar bereits aufgegebene Bestellungen nicht mehr reklamieren. Wish beteuert, man habe die Regeln für Kontosperrungen mittlerweile an das „typische Einkaufsverhalten unserer deutschen Kunden“ angepasst.
Lauter Dienste fehlen plötzlich
Nun gibt es Schlimmeres, als wenn einen der Online-Shop aussperrt. Aber Amazon verkauft ja nicht nur Sachen, da gibt es noch den E-Book-Reader Kindle, die Sprachsteuerung Alexa und das Videostreaming Prime Video. All das ist in Gefahr oder zumindest nicht mehr so komfortabel zu nutzen, wenn Amazon einen rauswirft.
Es gibt eine Reihe von Gründen, nicht zu viel über Amazon zu machen. Reinhard hat die Erfahrung zum Anlass genommen, mehr bei der Konkurrenz zu bestellen. Und seinen Kindle hat er gegen einen E-Book-Reader von Tolino getauscht. Sicher ist sicher.
Im Blog finden Sie die Amazon-Mails im Volltext.