Das stimmt natürlich. Wenn jemand mit 60 langsam anfängt den Ruhestand zu planen und seine Million im Portfolio in wenigen Wochen auf 500.000 Euro fällt, kann man vermutlich noch so oft sagen, dass er mit Alternativen jetzt noch weniger hätte und eine Erholung mit mehr Aktien besonders stark ausfallen wird. Das will dann niemand hören. Man sieht halt nur sein Depot und nur seine Verluste.
Ja, und wir Menschen neigen dazu Geld bereits zu verplanen, welches avisiert aber noch nicht da ist, auch mehrfach Wenn man sich da schon im neuen Sportcabrio gesehen hat, weil man ja für die Rente nicht alles benötigt, dann ist das übel, wenns mal eben um zweistellige Prozente runter geht und doch nur das da ist, was man benötigt. Das ist dann schlimmer, als hätte man das Geld nie gehabt/gesehen. Opportunitätskosten tun daher weniger weh, als ein Aktienmarktrückgang. Wenn eine in Aussicht gestellte Gehaltserhöhung von 200€ dann doch auf 100€ reduziert wird, sind wir erboßt, wenn statt 50€ aber 100€ gewährt werden sind wir mega happy. Verrückt, diese Menschen...
Vor dem Hintergrund der Emotionalität und Verhaltensökonomie geht es halt darum die Strategie zu finden, hinter der man 100%ig steht und diese durchzuhalten, was halt leichter fällt, wenn man dahinter steht. Wenn bei der Strategie die gröbsten Fehler vermieden wurden, wird das ein Erfolg, ob mit 6, 7 oder 9% Rendite ist am Ende zweitrangig. Wenn aber eine unpassende Strategie (zu viel Risiko, falsche Vorstellungen, ...) gewählt wurde oder diese nicht durchgehalten werden kann/will (doch nicht überzeugt, negative Erfahrungen, falsche Erwartungen) dann wird es halt nix. Eines der größten Risiken sitzt nicht im Depot, sondern davor. Eine suboptimale Strategie, die aber zum Erfolg führt ist besser als das rational, wissenschaftlich optimierte Megaportfolio, dass nicht durchgehalten wird.
Im Übrigen gibt es die LifeStrategy ja auch mit 80/20 (und auch 40/60 und 20/60).
Ich sehe eher das Problem wann man den risikobehafteten Teil senkt.
Das ist die eigentliche Frage, um die es immer wieder bei der Kapitalanlage geht, also um Risiko, Rendite und Wahrscheinlichkeiten. Wenn ich starte (wie wahrscheinlich muss ich da mal ran, wann, wieviel Rendite muss/will ich haben und mit welcher Wahrscheinlichkeit soll diese eintreten, welche Risiken sind akzeptabel, welche nicht) im gesamten Verlauf und auch in der oder für die Entnahmephase. Wie stark bin ich bereit mein Leben bzw. meinen Konsum von den Entwicklungen der Kapitalmärkte abhängig zu machen? Wenn ich bereit bin mir nur dann ein EFH zu gönnen, wenn das entsprechende Vermögen da ist, auch weil die Börsen gut liefen, kann ich halt im Schnitt deutlich bessere Renditen einfahren, als wenn ich nominal mit Bankeinlagen über 10 oder 15 Jahre den Kampf gegen die Inflation aufnehmen muss, damit der Traum nicht gefährdet ist und für Aktien kaum Platz ist. In der Praxis ist es doch so, dass fast nie 100% Aktien gefahren wird, selbst, wenn man die GRV Ansprüche raus nimmt. Da läuft dann der Sparplan mit 150€ fürs Alter und man packt alles, was geht für das Eigenheim aufs Tagesgeld bis da 150k fürs EK liegen, dazu noch Notgroschen und eine alte LV. Die tatsächlichen Aktienallokationen sind dann schnell im geringen 2-stelligen oder sogar 1-stelligen Bereich. Wer aber so eine LifeStrategy 60 mit allem füttert, was das nach dem Auskommen noch an Einkommen verbleibt, nur einen Notgroschen vorhält und seinen Konsum bereit ist anzupassen (müssen wir das nicht ohnehin?), wird wahrscheinlich langfristig besser dastehen, das EFH ist im Durchschnitt dann größer und das Auto chicer oder aber beides auch nicht vorhanden oder erst später gekauft. Bei diesem Anleger wird sich die Frage nach Risikoreduktion nicht stellen. Er wird wahrscheinlich den Liquiditätspuffer zur Rente hin etwas erhöhen und alles weitere laufen lassen.
Vieleicht ist das aber auch garnicht so schwierig. Wenn man in jungen Jahren startet an der Börse und seine Erfahrungen sammelt, entwickelt man automatisch ein gewisses Gespür. Wenn man darüber hinaus gewisse Grundlagen des Kapitalmarktes verstanden und verinnerlicht hat, dann schaut man mal mit 50 oder auch, wenn auf einmal größere Beträge anzulegen sind (weil Kinder aus dem Haus, Erbschaft oder schlicht, weil das Einkommen stärker stieg als Lebensstandard) oder schlicht das Vermögen eine gewisse Größe erreicht hat, wie man sich für die weitere Zukunft aufstellen will. Manchmal sind die Sachen in der Theorie deutlich schwieriger, als in der Praxis. Jemandem in der Theorie zu erklären auf was man beim Autofahren alles achten muss ist schwieriger, als nur die Grundlage zu erklären und dann zur Praxisausbildung zu schreiten. Grundsätzlich vermute ich aber, dass sich Menschen am Ende (auch mangels direkter Vergleichbarkeit) eher ärgern, wenn sie zuviel Risiko eingegangen sind, als zu wenig (in vernünftigen Grenzen). Verlustaversion.
Ich finde es wird viel über die optimale Aktienalokation gesprochen (ACWI oder FTSE, MarketCap oder BIP, TER), das Thema passende Gesamtallokation aller Vermögenswerte jedoch vernachlässigt. Außerhalb der Bubble wird da für jedes Sparziel sogar ein eigenes Produkt abgeschlossen, statt einfach die passende Assetklassenallokation zu wählen. Daher berüße ich diese Diskussion sehr. Für mich ist die Frage nach der für den individuellen Anleger optimalen (Gesamt-)Allokation jedoch eigentlich das zentrale Thema, dass sich durch das gesamte Anlegerleben zieht und nicht erst kurz vor dem Ruhestand ein Thema wird.
Wenn man sich jetzt aber schon 10 Jahre vor dem Ruhstand befindet, ein gewisses Vermögen da ist, denke ich, dass dies kein schlechter oder zu früher Zeitpunkt ist, zu schauen, wie man bei Ruhestandsbeginn gerne dastehen möchte. Bei großen Ergeignissen (Familie, Haus, Erbschaft, Hochzeit...) und ohnehin in gewissen Abständen (5J?) sollte man ohnehin schauen, ob die Allokation noch zu einem passt, finde ich. Aber nicht in ständigen Aktionismus verfallen...
Eine Pauschallösung gibts nicht. Fast alles ist möglich, einiges sinnvoll.