Hallo zusammen, ich würde euch gerne um einen Tip bitten. Folgende Situation: Ich bin 68 Jahre alt und verheiratet und habe einiges an Kapital in ETFs (Buy and Hold) angelegt. Ende dieses Jahres (12/2024) geht meine Frau, die z.Z. nicht berufstätig ist, in Rente, ich selbst bin bereits Pensionär. Bis zum Renteneintritt meiner Frau haben wir noch einen sehr niedrigen EK-Steuersatz von 16% (Splittingtabelle), also deutlich unter der KESt von 25%. Danach wird unser gemeinsamer Steuersatz bis zum Lebensende wohl deutlich, ggfs. über 25%, steigen. Nun meine Überlegung: Wenn ich meine ETFs jetzt komplett verkaufe, könnte ich die Erlöse über die Günstigerprüfung noch zu dem derzeit niedrigen Steuersatz versteuern. Anschließend würde ich die ETFs wieder neu kaufen und dann mit normaler KESt weiterlaufen lassen. Vielleicht helft ihr mir weiter: Ist das vorteilhaft oder liegt da ein Denkfehler vor?
Verkauf und Neukauf von ETFs wegen noch niedrigem Steuersatz
-
OnkelJoe -
20. Juni 2024 um 12:15 -
Erledigt
-
-
Hallo,
Grundsätzlich ist das so machbar und führt auch zu einer niedrigeren Besteuerung der bisherigen Gewinne. Voraussetzung ist allerdings, dass der Grenzsteuersatz <25% ist und nicht der Duchschnittssatz. Im Zweifel einmal mit einem Steuerprogramm eurer Wahl durchrechnen, wie hoch der Vorteil tatsächlich ist (und ob es überhaupt einen Vorteil gibt).
Auf der anderen Seite müsst ihr auch bedenken, dass ihr auf den Steuerstundungseffekt verzichtet. Sprich aktuell könnt ihr auch die in Zukunft zu zahlende Steuer anlegen und für euch arbeiten lassen. Dieser Effekt verpufft natürlich, wenn ihr die Anteile jetzt komplett verkauft.
Hier mal ein einfaches Zahlenbeispiel (absichtlich ohne Vorabpauschale und ohne Altbestand) :
- Depotwert: 200k
- Einstandswert: 100k
- Kursgewinn: 100k
- davon Steuerrelevant: 70k (Teilfreistellung)
Wenn die Steuer jetzt z.B. 14k ausmacht (=20%), dann könnt ihr nur noch 186k wieder anlegen. Sprich die 14k können sich nicht mehr vermehren (was die Steuerersparnis von 3,5k durchaus wieder auffressen kann).
Noch komplizierter wird es, wenn Altbestände dabei sind, die steuerfrei sind bzw. für die es einen zusätzlichen Freibetrag gibt.
-
Eine Planrechnung führt in Deinem Fall weiter als jede Vermutung.
Rechne es Dir einfach aus, dann weißt Du, woran Du bist.
Wenn Du kein Steuerprogramm für 2024 findest, nimm eines für 2023. So groß sind die Unterschiede zwischen Folgejahren nicht, daß Du nicht auch mit einem Steuerprogramm für 2023 eine vernünftige Aussage bekommst.
-
Moin OnkelJoe ,
mit dem Einkommensrechner vom BMF kannst abschätzen wann du mit deinen Gewinnen über die 25% KEST kommst.
Lohn- und Einkommensteuerrechner:Einkommensteuer - Berechnung
Viel Erfolg bei deinen Finanzentscheidungen.
-
Wow, vielen Dank für die fundierten Antworten. Besonders an den Steuerstundungseffekt hatte ich gar nicht gedacht, aber das ist natürlich total berechtigt. Dann werde ich mich mal ans Rechnen begeben...
-
Gehen die realisierten Gewinne in dem Fall eigentlich mit auf die Steuerprogression oder bleiben sie wie bei der Regelbesteuerung mit 25 % + Solz dabei unberücksichtigt? Könnten OnkelJoe und seine Frau also eine Mio Gewinne realisieren und zu 16 % versteuern?
-
Gehen die realisierten Gewinne in dem Fall eigentlich mit auf die Steuerprogression oder bleiben sie wie bei der Regelbesteuerung mit 25 % + Solz dabei unberücksichtigt? Könnten OnkelJoe und seine Frau also eine Mio Gewinne realisieren und zu 16 % versteuern?
Nicht in Deutschland 😜
Das Finanzamt macht in dem Fall eine sogenannte Günstigerprüfung.
Dabei wird geprüft welcher Fall für den Steuerzahlenden günstiger ist.
Für Kapitalerträge kann das entweder die Abgeltungssteuer sein (25%+X) oder aber Versteuerung mit dem persönlichen Steuersatz. Dabei würden die Kapitalerträge dann wie normales Arbeitnehmergehalt behandelt werden.
Im Fall der Million entsprechend höher als 25%.
Kann man in den gängigen Steuerprogrammen auch beantragen.
Von daher macht es aber vermutlich dann auch keinen Sinn je nach Höhe das komplette Depot verkaufen zu wollen.
Der Rechner des Bundes wurde oben schon genannt. Der gibt ganz gute Näherungswerte.
-
Gehen die realisierten Gewinne in dem Fall eigentlich mit auf die Steuerprogression oder bleiben sie wie bei der Regelbesteuerung mit 25 % + Solz dabei unberücksichtigt? Könnten OnkelJoe und seine Frau also eine Mio Gewinne realisieren und zu 16 % versteuern?
Bei der Versteuerung von Kapitalerträgen hat man zwei Optionen:
1. Abgeltungsversteuerung
2. Regelbesteuerung
Im ersten Fall läßt man die Bank einfach machen. Die berücksichtigt den Sparerfreibetrag (wenn man plietsch genug war, einen solchen einzureichen) und zieht von allem darüber die Abgeltungsteuer ab (plus natürlich den unsterblichen SolZ und ggf. auch die Kirchensteuer). Damit ist alles erledigt. Die Steuererklärung ist in diesem Fall davon unabhängig. Man braucht in diesem Fall die Kapitalerträge auch nicht erklären.
Im zweiten Fall erklärt man seine Kapitaleinkünfte (laut Bescheinigung(en) der Bank(en)), sie gelten dann als "normales Einkommen" und werden mit einem progressiven Steuersatz versteuert wie etwa Überstunden. Das sollte auch Deine obige Frage mit der Million Kapitalerträge beantworten.
Der Break-Even liegt 2024 bei einem Ledigen bei etwa 23 T€ "normalem" zu versteuerndem (Erwerbs-)Einkommen. Ein Einkommen von 23 T€ + 1 T€ Kapitaleinkünfte* kostet bei Normalversteuerung 2790 € Steuer, 23 T€ normalversteuert und Abgeltungsteuer von 1 T€ kosten 2790,75 € Steuer, also minimal mehr.
*Immer den Freibetrag abgezogen, sonst wird das zu kompliziert. Also: 2 T€ echte Kapitaleinkünfte, von denen 1 T€ zu versteuern sind .
Die Normalversteuerung lohnt sich für den Steuerpflichtigen, wenn er weniger "normales" Einkommen versteuert als die genannten 23 T€. Zieht man gedanklich etwa 2 T€ Überstundenentgelt ab und legt 2 T€ Kapitaleinkünfte drauf (zusammen dann 3 T€ Kapitaleinkünfte), so versteuert der Stpfl. insgesamt wieder (wie oben) 24 T€. Er zahlt also bei Regelbesteuerung wieder 2790 € Steuer. Steuer von 21 T€ und Abgeltungsteuer von 3 T€ machen aber zusammen schon 2808,25 €. Das ist auch noch nicht brechermäßig mehr, aber schon mehr.
Deutlich wird der Unterschied, wenn jemand nur sehr wenig "normales" Einkommen versteuert (wie der Threadstarter) und viele Kapitaleinkünfte hat.
Ziehen wir mal gedanklich 10 T€ von den 23 T€ ab und legen 10 T€ Kapitaleinkünfte drauf, so zahlt er bei Regelbesteuerung wieder 2790 € Steuer. Steuer von 13 T€ und Abgeltungsteuer von 11 T€ machen zusammen 3114,25 € Steuer. Jetzt ist der Unterschied schon deutlicher.
Jetzt anders: Wir erhöhen den Gesamtbetrag. Der Grenzsteuersatz eines zu versteuernden Einkommens von 23 T€ liegt bei 26%, also auf dem Prozentsatz von Abgeltungsteuer + SolZ (Die kleine Ungenauigkeit beachten wir hier nicht weiter, würde zu tief ins Detail führen).
Jetzt sagen viele Leute: Oberhalb des Grenzsteuersatzes lohne sich die Günstigerprüfung nicht mehr. Das stimmt aber nur dann, wenn das "normale" Einkommen gleich bleibt und nur die Kapitaleinkünfte steigen. Also: Bei 23 T€ + 2 T€ oder 23 TE + 10 T€ lohnt sich die Günstigerprüfung nicht, in diesen Fällen ist die Abgeltungsteuer für die Kapitaleinkünfte günstiger für den Steuerpflichtigen.
Wenn das zugrundeliegende "normale" Einkommen aber niedriger liegt als 23 T€ (für einen Ledigen, für 2024), dann werden bei Regelbesteuerung die ersten Euros der Kapitaleinkünfte niedriger versteuert als mit der Abgeltungsteuer, wodurch man für die letzten Euros der Kapitaleinkünfte einen höheren Steuersatz als 26,375% akzeptieren kann und immer noch günstiger liegt.
Ich nehme jetzt mal die 13 T€ "normales" zu versteuerndes Einkommen von oben. Lege ich dort 24 T€ Kapitaleinkünfte drauf (mit denen ich hoch in die Progression komme!), dann zahle ich für 37 T€ "normales" Einkommen 6542 € Steuer, für 13 T€ + 24 T€ per Abgeltungsteuer aber 6543 €, also 1 € mehr. Der Grenzsteuersatz für 37 T€ beträgt 31%, liegt also deutlich über dem Satz der Abgeltungsteuer.
Wer im Extremfall überhaupt kein "normales" Einkommen hat (etwa als Privatier), der stellt sich mit der Regelbesteuerung bis etwa 68 T€ Kapitaleinkünften mit Regelbesteuerung günstiger als mit der Abgeltungsteuer.
Wers nicht glaubt, kann ja selber nachrechnen (Nicht vergessen, für zusammenveranlagte Eheleute alle Werte zu verdoppeln!).
-
Alles klar. Also wirklich restlos alles. Vielen Dank an Euch beide volcanosaucin und Achim Weiss !
-
Ich habe noch eins vergessen: Wenn der Threadstarter Aktien-ETFs hat, bekommt er für deren Gewinn eine Teilfreistellung von 30%. Das heißt: Er multipliziert seinen Gewinn mit 0,7 - erst das Ergebnis wird versteuert.
Allerdings kann ich mit dem angegebenen Steuersatz von 16% nichts anfangen.
Für 23 T€ zu versteuerndes "normales" Einkommen (also die Grenze dessen, bis zu dem sich die Günstigerprüfung für einen ledigen Steuerpflichtigen lohnt), zahlt er 2024 2527 € Einkommensteuer oder 10,99%.
Wenn der Threadstarter 16% Durchschnittssteuersatz zahlt, versteuert er (als Lediger) etwa 33 T€ Einkommen und wäre damit dann über der Grenze, bis zu der man von einer Günstigerprüfung profitiert. In dem Fall läßt man aus heutiger Sicht die Gewinne lieber stehen (Steuerstundungseffekt).
[Für zusammenveranlagte Ehepaare jeweils doppelte Werte.]
-
Wenn der Threadstarter 16% Durchschnittssteuersatz zahlt, versteuert er (als Lediger) etwa 33 T€ Einkommen und wäre damit dann über der Grenze, bis zu der man von einer Günstigerprüfung profitiert. In dem Fall läßt man aus heutiger Sicht die Gewinne lieber stehen (Steuerstundungseffekt).
Genau über den Punkt bin ich ja auch schon gestolpert und habe daher in meinem Post auch extra geschrieben:
Voraussetzung ist allerdings, dass der Grenzsteuersatz <25% ist und nicht der Duchschnittssatz. Im Zweifel einmal mit einem Steuerprogramm eurer Wahl durchrechnen, wie hoch der Vorteil tatsächlich ist (und ob es überhaupt einen Vorteil gibt).