
Oops, they did it! Großbritanniens Bürger haben sich mit einer knappen Mehrheit von 52 Prozent für den Ausstieg aus der Europäischen Union ausgesprochen. Das müssen wir alle erst einmal verdauen.
Anders als die Banker und Finanzdienstleister in London und die wirtschaftlichen Meinungsführer waren die Bürger des Vereinigten Königreichs der Ansicht, sie würden in der EU politisch nicht genug gehört. Der Wunsch, die Geschicke wieder in die eigene Hand zu nehmen, setzte sich durch. Egal, ob das angesichts der globalisierten Märkte nun geht oder nicht.
Vor allem die Bewohner Englands haben für den Brexit gestimmt, ganz anders die Nordiren und Schotten. Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon hat das gleich am Freitagmorgen betont und damit angedeutet, dass ihr Teil des Vereinigten Königreichs mit einer erneuten Unabhängigkeitsabstimmung und dem Verbleib in der EU liebäugelt. Da kommt einiges auf Großbritannien zu.
Auch Börsen und Finanzmärkte haben am Freitagmorgen außerordentlich schlecht auf die Abstimmung reagiert: Das Pfund brach ein, die Aktienindizes gaben weltweit nach, auch wenn sie sich im Laufe des Vormittags wieder etwas erholten.
Auf jeden Fall kommen unruhige Zeiten auf die Briten und uns Europäer zu. Es wird aber jetzt zwei bis drei Jahren dauern, bis der Brexit vollzogen ist. Aber was bedeutet das für Sie als Verbraucher?
Bleiben Sie erstmal ruhig. Sie sind ja kein Börsenzocker, sondern Verbraucher mit Weitsicht. Hier die sechs Dinge, die Sie jetzt wissen müssen:
- Aktienanleger erleben einen Rückschlag
Als Aktieninvestor müssen Sie sich für die kommenden zwei bis drei Jahre auf unruhige Zeiten einstellen. Einmal mehr zeigt sich, dass es sich lohnt, seine Aktien breit zu streuen. Besonders betroffen waren Inhaber von Finanztiteln nicht nur aus England, sondern zum Beispiel auch von der spanischen Bank Santander (minus 18 Prozent) oder der Deutschen Bank (minus 13 Prozent).
Wer auf breit aufgestellte europäische Aktien-Indexfonds (ETFs) setzt, ist natürlich von der Krise betroffen: Die von uns empfohlenen MSCI Europe oder Stoxx Europe 600 gingen heute bis zum Versandstart dieses Newsletters (12.15 Uhr) um rund 8 Prozent zurück. Dabei hängen die beiden mit 30 Prozent Anteil an britischen Aktien schon relativ stark am Wohl und Wehe der britischen Wirtschaft. Wer im enger aufgestellten (und nicht empfohlenen) ETF im Euro-Stoxx 50 unterwegs war, verlor schon 9 Prozent. Und selbst in einem Dax-ETF (wenig Streuung) musste man noch Kursverluste in Höhe von 7 Prozent hinnehmen. Unsere Hauptempfehlung und die breitest mögliche Streuung, der MSCI World, verlor dagegen bloß 3 Prozent.
Man sieht an den Börsenreaktionen, wie sehr die Wirtschaft inzwischen global verzahnt ist: Weltweit gaben die Kurse als Reaktion auf die Nachricht nach, auch in Japan rutschten die Kurse kräftig ins Minus. Kleinanlegern raten wir, Ruhe zu bewahren; auch von der Finanzkrise 2008/2009 haben sich die Aktienmärkte komplett erholt.
- Sparer müssen Großbritannien nicht meiden
Das britische Pfund hat stark verloren, die Aktienkurse britischer Banken auch. Trotzdem genießt Großbritannien immer noch eine gute Bonität. Die Ratingagentur Standard & Poor‘s hat zwar angekündigt, dem Land die „AAA“-Bestbewertung zu entziehen. Damit stünde das Land aber auch nicht schlechter bewertet da als Frankreich und erfüllt weiterhin unsere Finanztip-Stabilitätskriterien.
Bei britischen Banken mit guter Bonität gibt es daher weiter die Gelegenheit zu sicheren Geldanlagen. Wir empfehlen zurzeit auch die Bank Close Brothers, die 1,4 Prozent für drei Jahre Festgeld zahlt. Das ist im Vergleich zu den anderen sicheren Angebote spitze. Der nächste Anlagezyklus der Bank beginnt übrigens in zwei Wochen, und es könnte sich lohnen, die aktuelle Aufregung abzuwarten. Vielleicht gibt es ja einen kleinen Zinsaufschlag nach dem Brexit.
Wichtig: Die Kontowährung ist Euro, es besteht kein Währungsrisiko. Wer sein Geld lieber im Euro-Raum zur Bank bringen will, für den bieten sich CA Consumer Finance, Leaseplan Bank und einige andere von uns ausgewählte Banken mit guten Festgeld-Konditionen an.
- Urlaub im Königreich kostet jetzt weniger
Man muss sich zwar Gedanken machen, ob es mit dem Brexit beschwerlicher wird, einen Abstecher ins Vereinigte Königreich zu machen; künftig sind vielleicht Reisepass und Visum nötig. Aber tatsächlich ist das einzig Gute, das wir als Verbraucher dem Brexit abgewinnen können, dass das Pfund im Wert bereits um 5 Prozent gefallen ist.
Das heißt: Urlaub in London, in Cornwall oder in den schottischen Highlands wird in diesem Sommer deutlich günstiger. Reisen bildet ohnehin. Vor allem wer einen Studienaufenthalt, Praktika oder Ähnliches plant, sollte sich vielleicht beeilen. Das alles wird womöglich bald deutlich komplizierter und teurer. So könnten beispielsweise höhere Studiengebühren als bislang für EU-Bürger an den Unis fällig werden.
Ein kleiner Tipp noch zum Bezahlen in Großbritannien: Beim Geldziehen am Automaten sollten Sie immer in Pfund abrechnen lassen, nicht in Euro. Denn da versteckt sich eine teure Kostenfalle. Und wenn Sie Bargeld abheben oder tauschen, dann in Großbritannien selbst und nicht zu den schlechteren Kursen hierzulande.
- Kunden profitieren noch etwas länger von ihren EU-Rechten
Europäisches Recht gilt vorerst weiter, wenn Sie in Großbritannien einkaufen – bis der Brexit vollzogen ist. Dazu gehören Gewährleistungsrechte genauso wie ein System von Ombudsleuten, um sich zu beschweren, oder Entschädigungen bei Flugverspätungen, wenn Sie von London aus etwa in die USA oder in die Karibik fliegen.
- Widerruf auch britischer Versicherungen möglich
Vor einigen Jahren galten britische Lebensversicherer wegen hoher Renditeversprechen manchem Kunden als besonders attraktiv. Auch wenn sich diese Einschätzung mit der Zeit geändert hat, spart so mancher Kunde in Deutschland damit weiter fürs Alter. Für diese Verträge gilt dasselbe wie für deutsche Policen: Schauen Sie einmal im Jahr auf die Standmitteilungen und prüfen Sie den Abstand von Versprechen und Realität.
In vielen Fällen können Sie solche Versicherungspolicen wegen fehlerhafter Widerrufsbelehrungen widerrufen. Nutzen Sie unseren Ratgeber und prüfen Sie in Ruhe, ob Sie diese Chance haben und ob sich der Widerruf für Sie rechnet. Und by the way: Die Regulierung der Lebensversicherer gehörte ganz sicher nicht zu den schlechtesten Maßnahmen der EU.
- Unsere Industriejobs sind etwas unsicherer
Großbritannien ist der drittwichtigste Handelspartner Deutschlands weltweit. Jahr für Jahr exportieren deutsche Autobauer, Chemiekonzerne oder Pharmafirmen Güter und Dienstleistungen für fast 90 Milliarden Euro nach Großbritannien. Deutsche Firmen haben mehr als 120 Milliarden Euro im Vereinigten Königreich investiert. Wer also in Firmen arbeitet, für die Großbritannien ein wichtiger Markt ist, wird hier am deutlichsten spüren, ob Briten und EU-Europäer die Neuregelung ihrer Beziehungen vernünftig hinbekommen.
Und jetzt sollten wir uns etwas Ruhe gönnen mit englischem Tee und etwas Shortbread. Oder besser einen Whisky aus den Highlands.
Der Text erschien ursprünglich im Finanztip-Newsletter Ausgabe 25/2016. Den wöchentlichen Finanztip-Newsletter können Sie hier abonnieren.
Als Chefredakteur verantwortet Hermann-Josef Tenhagen alle Inhalte und die grundsätzliche Ausrichtung von Finanztip. Er war 15 Jahre Chefredakteur bei der Zeitschrift Finanztest (Stiftung Warentest). Davor war er unter anderem Nachrichtenchef der Badischen Zeitung und stellvertretender Chefredakteur bei der taz. Er studierte Politik, Volkswirtschaft, Pädagogik und Literaturwissenschaften.
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Ich habe eine konkrete Erfahrung gemacht, welche mehr oder weniger zu Punkt 3 passt:
Am Tag nach dem Brexit habe ich auf ebay.co.uk geshoppt um vom stark gefallenen GBP zu profitieren, wohlwissend dass mein Kreditkartenanbieter für Zahlung in Fremdwährungen keinen Aufschlag verlangt.
Ich habe bei der eBay-Kaufabwicklung direkt meine Kreditkartendaten eingegeben und es stand nirgendwo etwas von PayPal, geschweige denn dass ich mich hätte bei PayPal einloggen müssen. Auch alle Beträge wurden immer bis zum Schluss (auch per Mail) in GBP angegeben. Trotzdem erfolgte die Belastung, welche via PayPal erfolgte, ungewollt und ungefragt in EUR, zu einem viel schlechteren Kurs als es an diesem Tag der Fall gewesen wäre.
Ich bin nun in Kontakt mit einem Kreditkartenherausgeber und schaue ob es sich etwas machen lässt.
Hallo Olaf,
vielen Dank für diese Schilderung!
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Viele Grüße
Die Finanztip-Redaktion