Hallo liebe Forenteilnehmer,
die letzten Diskussionsbeiträge (z.B. @Taxxer #873; @Fuchs0815 #877; @berghaus '880) zeigen doch ganz deutlich, dass auch nach den beiden BGH-Entscheidungen vom 21.2.2017 noch viele Fragen offen sind - es fehlen im Übrigen ja wohl noch immer die vollständigen Entscheidungsgründe zum zweiten BGH-Urteil.
berghaus: Ich gebe Ihnen vollkommen Recht, dass bei den BHW-Tarifen vor 1999 unter Zugrundelegung der vom BGH unter Rz. 81 geäüßerten Rechtsansicht der Zeitgewinn für längere Zinszahlungen wohl relativ kurz ist. Bei dem von mir unter #876 genannten Fall (Tarif BHW DISPO PLUS; Vertragsbeginn: 24.2.1998) waren es wohl sogar nur einige Monate. Die Frage ist aber doch auch, welche rechtlichen Konsequenzen es hat, wenn das BHW bereits vor Ablauf des maßgebenden Zeitpunkts auf der Grundlage des § 489 I Nr. 2 BGB gekündigt hat, weil es fälschlicherweise (so jedenfalls nach BGH) das davor liegende Datum der Zuteilungszusage als maßgeblich erachtet hat? Damit hat das BHW (konsequenterweise) auch die in dieser Vorschrift genannte 6-Monatsfrist nicht eingehalten. Erfreulicherweise hat der BGH in seiner Entscheidung wohl ja auch klar zum Ausdruck gebracht, dass alle anderen im Wüstenrot-Verfahren herangezogenen Rechtsgrundlagen für eine Kündigung (insbesondere § 488 III BGB) nicht durchgreifen. Wird dann eine rechtlich fehlerhafte Kündigungserklärung "irgendwann" wirksam, ist sie in eine fehlerfreie umzudeuten oder trägt - was ich für überzeugender halte - derjenige, der die Kündigung erklärt - das volle Risiko, dass die Kündigung den rechtlichen Vorschriften entspricht? - Das hätte zur Folge, dass einer solchen fehlerhaften Kündigungserklärung keine vertragsbeendigende Wirkung zukommt, mithin der Vertrag (mit der Konsequenz des höheren Zinsanspruchs) jedenfalls so lange fortbesteht, bis die Bausparkasse eine rechtlich einwandfreie Kündigung erklärt. Auf diese Weise kämen für den Bausparer im Hinblick darauf, dass die erste Welle von Kündigungserklärungen wohl Ende 2014 erklärt worden sind, unter dem Strich jedenfalls 2 - 2 1/2 Jahre dazu, selbst wenn das BHW jetzt in den (möglicherweise) unter die Rz. 81 des BGH-Urteils fallenden Fällen alsbald entsprechende neue Kündigungsschreiben verschicken sollte.
In dem Zusammenhang eine Frage an die Forenteilnehmer allgemein: Hatte denn irgendjemand von Euch/Ihnen auch nur ansatzweise damit gerechnet, dass der BGH die von ihm unter Rd. 81 als Beispiel ("z.B.") genannte Fallkonstellation explizit als - einzige - Ausnahme von der vom BGH selbst unter Rz. 80 aufgestellten Regel nennen würde? Ich hatte da eher andere Fallkonstellationen im Auge wie z.B. die von @berghaus #880 eindrucksvoll wiedergegebene Anpreisung des BHW zum Disp maXX (2003). Die BGH-Formulierung zu Rz. 81 lässt ja durchaus auch noch Spielraum, weitere Beispiele zu formulieren und nicht alles, was ein Vertragspartner dem anderen bei Vertragsschluss verspricht (oder sogar zusagt!) als nicht Vertrags relevantes Werbeversprechen anzusehen.
Ich habe die Diskussion der letzten Jahre zur Frage der Rechtswirksamkeit der Kündigung alter (hochverzinster) Bausparverträge zwar nicht in allen Verästelungen verfolgt, war und bin aber doch privat (im Hinblick auf verwandtschaftliche Beziehungen und in meiner Funktion als Beirat einer Wohnungseigentümergemeinschaft) mit der Kündigungspraxis verschiedener Bausparkassen (BHW, Wüstenrot, Debeka, Aachener - vormals Huk) befasst. Die Bausparkasse Wüstenrot war hierbei sicher nicht die Bausparkasse, über die ich mich am meisten geärgert habe. Und der vom BGH entschiedene Wüstenrot-Fall, in dem die vollständigen Entscheidungsgründe nunmehr vorliegen, ist aus meiner Sicht in der Tat eher ein "klassischer" Bausparvertrag, auch wenn er von Wüstenrot offenbar zusätzlich mit dem Argument "Altersvorsorge" vertrieben worden ist: Vertragsschluss 13.9.1978; Bausparsumme 40.000 DM; Zuteilungsreife ab 1.4.1993; Kündigung zum 24.7.2015. Die Bausparerin konnte sich also immerhin fast 38 Jahre lang über "üppige" Zinsen freuen. Und die Bausparkasse hat nach der Zuteilungsreife auch noch mehr als zwanzig Jahre Geduld gezeigt.
Die BHW-Verträge sind aus meiner Sicht jedenfalls mit diesem Wüstenrot-Vertrag nicht ohne weiteres vergleichbar. Allgemein: Seinem Wesen nach dient der Bausparvertrag sicher der wohnwirtschaftlichen Verwendung und gibt dem Bausparer ein Recht auf ein ("zinsgünstiges") Bauspardarlehen. Es darf aber doch nicht übersehen werden, dass jede Bausparkassse eine Fülle von Bauspartarifen angeboten hat und noch immer anbietet, um - gerade in der Konkurrenz zu anderen Finanzprodukten - möglichst viele Kunden anzusprechen. Ein aktueller Bausparvertragsvergleich stellt z.B. die Eingangsfrage "Wie möchten Sie den Bausparvertrag nutzen?" und gibt als Auswahlmöglichkeiten a) den Bausparvertrag zur Immobilienfinanzierung, b) das Bausparen als Altersvorsorge, c) das Bausparen mit maximaler staatlicher Förderung und d) den Bausparvertrag als Geldanlage. Je nach dem vom Bausparer geäußerten Wunsch schlägt er dann aus der Fülle der Bauspartarife verschiedener Bausparkassen einen oder mehrere dem Wunsch entsprechende optimale Bauspartarife vor. Ein eigenes Beispiel: Ich habe für meine bei jeweiligem Vertragsschluss über 16 Jahre alten Kinder diverse Bausparverträge mit der Mindestbausparvertragshöhe (10.000 DM) abgeschlossen allein zu dem Zweck, dass sie die staatliche Förderung erhalten, ggf. der Arbeitgeber zusätzlich darauf VL-Leistungen einzahlt und die Bausparkasse vielleicht sogar noch einen Ausbildungsbonus gewährt und im Falle eines Darlehensverzichts die Abschlussgebühr erstattet und ei Bonus gewährt wird. Also unter dem Strich reine Renditebausparverträge, bei denen die Vertragsparteien schon aufgrund der Gesamtumstände übereinstimmend davon ausgegangen sind, dass kein Bauspardarlehen in Anspruch genommen wird.
Bei dem von berghaus#880 genannten Anpreisungsbeispiel betr. dern Tarif Dispo maxxs (2003) frage ich mich im Übrigen persönlich schon, ob dem BHW in diesem Fall nicht zumindest der Vorwurf des widersprüchlichen Verhaltens entgegengehalten werden kann, nämlich einerseits seinerzeit massiv (man kann es auch "aggressiv" nennen) völlige Wahlfreiheit versprochen zu haben, dieses Versprechen aber jetzt mit der Kündigung wegen Nichtabrufens des Darlehens nicht mehr wahrhaben zu wollen. Einem widersprüchlichen Verhalten kann unter dem Gesichtspunkt des venire contra factum proprium im Einzelfall durchaus rechtliche Bedeutung zukommen. Auch ansonsten können Gesichtspunkte von Treu und Glauben der Ausübung eines Rechts im Einzelfall einmal Grenzen setzen. Auch in der BGH-Entscheidung vom 21.2.2017 wird zumindest an einer Stelle (Rz. 33) der Grundsatz von Treu und Glauben (allerdings unter einem anderen rechtlichen Aspekt) erwähnt
Letztlich zeigen diese Fragen nur, dass es auch angesichts der beiden BGH-Entscheidungen noch durchaus rechtlich offene Flanken gibt. Auch über die vom OLG Celle verneinte Frage, ob die Bonuszinsen zum Bausparguthaben gerechnet werden dürfen mit der Folge, dass die Bausparsumme früher erreicht wird, ist meines Wissens ja höchstrichterlich noch nicht entschieden.
Ich habe auf der Homepage des BGH unter der aktuellen Terminvorschau recherchiert, ob dort schon weitere Termine zur Thematik "Kündigung hochverzinster Bausparverträge durch die Bausparkassen" genannt sind, bin aber dort nicht fündig geworden. Wenn jemand aus diesem Forum insoweit mehr weiß, wäre ich natürlich dankbar, dies zu erfahren.
Vermutlich werden ja einige beim BGH anhängige Revisionen von Bausparern im Hinblick auf die beiden Grundsatzentscheidungen des BGH v. 21.2.2017 zurückgenommen werden. Ich würde mir aber wünschen, dass der BGH in absehbarer Zeit auch noch über einen offensichtlichen Renditebausparvertrag des BHW zu entscheiden hat, auch wenn das Ergebnis schwer vorhersehbar und das Kostenrisiko für den nicht Rechtsschutz versicherten Bausparer damit wohl unvertretbar ist. Vielleicht können sich ja aber Verbraucherschützer und/oder Rechtsschutzversicherungen darauf verständigen, einen besonders krassen Fall als "Musterfall" zur Entscheidung zu bringen.
Grüße
obiter25 (27.3.2017)
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