Abgeltung gesetzlicher Urlaubsanspruch bei Erwerbsminderungsrente - Verfall/Verjährung?

  • Hallo Zusammen,


    es geht um einen Arbeitnehmer, der Anfang d. J. in unbefristete Erwerbsminderungsrente geschickt wurde. Damit endete das bis dahin noch bestehende Arbeitsverhältnis, das aufgrund einer befristeten Erwerbsminderungsrente geruht hat.


    Entgegen dem tariflichen Urlaub entsteht der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch auch, wenn z. B. aus Erwerbsunfähigkeit der Arbeitnehmer im Kalenderjahr keinen Tag gearbeitet hat. Lt. Entscheidung des EuGH von 2011 ist das zeitlich unbegrenzte Ansammeln von Urlaubsansprüchen arbeitsunfähiger Arbeitnehmer nicht mehr möglich. Der Urlaub verfällt dementsprechend 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres.


    Der Arbeitnehmer hat unmittelbar nach Ende des Arbeitsverhältnisses, also noch vor dem 31.03.2024, um die Abgeltung des zustehenden Urlaubsanspruchs gebeten. Aufgrund von Arbeitsüberlastung ist der Arbeitgeber dem erst nach mehrmaligem Erinnern und hat nach mehreren Monaten die Abgeltung des gesetzlichen Urlaubsanspruchs für 2023 ausgezahlt.


    M. E. hat der Arbeitnehmer auch Anspruch auf Abgeltung des gesetzlichen Urlaubsanspruch aus 2022, da er ja vor dem 31.03.2024 um die Abgeltung des zustehenden Urlaubsanspruchs gebeten, und damit innerhalb der 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres. Oder kann sich der Arbeitgeber sich darauf den Verfall des Urlaubs berufen, da er die Abgeltung erst nach dem 01.04.2024 vorgenommen hat oder der Arbeitnehmer nicht explizit auch das Jahr 2022 beim Geltend machen genannt hatte?


    Wie seht ihr hier den Fall? Herzlichen Dank für eure Einschätzung und liebe Grüße


    Pauline

  • Hallo Pauline, ich versuche mal ohne spezielle arbeitsrechtliche Kenntnisse da dran zu gehen.

    Der Arbeitnehmer hat unmittelbar nach Ende des Arbeitsverhältnisses, also noch vor dem 31.03.2024, um die Abgeltung des zustehenden Urlaubsanspruchs gebeten.

    Aus den Angaben darüber schließe ich, dass A. zum 31.12.2023 gekündigt ist und im Januar 2024 die Abgeltung des Urlaubsanspruchs ohne Nennung eines Kalenderjahres gefordert.


    Strittig ist der gesetzliche Urlaubsanspruch aus dem Jahr 2022.


    Du machst auf einen Unterschied zwischen tariflichem und gesetzlichen Urlaubsanspruch aufmerksam, nach dem der gesetzliche Urlaubsanspruch erst nach 15 Monaten verfällt und nicht schon am 31.3. des Folgejahres. Mir war wie vermutlich den meisten anderen (und vielleicht auch dem Arbeitgeber) nicht klar, dass überhaupt zwischen tariflichem und gesetzlichen Urlaubsanspruch unterschieden wird.


    Danach wäre im Januar 2024 der gesetzliche Urlaubsanspruch aus 2022 nicht verjährt. Dass im Schreiben nicht explizit das Jahr 2022 genannt wurde, ist nach meiner Auffassung unbedeutend. Der Arbeitgeber sollte selbst wissen, wie viele Tage welchen Typs Urlaub aus welchem Jahr zustanden, genommen oder nicht genommen wurden. Dass nach Beendigung eines Arbeitsverhältnisse nach Aufforderung des Arbeitnehmers alle noch nicht genommenen und nicht verjährten Urlaubstage und nicht nur die aus 2023 ist selbstverständlich.


    Könnte es helfen, wenn man auch dem Arbeitgeber diesen Unterschied erklärt? Wenn er bisher aus Unwissenheit so agiert hat, könnte man die Sache vielleicht noch geräuscharm aus der Welt bringen.

  • Der durchschnittliche Arbeitnehmer ist gegenüber seinem Arbeitgeber in der schwächeren Position. Man tut wohl daran, das vor Augen zu haben und sich rechtzeitig zu positionieren. Die Erwerbsminderungsrente hat sich ja angekündigt. Es wäre wohl kein Schaden gewesen, sich rechtzeitig arbeitsrechtlich beraten zu lassen, etwa bei der Gewerkschaft oder einem Arbeitsrechtler. Ich kann nicht einschätzen, ob sich das jetzt noch nachholen läßt, aber öfters gilt halt mal: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Wenn Fristen verstrichen sind, sind sie verstrichen.


    Ich hätte meinen Arbeitgeber vermutlich nicht gebeten, sondern mit Fristsetzung aufgefordert und bei Verstreichen der Frist auch nachgehakt.


    Es geht wohl um Abgeltung des gesetzlichen Urlaubsanspruchs des Jahres 2022. Der gesetzliche Urlaubsanspruch beträgt 4 Wochen, es geht also um ein Monatseinkommen. Ich kann nicht einschätzen, ob ein solcher Anspruch überhaupt besteht und ob man diesen Anspruch nun noch durchsetzen kann. Es wäre vermutlich Zufall, in einem Forum auf einen Foristen zu stoßen, der in der gleichen Lage war und berichten kann, wie es ihm ergangen ist. Ich würde vermutlich einen Arbeitsrechtler in Anspruch nehmen. Nein, würde ich nicht, hätte ich längst.

  • Du machst auf einen Unterschied zwischen tariflichem und gesetzlichen Urlaubsanspruch aufmerksam, nach dem der gesetzliche Urlaubsanspruch erst nach 15 Monaten verfällt und nicht schon am 31.3. des Folgejahres. Mir war wie vermutlich den meisten anderen (und vielleicht auch dem Arbeitgeber) nicht klar, dass überhaupt zwischen tariflichem und gesetzlichen Urlaubsanspruch unterschieden wird

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    Könnte es helfen, wenn man auch dem Arbeitgeber diesen Unterschied erklärt? Wenn er bisher aus Unwissenheit so agiert hat, könnte man die Sache vielleicht noch geräuscharm aus der Welt bringen.

    Herzlichen Dank für diese Anregung, Pantoffelheld , auf diese Idee war ich noch gar nicht gekommen, da es ein größeres Unternehmen ist und die Personalabteilung sind wohl "Human Ressources" nennt 🙄
    Ich werde das mal so weitergeben, vielleicht hatte der Personaler den Unterschied zwischen tariflichem und gesetzlichem Urlaubsanspruch wirklich nicht auf dem Schirm oder hat nach dem Motto gehandelt, man kann es ja mal versuchen 😉


    LG Pauline



    Hier noch einige Quellenangaben zum gesetzlichen Urlaubsanspruch bei lang andauernder Erwerbsunfähigkeit / Erwerbsminderungsrente. Kann ja evtl. auch für andere hilfreich sein, wenn sie auf diesen Thread stoßen:


    Urlaubsanspruch bei Erwerbsminderungsrente
    Urlaubsanspruch bei Erwerbsminderungsrente: AN haben Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, wenn sie im ganzen Urlaubsjahr arbeitsunfähig krank waren.
    www.haufe.de




    rehm eLine | TV-L Kommentar - 5.1.2.10 Sonderfall: befristete Erwerbsminderungsrente


    Newsbeitrag auf www.arbrb.de


    Urlaubsabgeltung – langandauernde Krankheit – Erwerbsminderungsrente
    Der Zwist um Urlaubsabgeltung bei Langzeiterkrankung und Rentenantrag Es geht um eine Auseinandersetzung, die uns die Feinheiten des Arbeitsrechts verdeutlicht
    www.arbeitsrechtsiegen.de

  • Der durchschnittliche Arbeitnehmer ist gegenüber seinem Arbeitgeber in der schwächeren Position. Man tut wohl daran, das vor Augen zu haben und sich rechtzeitig zu positionieren. Die Erwerbsminderungsrente hat sich ja angekündigt.

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    Ich würde vermutlich einen Arbeitsrechtler in Anspruch nehmen. Nein, würde ich nicht, hätte ich längst.

    Herzlichen Dank für deinen Beitrag, Achim Weiss , ja, das wäre der bessere Weg gewesen. Aber es ist jetzt nun mal so, wie es ist und unter normalen Umständen hätte der Betreffende evtl. auch so planvoll gehandelt. Aber die Erwerbsunfähigkeit kommt ja nicht von ungefähr und ein gesunder Mensch hat viele Wünsche, ein kranker meist nur einen. Bei einer befristeten Erwerbsminderungsrente besteht ja das Arbeitsverhältnis ruhend weiter, während es i.d.R. bei unbefristeter Erwerbsminderungsrente zum ersten des Folgemonats nach Zugang des Bescheids endet. Das die Erwerbsminderungsrente so schnell schon unbefristet beschieden werden würde, war auch nicht erwartet worden.


    Vielleicht trifft ja auch der Gedankengang von Pantoffelheld zu, s. o. und die Personalabteilung hatte das nur nicht auf dem Schirm. Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt 😉


    LG Pauline

  • Wir haben hier im Forum immer wieder Anfragen, in denen ein Betroffener irgendwelche Dinge problematisiert. Die Leute hier stellen fest, daß er beispielsweise etwas hätte beantragen müssen, die Frist dafür aber versäumt hat. Daraufhin läuft der Betroffene zu großer Form auf und bringt Belege herbei, die er sinnvollerweise beispielsweise seinem Arbeitgeber oder einem Gericht gegenüber beigebracht hätte, oder er fragt hier im Forum nach Kulanz.


    Es bringt nichts, eine Diskussion in einem Forum zu "gewinnen". Ein Forum dient lediglich der Information, entscheiden kann es nichts. Selbst dann, wenn einer hier was Falsches schreibt und der Anfrager weist ihm das nach, bringt das den Anfrager in seinem eigenen Anliegen keinen Schritt weiter.


    Es wäre menschlich verständlich, wenn ein Mensch, der so krank ist, daß er nicht mehr arbeiten kann und daher eine Erwerbsminderungsrente bekommt, keinen Kopf für irgendwelche Fristen hat. Das ändert nichts daran, daß er sich ggf. Nachteile einhandelt, wenn er Fristen versäumt.


    Offenbar weiß keiner hier, ob man einen Arbeitgeber dazu verpflichten kann, noch eineinhalb Jahre nach dem Ablauf des zugehörigen Urlaubsjahres einen Urlaub abzugelten, der dem Mitarbeiter formal zugestanden hätte. Auch weitere Diskussion dürfte daran nichts ändern. Also sollte man einen Fachmann fragen.

  • Ein Forum dient lediglich der Information, entscheiden kann es nichts. Selbst dann, wenn einer hier was Falsches schreibt und der Anfrager weist ihm das nach, bringt das den Anfrager in seinem eigenen Anliegen keinen Schritt weiter.

    Genau darum ging es mir, Achim Weiss , Informationen zu sammeln, nicht um eine rechtliche Beratung oder sogar verbindliche Auskunft zu erhalten. Mit der Anregung von Pantoffelheld , dass der AG evtl. den bestehenden Anspruch aus 2022 gar nicht auf dem Schirm hatte, ist dem Betreffenden m. M. n. schon mal geholfen. An diese Möglichkeit hatte weder ich noch er bisher überhaupt gedacht. Er wird jetzt erstmal diesbezüglich bei seinem ehem. AG vorstellig. Die große Keule mit Rechtsbeistand usw. kann ja dann immer noch folgen.


    Nein, eineinhalb Jahre nicht aber in den Sonderfällen bzgl. des gesetzlichen Urlaubsanspruchs bei befristeter Erwerbsminderungsrente sind die Entscheidungen des EuGH und BAG eindeutig. Dieser verfällt jeweils 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres.


    Ansonsten stimme ich dir bei den angeführten Punkten natürlich gerne zu.


    LG Pauline

  • Vorher an etwas denken (und danach zu handeln) ist fast immer eine gute Idee. Manchmal unterbleibt das. Häufig, weil man gar nicht geahnt hatte, das es etwas zu bedenken gibt. Oder man war krank oder hat gerade gebaut oder hatte ein kleines Kind und hat die Priorität auf die Bewältigung der Aufgaben des jeweiligen Tages gesetzt.


    Wir sollten Anfragen hier im Forum der Art "ich habe nicht aufgepasst und darum ist mir etwas Dummes passiert" nicht beantworten mit "wenn Du besser aufgepasst hättest, dann wäre Dir das aber nicht passiert", sondern uns auf die beiden Dinge konzentrieren, die uns weiterbringen: 1. Was kann man jetzt noch tun? 2. Was können die anderen daraus lernen? Gerade in dem zweiten Punkt kann viel Nutzen stecken, auch im Nachhinein und für Nur-Leser. (Mich hat die Beschäftigung damit auf einen Fall gebracht, bei dem ich die Abgeltung der Urlaubstage auch noch offen ist. Da könnte die nebenbei wiedergefundene -mir eigentlich bekannte- Hinweispflicht des Arbeitgebers ein guter Ansatz sein, um noch mal über den Urlaub von 2022 und 2023 zu reden.)


    1.Pauline ich habe eine kleine Umfrage unter Personalverantwortlichen in mittelgroßen Betrieben mit sehr ordentlich arbeitender Personalabteilung zu dem Thema gemacht. Der Unterschied zwischen gesetzlichem und tariflichem Urlaubsanspruch war bekannt. Man orientiert sich am tariflichen Anspruch, weil dieser über den gesetzlichen hinausgeht. Dass im gesetzlichen Regelungen stecken, die für den Arbeitnehmer günstiger sein könnten, wurde bisher nicht in Betracht gezogen. Die Umfrage basiert aber auf einer extrem kleinen Grundgesamtheit und es waren keine Mitarbeiter aus Personalabteilungen dabei.

  • 2. Was können die anderen daraus lernen? Gerade in dem zweiten Punkt kann viel Nutzen stecken, auch im Nachhinein und für Nur-Leser.

    ...

    Dass im gesetzlichen Regelungen stecken, die für den Arbeitnehmer günstiger sein könnten, wurde bisher nicht in Betracht gezogen.

    Ich finde es sehr, sehr traurig, dass wir bei uns, im Gegensatz zu manchen anderen Staaten, keine Fehlerkultur haben. Fehler sind bei uns etwas ganz schlimmes, die es zu vermeiden gilt und wenn diese natürlicherweise doch passieren, sie zu leugnen und zu vertuschen so lange es nur irgendwie geht. Dabei haben Fehler doch auch ihren Nutzen, man kann daraus lernen. Sie zu kennen, zu analysieren gibt die Chance diese zukünftig zu vermeiden, nicht nur man selbst sondern auch viele andere. Andersausgedrückt, eine offene Fehlerkultur bringt ein Gemeinwesen deutlich weiter. Das ist meine Überzeugung. Ja, damit andere, die auf diesen Thread stoßen und in der gleichen Lage sind, von meinen Erkenntnissen auch profitieren können, hatte ich oben ja auch extra noch mal die Quellenangaben gepostet. So habe ich es i.d.R. immer gehalten, das Leben ist ein Geben und ein Nehmen, das Sitzen auf Herrschaftswissen bringt schlussendlich auch einen selbst nicht weiter. Im Austausch liegt die Weiterentwicklung.


    Ja, deine Anregung, dass der Personaler die weitergehende Regelung des gesetzlichen Urlaubsanspruchs in diesen Fällen evtl. gar nicht auf dem Schirm hatte, hat mich auch erst zum Nachdenken diesbezüglich gebracht. Mal schauen, was der Betreffende erreicht, wenn er seinen Arbeitgeber in den nächsten Tagen explizit auf diese Regelung für Langzeitkranke im Übergang zur Erwerbsminderungsrente anspricht.

    LG und einen schönen Sonntag

    Pauline