Drehen der Zinsstrukturkurve: Wann würdet ihr damit rechnen?

  • Hallo zusammen,


    angenommen im kommenden März würde ein überschaubarer Kreditbaustein einer Immobilienfinanzierung fällig. Dieser wäre (zum Glück) klein genug, um auf Grund der gestiegenen Zinsen nicht massiv "weh zu tun", aber (leider) zu klein, als dass man die Bank für die Anschlussfinanzierung noch wechseln könnte. In so einer Situation bliebe ja nur, bei der finanzierenden Bank zu bleiben und zu überlegen, welche Laufzeit man für die Prolongation wählt.


    Derzeit stellt sich die Zinsstruktur massiv invers dar:

    Variabler Zins: 6,27%

    Festschreibung 1 Jahr: 4,29%

    Festschreibung 10 Jahre: 3,37%


    Ich persönlich rechne auf Grund der Inflations- und Konjunkturentwicklung mit weiter fallenden Zinsen, weswegen ich zu einer kurzen Prolongationslaufzeit tendieren würde. Mehr Potenzial als in einer kurzfristig massiven Senkung des Gesamtzinsniveaus sehe ich aber in einem Drehen bzw. Abflachen der Zinsstrukturkurve. Sprich: Ich würde hoffen, dass auch am kurzen Laufzeitende (1-3 Jahre) das Zinsniveau bald wieder fällt und wie über die meiste Zeit historisch gesehen üblich auch wieder unter dem Zinsniveau längerer Laufzeiten (5-10 Jahre) liegt.


    Wie würdet ihr die Situation einschätzen? Welche historischen Erfahrungen bzw. Vergleiche gibt es zum Wechsel von einer "inversen" in eine "normale" Zinsstruktur? An 2008 kann ich mich persönlich noch erinnern, aber davor? Hat jemand ansonsten gute Tipps für die beschriebene Situation oder ist selbst gerade am überlegen bezüglich Baufi/Prolongation/Foreward-Darlehen, etc.?


    Danke und Gruß

    FT-User

  • Habe auch keine Glaskugel, aber ich würde die Finanzierung auf 10 Jahre nehmen und schauen, noch eine Sondertilgung rein zu verhandeln. Dann möglichst schnell tilgen, vielleicht klappt es ja statt in 8 Jahren auch schon in 6.


    Ein Zinssatz von 3,37% ist historisch langfristig gesehen immer noch günstig. Auch wenn die Zinsen ab nächstes Jahr wieder sinken, wie tief wird das dann sein? Prognosen, die ich gesehen habe, gehen von langfristig um die 2,7% Leitzins aus. Damit würdest Du in der Baufinanzierung auch nicht merklich unter 3,37% kommen.

  • LebenimSueden: Wäre das einfachste. Aber würde man sich um Prolongationsbedingungen Gedanken machen, wenn man genau die passende Summe gerade nutzlos rumliegen hätte? ;)


    Bleiben wir mal in dem Szenario bzw. der Ausgangsfrage: Wie haltet ihr es mit der Religion, äh, Zinseinschätzung bezüglich der Zinsstrukturkurvenentwicklung in den nächsten 1-2 Jahren? Mich interssiert wie gesagt das Drehen der Zinsstrukturkurve mehr als die Veränderung des 10 Jahres-Zinses in den nächsten Jahren!

  • FinanzPanda: Würde man bei den von dir genannten Zahlen mit genau der Strategie dann nicht genau deutlich schlechter fahren? Also bei der derzeitigen Inflationsentwicklung würde ich z.B. mit 2,7% in etwa einem Jahr rechen, sodass ich für ein Jahr in den sauren Apfel beißen würde und die 4,29% akzeptieren würde. Dann hätte ich aber die Möglichkeit auch wieder kurzfristig zu verlängern und bei einer normalen Zinsstruktur dann z.B. bei 2-3 Jahren Laufzeit auch deutlich günstiger als mit 2,7%, wenn diese 2,7% dem 10-Jahres-Zins entsprechen...

  • Du operierst da mit vielen Annahmen, die so kommen können oder auch nicht. Wenn der Leitzins wirklich bei 2,7% liegt (was auch ungewiss ist), dann bedeutet das noch lange nicht, dass 10-Jahre Bargeld auch für 2,7% zu bekommen ist.

  • Ausgangsfrage: Wie haltet ihr es mit der Religion, äh, Zinseinschätzung bezüglich der Zinsstrukturkurvenentwicklung in den nächsten 1-2 Jahren? Mich interssiert wie gesagt das Drehen der Zinsstrukturkurve mehr als die Veränderung des 10 Jahres-Zinses in den nächsten Jahren!

    Das weiß einfach keiner. Vor zwei oder drei Jahren hätte auch niemand gedacht, dass die Zinsen so schnell so (vergleichsweise) hoch steigen. Viele waren sogar überzeugt, die Zinsen KÖNNEN gar nicht deutlich steigen. Da haben Leute Finanzierungen auf fünf Jahre abgeschlossen, weil die 0,2% billiger waren als 10 oder 15 Jahre und weil sie dachten, die Zinsen bleiben dauerhaft so niedrig.


    Hast du mal in absoluten Zahlen ausgerechnet, was das bei dir konkret überhaupt für einen Unterschied macht und wo der „Break Even“ wäre?

  • LebenimSueden: Wäre das einfachste. Aber würde man sich um Prolongationsbedingungen Gedanken machen, wenn man genau die passende Summe gerade nutzlos rumliegen hätte? ;)

    Es gibt ja durchaus verschiedene Möglichkeiten. Irgendwelche Bausparverträge zum Beispiel oder den Riester, den man schon seit Jahren kündigen wollte. Oder du hast noch was in Festgeld rumliegen, weil man ja auch risikoarm investieren soll. Die würden zum Beispiel keinen Sinn machen, da du nach Steuern weniger bekommst, als du für den Immokredit zahlst

  • Habe auch keine Glaskugel, aber ich würde die Finanzierung auf 10 Jahre nehmen und schauen, noch eine Sondertilgung rein zu verhandeln

    So würde ich das auch machen. Und ich würde das Auslaufen der Zinsbindung nutzen, um möglichst viel abzulösen. Selbst wenn nicht die ganzen 35.000 EUR verfügbar sind - 10.000 EUR weniger reduzieren die Restschuld auch schon und damit die Relevanz des Zinssatzes.


    Edit: Oder die Rate erhöhen, um schneller durch zu sein und weniger Zinsen zu zahlen.

  • Ich würde nicht auf dauerhaft fallende bzw. niedrigere Zinsen als jetzt spekulieren. Historisch sind die Zinsen immer noch ungewöhnlich niedrig, vor allem die langfristigen Zinsen.


    Fundamental betrachtet gibt es massiven Investitionsbedarf, nicht nur in Deutschland, für die nächsten Jahrzehnte (CO2-Ausstieg/Energiewende, Digitalisierung, geopolitische Krisen). Auch die Inflation ist noch lange nicht besiegt. Die sog. "Zweitrundeneffekte" der aktuellen Lohnforderungen, Streiks und Bürgergelderhöhungen stehen uns erst noch bevor.


    Vielleicht dreht sich Deine aktuelle Zinskurve einfach nur um (3-4% am kurzen, 5-6% am langen Ende). Das entspräche in etwa dem historischen Durchschnitt. Aber es gab auch schon Zeiten, in denen für 10 Jahre wesentlich höhere Zinsen gezahlt werden mussten (8%, 10% oder sogar 12%). Zeiten mit 2% oder 3% am langen Ende sind dagegen ungewöhnlich.


    Insofern würde ich im Zweifel entweder tilgen oder die lange Zinsbindung wählen.

  • Interessant eure Tendenz zur längeren Zinsbindung! Wanderslust: Angenommen, genau dieses Drehen der Zinsstrukturkurve würde eintreten, dann macht es doch durchaus Sinn, jetzt erstmal für ein Jahr zu verlängern und dann auf die günstigeren 3-4% am kurzen Ende der Laufzeit zu setzen im Erwartung weiter fallender Zinsen. Ich würde mit diesem Baustein definitiv flexibel bleiben wollen, auch für den Fall höherer Sondertilgungen und/oder einem Immobilienverkauf. Damit wäre für mich in diesem Szenario die kurze Frist gesetzt.


    Mal als Frage an alle mit Erfahrung zu Zinsstrukturkurvenveränderungen: 2008 ging es meiner Erinnerung nach rezessionsbedingt relativ schnell, bis sich die „normale“ Zinsstruktur wieder eingestellt hatte. Wer hat Erfahrung mit den vorherigen Krisen und der Frage, in welchem Zeitraum die Zinsstruktur damals gedreht hat?

  • Wenn Du jetzt schon 3,37% für 10 Jahre festschreiben kannst, wieso sollte es dann sinnvoll sein jetzt für 1 Jahr 4,29% zu nehmen um dann anschließend “auf die günstigeren 3-4% am kurzen Ende der Laufzeit zu setzten”?


    Ist aber Dein Geld und Du kannst damit machen was Du willst. Geht ja auch nicht um Millionenbeträge. Mir scheint nur, dass Du vielleicht etwas zu schlau sein willst.

  • „… in Erwartung weiter fallender Zinsen.“


    Oder viel mehr wie weiter oben argumentiert: In Erwartung einer bald wieder drehenden Zinsstrukturkurve! ;)


    Ernsthaft: Hat jemand die Rezessionen und die Anpassung der Zinsstruktur auch in den Krisen vor 2008 erlebt und damals etwas daraus gelernt?

  • Historisch gesehen sind inverse Zinsstrukturkurven fast immer ein Indikator für eine anstehende Rezession gewesen. Diese Rezession hat dann regelmäßig zu sinkenden Leitzinsen geführt auch wenn die EZB Konjunkturförderung eigentlich nicht auf den Fahnen stehen hat. In der Finanzkrise 2007/2008 ist die Zinsstruktur meiner Erinnerung nach nur etwa ein Jahr in einen inversen Zustand gedreht um sich ab Herbst 2008 wieder zu normalisieren.


    Nachvollziehen kann man das für unterschiedlichste Daten seit Euro-Einführung manuell praktisch unter folgendem Link:

    Euro area yield curves
    The relationship between market remuneration rates and the remaining time to maturity of debt securities published by the ECB.
    www.ecb.europa.eu


    Kann sich jemand an frühere Krisen/Rezessionen/Umkehrungen der Zinsstruktur erinnern und/oder kennt jemand hierzu gute Studien bzw. Quellen? Vermutlich sind die Ölkrisen der 1970er/1980er Jahre nicht so uninteressant in diesem Kontext... Gerade weil uns die Glaskugel fehlt und wir finanzielle Entscheidungen treffen müssen, die leider immer mit einer etwas ungewissen Zukunft zu tun haben! :)

  • Was nützen den Erfahrungen aus der Vergangenheit?

    Erfahrungen aus der Vergangenheit sind nicht die Vorhersagen von Morgen. Und die Daten von morgen sind irgendwann Erfahrungen aus der Vergangenheit die sich wieder nicht als Daten für übermorgen einsetzen lassen.


    Kurzum, sag uns was du hören möchtest, das geht schneller. Denn wissen tut es zu 100 % hier eh keiner was in Zukunft passiert und wie der Markt/zins verläuft.


    Viel mehr ist die Frage: Welches Risiko kannst du tragen oder bist du bereit einzugehen. Und diese Entscheidung kann nur jeder für sich selbst treffen und keine anderen User, kein Forum oder keine Daten aus der Vergangenheit.

  • Hatte versucht meine Frage schon im Titel des Threads auf den Punkt zu bringen:

    Drehen der Zinsstrukturkurve: Wann würdet ihr damit rechnen?

    Vielleicht sollte man noch ergänzen: ... und warum würdet ihr zu diesem Zeitpunkt damit rechnen?

  • Ist alles bestenfalls gut geraten. Mach dich bei solchen Entscheidungen nicht davon abhängig, sondern mach dir einen Gesamtplan. Wenn ich es recht im Kopf habe, wolltest du demnächst nochmal bauen, dafür braucht man auch eine Ladung Eigenkapital. Das muss alles zusammenpassen