Hi Community,
ich stecke gerade in den letzten Zügen meiner ETF-Entscheidung und komme einfach nicht weiter. Nach dem Lesen von Gerd Kommer, Albert Warnecke und diverser Studien schwanke ich zwischen zwei Ansätzen. Vielleicht könnt ihr mir helfen, meinen blinden Fleck zu finden?
Ein wenig zu mir: Bin 34, habe durch verkaufte Anteile an einem Startup etwa 200k übrig, die jetzt endlich arbeiten sollen. Das entspricht ungefähr 30% meines Gesamtvermögens - der Rest steckt in einer kleinen abbezahlten Immobilie außerhalb Münchens, Tagesgeld für Reparaturen und den normalen Bedarf, plus Sparkonto als zusätzliche Absicherung. Alles eher entspannt und konservativ angelegt, daher kann ich hier bei den ETFs aggressiver werden und gehe 100% Aktien.
Das Geld brauche ich definitiv nicht in den nächsten 10+ Jahren. Mir ist absolut klar, dass ich als Laie den Markt nicht schlagen kann - das will ich auch gar nicht. Ich möchte nur möglichst geschickt diversifiziert sein und keine groben Schnitzer machen, daher all die Überlegungen.
Meine Überlegungen kreisen um diese beiden Varianten:
Option 1: Der "KISS"-Ansatz
Alles in Vanguard FTSE All-World
Nach Bogle's Philosophie: Je einfacher, desto besser. Ein ETF, fertig. Bekomme damit automatisch:
- USA: ~62% (entspricht aktueller Marktkapitalisierung)
- Developed Markets: ~28%
- Emerging Markets: ~10%
- Über 4000 Titel aus knapp 50 Ländern
- Kosten: 0,22% TER
Was mich überzeugt: Null Aufwand, kein Rebalancing, folgt dem natürlichen Marktgewicht. Hier ist praktisch alles drin - von Nvidia bis hin zu indischen IT-Unternehmen, von Schweizer Nestlé bis zu südkoreanischen Chipherstellern. Selbst kleinere Märkte wie Taiwan oder Brasilien sind automatisch dabei, ohne dass ich mir Gedanken machen muss.
Allerdings grübele ich über die hohe USA-Dominanz. Klar, historisch war das richtig, aber alle Bewertungsmetriken (Shiller-PE, Buffett-Indikator) schreien "teuer".
Option 2: Die bewusste Gewichtung
80% iShares MSCI World (IWDA) + 20% iShares MSCI EM IMI (EMIM)
Hier durchbreche ich bewusst die Marktkapitalisierung und erhöhe EM von ~10% auf 20%. Meine Gedanken dahinter:
- Diversifikation könnte langfristig belohnt werden
- EM haben strukturell höhere Wachstumsaussichten (Demografie, Aufholeffekt)
- Der EMIM inkludiert auch Small/Mid-Caps aus Schwellenländern
- Geringfügig niedrigere Gesamtkosten (~0,19%)
- USA-Anteil sinkt auf ~57%
Aber: Worauf verzichte ich hier eigentlich? Der MSCI World hat keine Small Caps aus entwickelten Ländern - also keine kleineren deutschen Mittelständler, keine japanischen Nebenwerte, keine kanadischen Rohstoffunternehmen. Ist das schlimm? Historisch haben Small Caps zwar eine Überrendite gezeigt, aber sie sind auch volatiler und in Krisen anfälliger. Da ich sowieso auf 20% EM-Small-Caps setze, kann ich bei den Developed Markets vielleicht auf die Kleinen verzichten.
Aber: Ist das nicht Market Timing? Widerspricht das nicht allem, was Kommer über Marktgewichtung schreibt?
Was beschäftigt mich zusätzlich:
Die aktuellen Marktbewertungen bereiten mir Kopfzerbrechen. Der Buffett-Indikator steht bei über 200%, historisch ein Warnsignal. Gleichzeitig predigen alle Quellen "Zeit im Markt schlägt Market Timing". Dieser Widerspruch lässt mich nicht los.
Bei den Schwellenländern sehe ich langfristig enormes Potenzial - Urbanisierung in Indien, technologischer Aufholprozess, junge Bevölkerungsstruktur. Aber rechtfertigt das eine bewusste Übergewichtung oder ist das einfach nur Kaffeesatzleserei?
Mein geplantes Vorgehen: Gestaffelter Einstieg über 4-6 Monate mit etwa 80k als Startsumme, dann monatlich bis zur Vollinvestition. Ich weiß, mathematisch wäre Lump Sum optimal, aber psychologisch brauche ich das erstmal so.
Konkrete Fragen:
- Seht ihr fundamentale Schwächen in meiner Analyse?
- Ist EM-Übergewichtung Diversifikation oder Spekulation?
- Wie geht ihr mit der aktuellen Bewertungslage um?
- Übersehe ich bei der 80/20-Variante wichtige Nachteile?
Bin wirklich gespannt auf eure Einschätzungen und ehrlich gesagt auch etwas nervös vor dem ersten größeren Investment. Nach Monaten der Theorie fehlt mir einfach die praktische Erfahrung, um die letzten Zweifel auszuräumen.
Bottom Line: Mit welcher Variante fahre ich langfristig besser?
Falls meine Überlegungen kompletter Quatsch sind oder ich wichtige Punkte übersehe, lasst es mich gerne wissen - dafür ist man ja hier! Als Frau fühle ich mich in Finanzforen manchmal etwas unsicher, aber hier wirkt die Community so hilfsbereit. 😊
Danke schonmal für eure Zeit!