Pilotprojet in Hessen - Finanzamt erstellt Steuererklärung

  • Du machst ein Sabatical und reist zwei Jahre durch die Welt. Dabei willst Du von Katmandu aus keine Einkommensteuererklärung einreichen und nimmst in Kauf, dass du irgendwie abgemahnt wirst, vielleicht auch Verzugszinsen zahlen musst. Das holst du dann nach Deiner Reise nach - einschließlich der Angabe Deiner Miteinnahmen. Stattdessen läuft jetzt die automatische Einkommensteuererklärung, die auch automatisch zum Bescheid wird. Später wird festgestellt, dass Du Mieteinnahmen hast und dann fangen die Mühlen von unabhängigen anderen Abteilungen an zu arbeiten und den falschen Bescheid abzuarbeiten. Nach Deiner Rückkehr findest du in deinem Briefkasten eine Vorladung vom Gericht wegen Steuerbetrug.

    Also wurde im Szenario nicht sichergestellt, dass Post einen erreicht (als Vermieter suboptimal) oder es wurde nicht reagiert.

    Also, da sehe ich den Fehler nicht beim hessischen Finanzamt. ?(

  • andiii_98

    Die Einkünfte von Steuerpflichtigen sind so vielfältig, wie man sich nur vorstellen kann. Wer Mieteinnahmen erzielt, kriegt keinen automatischen Bescheid. Weder heute, morgen, noch in 30 Jahren. Die Höhe der Einkünfte ist zwingend durch den Steuerpflichtigen zu ermitteln. Wer verschweigt, dass er Mieteinnahmen hat (und dann einen automatischen Steuerbescheid bekommt, der bewegt sich mindestens mit einem Bein bei versuchter Steuerhinterziehung. Wer sich 2 Jahre im Ausland aufhält, obwohl er in Deutschland eine Steuererklärung einreichen muss, kommt seiner Verpflichtung nicht nach. Wenn die Meldeadresse bestehen bleibt, muss man sicher stellen, dass einen die Post erreicht.

    Es gibt genügend Leute mit ausländischen Einkünften, bei denen entweder die Einkünfte nur vage übermittelt werden oder erst verspätet. Würde man zb einem Steuerpflichtigen einen automatischen Bescheid schicken, bei dem diese ausländischen Einkünfte fehlen und es zu einer Erstattumg käme, läuft man als Fiskus dem Geld hinterher. Darauf hat der Fiskus aus nachvollziehbaren Gründen keine Lust. Unfair ist das nicht.

    Und Rentner, die ansonsten einen dicken Verspätungszuschlag bekämen,sind doch mit dem automatischen Steuerbescheid gut bedient.

  • Ehrlich gesagt - keine Ahnung.

    Ich bin Angestellter, habe daneben noch ein paar Kapitalerträge als Einkünfte. Auf der Ausgabenseite stehen v.a. Wege zum Arbeitsplatz (insgesamt sind die Werbungskosten etwa die Pauschale) und ein paar Versicherungen.

    Abseits von schlecht verteiltem Sparerpauschbetrag dürfte sich da eine nennenswerte Erstattung eig nur mit hohen Rürupbeiträgen erklären lassen. Versicherungen wirken sich in aller Regel steuerlich nicht aus (abseits von KV,PV und RV und Arbeitslosenversicherung). Handwerkerleistumgen? agB?

  • andiii_98

    Darauf hat der Fiskus aus nachvollziehbaren Gründen keine Lust. Unfair ist das nicht.

    Ich denke, wir haben ein unterschiedliches Verständnis davon, was der Staat ist und folglich, was er nicht ist.

    Für mich sind staatliche Stellen Dienstleister für den Bürger. Wenn ich also ein Anrecht auf eine Steuererstattung habe, muss das Finanzamt auch Anstrenungen unternehmen, mir diese Erstattungen zukommen zu lassen und kann sich nicht mit "Pech gehabt, musst dich halt melden" rausreden. Wenn das Finanzamt von mir Geld will, wartet es auch nicht, bis ich mich melde.

    Und darüber hinaus lehne ich es ab, Steuerzahler relativ pauschal zu unterstellen, sie würden Steuern hinterziehen und daraus den Schluss zu ziehen, dass der Steuerzahler theoretisch jedes Detail des Steuerrechts kennt und anwenden muss. Wenn, dann müssen die Finanzbehörden den Steuerzahlern das in Form von Kursen vermitteln.

  • andiii_98 Ich unterstelle überhaupt nichts. Wer Mieteinnahmen verschweigt, befindet sich grds im Bereich der Steuerhinterziehung. Der Graubereich ist da oftmals sehr eng. Und der Erstattungsanspruch entsteht erst mit Abgabe der Steuererklärung, bei der der Steuerpflichtige die Richtigkeit bestätigt. Diese automatisierten Steuerbescheide dienen in erster Linie der Finanzverwaltung als Arbeitserleichterung. Das dürfte erst in 2. Ebene ein Service für den Bürger sein.

    Deine Erwartungshaltung hat da leider nicht viel mit der Realität zu tun.

  • Für mich sind staatliche Stellen Dienstleister für den Bürger. Wenn ich also ein Anrecht auf eine Steuererstattung habe, muss das Finanzamt auch Anstrenungen unternehmen, mir diese Erstattungen zukommen zu lassen und kann sich nicht mit "Pech gehabt, musst dich halt melden" rausreden. Wenn das Finanzamt von mir Geld will, wartet es auch nicht, bis ich mich melde.

    Ich kenne keinen Staat auf dieser Welt, der mir eine Mitteilung zukommen lassen würde, dass ich bitte mein mögliches Guthaben bei der Finanzbehörde abholen soll....

    Du schreibst ja selbst, dass das Finanzamt auch nicht wartet, bis du dich mal "rührst", um deine fälligen Steuern zu bezahlen.

    Ich habe gelernt, dass ich meine möglichen Ansprüche gegen wen auch immer aktiv geltend machen muss und dabei sind auch Fristen einzuhalten.
    Ansprüche verjähren nach einer bestimmten Frist - und das ist auch GUT so.

  • andiii_98 Ich unterstelle überhaupt nichts. Wer Mieteinnahmen verschweigt, befindet sich grds im Bereich der Steuerhinterziehung. (...)

    Das dürfte erst in 2. Ebene ein Service für den Bürger sein.

    Deine Erwartungshaltung hat da leider nicht viel mit der Realität zu tun.

    Ich habe mich darauf bezogen, dass die Finanzämter dem Steuerzahler erstmal "Hinterziehung" unterstellen und nicht zunächst von "Unwissenheit" ausgehen.

    Mir ist schon klar, dass das ein wirklich grunsätzliches Umdenken v.a. beim Gesetzgeber erfordern würde, dass er staatliche Stellen als Service für den Bürger ansieht und nicht den Bürger als störend.

  • Ich habe gelernt, dass ich meine möglichen Ansprüche gegen wen auch immer aktiv geltend machen muss und dabei sind auch Fristen einzuhalten.
    Ansprüche verjähren nach einer bestimmten Frist - und das ist auch GUT so.

    Das ist v.a. getrieben aus dem, wie es heute läuft. Dafür gibt es aber keinerlei objektive Notwendigkeit.

    Heute gehen die Finanzbehörden davon aus, dass der Steuerzahler alles weiß und alles richtig macht und ansonsten Steuerhinterziehung begeht.

    Ich stehe auf dem Standpunkt, dass jemand, der "Steuern" professionell macht, erheblich mehr weiß.

  • andiii_98 , ich bin grundsätzlich bei dir, dass die Finanzämtern nicht immer nur abfischen sollten, sondern auch Erstattungen proaktiv angehen sollten. Allerdings fehlen dem Finanzamts schlicht und ergreifend die Daten.

    Ein normaler Angestellter in Steuerklasse I bekommt jeden Monat genau die Steuer abgezogen, die am Ende in der Steuererklarung rauskommen würde. Und zwar unter der Prämisse, dass die Werbungskosten den Pauschbetrag nicht überschreiten und auch sonst keine zusätzlichen Kosten angesetzt werden können. Und das ist genau der Wissensstand, den das Finanzamts hat. Woher soll das Finanzamts denn wissen, dass du Werbungskosten oberhalb des Pauschbetrags hast? Klar, mit der Homeoffice-Pauschale reißt man von alleine die Grenze, wenn man jeden Tag arbeitet. Aber auch das ist dem Finanzamts nicht bekannt. Und deine Handwerkerleistungen kennst auch nur du, die werden eben nicht automatisch übermittelt.

    Klar gibt es jetzt noch das Thema mit Einmalzahlungen, unterjährigen Gehaltsteigerungen und andere Themen, die zu einer Überzahlung der Lohnsteuer führen. Bei diesen hat der Gesetzgeber aber mit dem Lohnsteuerjahresausgleich grundsätzlich ein Mittel zur direkten Erstattung bereits im Dezember geschaffen (mir ist aber auch bewusst, dass ein Großteil der Arbeitnehmer auf Grund der Ausschlusskriterien nicht in diesen Genuss kommt).

  • Ich habe mich darauf bezogen, dass die Finanzämter dem Steuerzahler erstmal "Hinterziehung" unterstellen und nicht zunächst von "Unwissenheit" ausgehen.

    Mir ist schon klar, dass das ein wirklich grunsätzliches Umdenken v.a. beim Gesetzgeber erfordern würde, dass er staatliche Stellen als Service für den Bürger ansieht und nicht den Bürger als störend.

    Du willst mir also erzählen, dass man (in dem konkreten Fall) Mieteinnahmen erzielt und da dann völlig straffrei rauskommt? Man muss ganz sicher kein Steuerfachmann sein. Logischer Menschenverstand sollte da ausreichen. Natürlich ist nicht jede verschwiegene Einnahme eine Steuerhinterziehung, aber dass man Einnahmen erzielen dürfte und dem Finanzamt davon nix sagen müsste, erscheint mir fernab jeglicher Realität.

  • Du willst mir also erzählen, dass man (in dem konkreten Fall) Mieteinnahmen erzielt und da dann völlig straffrei rauskommt? Man muss ganz sicher kein Steuerfachmann sein. Logischer Menschenverstand sollte da ausreichen. Natürlich ist nicht jede verschwiegene Einnahme eine Steuerhinterziehung, aber dass man Einnahmen erzielen dürfte und dem Finanzamt davon nix sagen müsste, erscheint mir fernab jeglicher Realität.

    Sag ich doch - das Finanzamt unterstellt Vorsatz (Steuerhinterziehung) und nicht Fahrlässigkeit.

    Es gibt genügend Fälle, wo Einnahmen erzielt werden können und man dem Finanzamt nichts sagen muss - z.B. abgeltungsbesteuerte Kapitalerträge, Immobililenverkäufe nach über 10 Jahren (davor unter bestimmten Umstände), Verkäufe von Bitcoin nach über 1 Jahr...

    So eindeutig wie du es hinstellst, ist es nicht.

    Und es scheint auch nicht so eindeutig zu sein, dass mein Finanzamt in der Lage wäre, diese Sachverhalte im Rahmen eines Entscheidungsbaums auf der Homepage anzubieten.

  • Ich habe mich darauf bezogen, dass die Finanzämter dem Steuerzahler erstmal "Hinterziehung" unterstellen und nicht zunächst von "Unwissenheit" ausgehen.

    Wer sich in unserer Welt bewegt, braucht dafür eine ganze Menge Kenntnisse.

    Eine davon ist, daß wenn man Geld einnimmt, die Einnahme grundsätzlich zu versteuern ist. Das mag nicht zum Tragen kommen, wenn man einen Kinderwagen verkauft, den man nicht mehr braucht, das kommt aber in jedem Fall zum Tragen, wenn man eine Wohnung vermietet und somit Monat für Monat Miete einnimmt. Und das weiß der Durchschnittsbürger natürlich auch.

  • Eine davon ist, daß wenn man Geld einnimmt, die Einnahme grundsätzlich zu versteuern ist.

    Es gibt aber in unserer Welt auch eine starke Tendenz, ältere Menschen und Rentner:innen grundsätzlich als zu doof für solche steuerlichen Sachen anzusehen.

    Das wird auch von der üblichen Springer Presse unterstützt.

    Es gibt in der Praxis genügend Fälle, in denen ältere Leute mit Mitte 70 irgendwann auffliegen, weil sie seit vielen Jahren ihre Mieteinnahmen überhaupt nicht angegeben haben.

  • Ich glaube, du bist da ein bisschen optimistisch.

    Ich glaube sehr wohl, dass auch dem Durchschnittsbürger bekannt ist, dass Mieteinkünfte grundsätzlich steuerpflichtig sind. Allerdings ist für die meisten "Durchschnittsbürger" das Thema Steuererklärung ein äußerst ungeliebte Beschäftigung, mit der sie sich nicht gern oder eben gar nicht auseinandersetzen wollen.
    Der Grund dafür liegt auf der Hand: Der Wust von Formularen - die dann auch regelmäßig in jedem Kalenderjahr irgendwie geändert werden macht es vielen Normalbürgern nicht leichter, schon gar nicht mit zunehmenden Alter.
    Wenn du deine "normale" Einkommensteuererklärung dann noch durch einen Steuerberater machen lassen willst (...sofern du einen findest...) dann können viele auch gleich auf die mögliche Steuererstattung verzichten, da die Kosten oft höher sind, als die Erstattung.

    Es gibt aber in unserer Welt auch eine starke Tendenz, ältere Menschen und Rentner:innen grundsätzlich als zu doof für solche steuerlichen Sachen anzusehen.


    Tatsache ist, dass in der längeren Vergangenheit die Rente nicht steuerpflichtig war und nur Pensionäre eine steuerpflichtige Renteneinkünfte hatten. Durch die Steuerreform Anfang der 2000er Jahre kam das Thema Steuern für Rentner erstmals auf.

    Viele Durchschnittsbürger lassen es auch einfach darauf ankommen - wenn sich das Finanzamt nicht meldet, dann brauche ich ja auch nichts zu machen.