82 jährige Mutter wird statt Festgeld ein Express-Zertifikat verkauft

  • Hier beginnt schon dein Irrtum. Niemand wurde betrogen. Man mag zwar das Verhalten des "Bankberaters" als schäbig empfinden, aber wo soll hier eine strafbare Handlung vorliegen? Die alte Dame hat wunschgemäß ein Produkt mit höherem Zinsertrag angeboten bekommen und unterschrieben, dass sie verstanden habe, was sie da kauft. Ich glaube nicht, dass irgendein Staatsanwalt hier nur im Ansatz Betrug erkennen würde. Ggf. wäre es eine zivilrechtliche Frage, ob das Geschäft nichtig ist, da hier die Bank ihren Aufklärungspflichten vielleicht nicht nachgekommen ist. Der Ausgang eines solchen Verfahrens wäre wohl offen.

    Ich habe das oben ausführlich dargelegt.;)

  • Strafrechtlich ist Betrug nur schwer nachzuweisen, da Vorsatz eine der Voraussetzungen ist. Für § 263 STGB ist das entscheidend. Zwar können Täuschung über Tatsachen und ein Vermögensschaden grundsätzlich den Tatbestand erfüllen. Wie z.B. bei den Lehman-Zertifikaten, aber der Nachweis des Vorsatzes ist in der Praxis oft schwierig bzw. nicht möglich (war es auch bei Lehmann).

    Mir geht es dabei weniger um den juristischen Straftatbestand als um die alltägliche, moralische Sicht. Wenn der Partner oder die Partnerin fremdgeht, sprechen wir ebenfalls von Betrug, strafrechtlich spielt das aber keine Rolle.

    Anwälte werden dabei vor allem bei Fragen zu Anlageberatungsfehlern und Haftungsansprüchen tätig. Die Anforderungen an eine anlegergerechte Beratung sind heute klar definiert und lassen sich in den meisten Fällen problemlos prüfen + Falschberatung nachweisen. Selbst wenn ein Kunde einen Risikohinweis unterschreibt, liegt eine Pflichtverletzung vor, wenn das empfohlene Produkt objektiv nicht zum Risikoprofil der Person passt. Dazu existieren eine Vielzahl von Gerichtsurteilen. Das wissen die Banker auch. Sie verkaufen den Müll aber trotzdem an jeden, der einen Puls hat, weil sie Zielvorgaben haben.

    Was Sparkassen, im Grunde die gesamte Finanzindustrie, häufig betreiben, lässt sich als „legaler Betrug“ bezeichnen. Besonders problematisch ist das bei vulnerablen Kundengruppen, z.B. beiälteren Menschen mit kleiner Rente, die offensichtlich eine risikoarme Anlage benötigen, weil andernfalls ihr Lebensstandard gefährdet wäre. So ein Verhalten ist moralisch nicht entschuldbar und sollte entschieden geahndet werden. Durch anwaltlichen Druck, Beschwerden, öffentliche Aufmerksamkeit (Presse), Meldungen an Verbraucherzentralen und ein konsequentes Auftreten gegenüber Verantwortlichen (mit mehreren Personen).

    Würden die 50 Millionen Sparkassenkunden so handeln, käme Bewegung ins System. Wer hingegen um „Kulanz“ bittet, trägt lediglich dazu bei, dass alles beim Alten bleibt.

    Wer mit Termini des Strafrechts operiert, sollte nach meinem Geschmack seine Argumentation auch rechtlich schlüssig zu Ende denken. Insofern sehe ich argumentative Mängel.

    Im Übrigen bedanke ich mich für diese strukturierte und ausführliche Antwort. Mein Rechtsempfinden ist angesichts des geschilderten Vorgangs ebenfalls empfindlich gestört.

  • Ob nun Betrug oder nicht, keine gute Beratung. Auch das Gegenteil, also die systematische Übertreibung von Verlustrisiken bei sehr guten finanziellen Verhältnissen kommt vor. Vielen Leute verharren dann jahrzehntelang im Tagesgeld, denn nie war es so „schwierig“ wie zum Zeitpunkt der „Beratung“ gewesen wäre.

  • Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es zur Lösung eines Problems, egal ob bei einem Nachbarschaftsstreit oder einer geschäftlichen Auseinandersetzung, die denkbar schlechteste Variante ist, sofort rechtliche Schritte anzudrohen oder gar einzuleiten. In fast allen Fällen kommt man weiter, wenn man zuerst mit dem Gegenüber sachlich redet. Ausnahmen gibt es immer.

    Das sehe ich genauso. Genauso wichtig ist es allerdings, die eigene Position fest zu vertreten und nicht etwa durchsickern zu lassen: "Ich habe keine Rechtsschutzversicherung, also muß ich mir das bieten lassen." Man sollte in derlei Fällen klarmachen, daß einem sehr an einer einvernehmlichen Lösung gelegen ist, aber auch, daß man klagt, wenn das Gegenüber keinerlei Einsicht und keinerlei Einlenken erkennen läßt.

    Im vorliegenden Fall hat die Sparkasse ja wohl umgehend die Segel gestrichen. Der TE wird vermutlich die richtigen Worte gefunden haben. Vermutlich hat die Mutter noch einen Zinsverlust erlitten, dafür hätte ich vermutlich auch noch eine Lösung herausverhandelt. Daß die Sparkasse den Deal nur ausnahmsweise und selbstverständlich rein aus Kulanz rückgängig macht - geschenkt.

    Wenn mein Chef mir andeuten würde, daß er mir ab dem nächsten Monat kein Gehalt mehr zahlt, sondern stattdessen Schmerzensgeld oder Anwesenheitsprämie, würde ich das wohl mit einem stillen Schmunzeln hinnehmen und keinen Hermann davon machen.

    Ich bin mir da mit Dir einig: Eine juristische Vorgehensweise ist meistens nachteilig; man einigt sich besser außergerichtlich. Aus vielen Gerichtssälen kommen zwei Verlierer heraus, das muß ich nicht haben.

    Niemand will Ärger und Stress und ggf. noch unnötige Kosten. Auch in dem hier geschilderten Fall hat doch ein Anruf gereicht, um das Problem zu beheben. Die Mutter des TE hat, wie es aussieht, ja nicht mal einen Nachteil, abgesehen vielleicht von dem aus nicht bekannten Gründen vorzeitig aufgelösten Festgeld. Ich bezweifle, dass deine Idee, dort sofort mit einem Anwalt vor Ort aufzuschlagen, ein besseres Ergebnis gebracht hätte. Selbst bei gleichem Ausgang (Rückabwicklung) wäre die alte Dame wohl um 1-2 Monatsrenten ärmer gewesen, da der Anwalt natürlich eine Rechnung gestellt hätte.

    Eine gerichtliche Vorgehensweise hält eine Vorgang in der Schwebe, verlängert also eine Unsicherheit. Das ist für die Wirtschaft Gift. Lieber zahlt man einen mäßigen Betrag drauf und einigt sich bei 80% außergerichtlich, als daß man ein Jahr lang auf die Wundertüte Urteil wartet. Zeit ist ein bedeutender Vermögenswert. Die offizielle Justiz hat für diese Sichtweise allerdings keinen Sinn.

    Das Problem im vorliegenden Fall ist aber halt (ich habe es schon erwähnt), daß der weit entfernt wohnende Sohn etwas im Namen seiner Mutter klären will. Im Grunde ist er nicht vertretungsberechtigt, das hat ihm die Sparkassenverkäuferin ja auch ins Gesicht gesagt.

    Ich sehe das schon so wie Irving. Die alte Frau ist von der Sparkasse über den Tisch gezogen worden. Es könnte schon sein, daß das den Tatbestand des Betruges erfüllt. Das wäre für mich als Sohn und auch als Betroffener aber unbedeutend: Soweit ich schadlos oder einigermaßen schadlos aus der Sache herauskomme, wäre mir die strafrechtliche Relevanz egal. Ich mache die Welt nicht besser.

    Weiterhin ist mir ein "mea culpa" völlig egal. Ich erwarte kein Schuldbekenntnis meines Gegenübers, selbst wenn dessen Fehlverhalten völlig eindeutig ist. Ich habe von einem Schuldbekenntnis ja nichts. Das Gegenüber soll mir den finanziellen Schaden ersetzen, damit basta. Wenn er das angeblich aus Kulanz tut und ohne Anerkenntnis einer Rechtspflicht (Das ist natürlich keine Kulanz!), geht mir das zum einen Ohr rein und zum anderen wieder heraus.

  • Wie kann man nun aber nach diesem Erlebnis weitere alte Menschen, die Kunden dieser konkreten Kreissparkasse sind, schützen ?

    Ein Weg wäre, zumindest das BaFin über die Angelegenheit zu informieren.

    Die BaFin ist an dem Thema dran, scheint aber auf einem Auge blind zu sein. Stand jetzt: sie sehen kein strukturelles Problem.

  • Wie muss ich mir das vorstellen? Stehst du dann mit deinen Kumpels vom örtlichen Motorradclub oder alternativ der lokalen Antifa beim Filialleiter auf der Matte?

    Mofa-Club!

    Zitat von Achim Weiss

    Soweit ich schadlos oder einigermaßen schadlos aus der Sache herauskomme, wäre mir die strafrechtliche Relevanz egal. Ich mache die Welt nicht besser.

    In den Niederlanden und in Großbritannien wurde ein Provisionsverbot eingeführt. Das hat ,,Falschberatung" deutlich reduziert. In Deutschland wird sowas an allen Fronten bekämpft. Auf EU-Level sind es hauptsächlich die Deutschen, die das verhindert haben. Vielleicht auch deshalb sehr erfolgreich, weil es den meisten Deutschen egal ist? :/Hauptsache man selbst kommt gut durch....

    Aber das betrifft ja die netten Berater von der Sparkassen nicht. Die werden ja nach Tarif bezahlt und sind deshalb neutral und fair. ;)

  • Vielleicht auch deshalb sehr erfolgreich, weil es den meisten Deutschen egal ist?

    Den Deutschen ist das nicht egal.
    Viele wissen es einfach nicht besser und vertrauen blind den Werbeaussagen der Finanzindustrie.
    Die Finanzlobby arbeitet sehr effektiv und so wird sich an der Unwissenheit auch nicht viel ändern.

    Es ist möglich sich selber aufzuschlauen, aber auch schwer neben den ganzen Störgeräuschen die leisen und ruhigen Informationen herauszufiltern.

    Da ist das Vertrauen in den Finanzprodukteverkäufer der örtlichen Sparkasse oft die einfachste aber sehr teure Lösung.

  • Den Deutschen ist das nicht egal.
    Viele wissen es einfach nicht besser und vertrauen blind den Werbeaussagen der Finanzindustrie.

    Sie sind also dümmer als die Niederländer und Engländer? :/

    Man kann das Thema auch weiter denken: In Polen gibt es bald eine Rentenreform mit kapitalmarktgedeckten Elementen. Schweden, Norwegen, Dänemark, Finnland, Schweiz, Kanada, Japan, Singapur, Australien . . . die USA sowieso. Ich denke es hat schon etwas mit der Mentalität zu tun wie man das Thema angeht.

  • Da hat die Bank aber schnell einen Rückzieher gemacht

    Daß die Sparkasse den Deal nur ausnahmsweise und selbstverständlich rein aus Kulanz rückgängig macht - geschenkt.

    Wie oben geschrieben, kann man eine Zeichnung in der Zeichnungsfrist jederzeit widerrufen. Die Kundin hat das Recht gezogen. Kulanz kann ich hier nicht entdecken.

    Ich erinnerte sie an die Lehmann Zertifikate speziell bei der Frankfurter Sparkasse 2008 etc.

    Wie z.B. bei den Lehman-Zertifikaten, aber der Nachweis des Vorsatzes ist in der Praxis oft schwierig bzw. nicht möglich (war es auch bei Lehmann).

    Auch wenn bei Lehman jeder an Zertifikate denkt, so hat dieses Problem eigentlich nichts mit der Zertifikatestruktur zu tun, sondern nur mit den Ausfall des Emittenten. Normale Lehman-Anleihen waren ja ebenso betroffen. In diesen Fall hier handelt es sich jedoch um einen sehr sicheren Emittenten, wie oben beschrieben.

    Ich hatte selbst ein Lehmanzertifikat (als Selbstentscheider über die Börse gekauft). Durch die doppelte Absicherung (Emittent niederländische Tochter, Garantiegeber US-Mutter) habe ich inzwischen über 100% zurückerhalten und bekomme weiter jährlich kleine Zahlungen aus der Konkursmasse.

    In den Lehman-Flyer wurde seinerzeit immer auf das Emittentenrisiko hingewiesen. Das war damals absolut unüblich!

    Die Woche kommt meine Vollmacht per Post, die bezieht sich aber nur auf Konten, nicht auf Wertpapiere, weil meine Mutter das angeblich so wolle.

    Dann würde ich mich umgehend um eine vollumfängliche Vollmacht kümmern.

  • Mir war im Threadstarterposting eine seltsame Formulierung aufgefallen, nämlich:

    Sie schickte mir eine Zeichnung ihrer "Beraterin" bei der Kreissparkasse.

    Was soll das sein? Seit wann zeichnen Kunden ihre Beraterinnen (oder bekommen von jenen Zeichnungen mitgegeben)? Ich habe diesen - letztlich entscheidenden - Satz nicht verstanden und bin damit wohl in guter Gesellschaft. Er ist ja auch mißverständlich formuliert.

    Hätte er etwa geschrieben: "Meine Mutter hat auf Anraten/Drängen ihrer Beraterin ein Zertifikat gezeichnet." wäre mir der Sachverhalt klar gewesen.

    Du hast ihn aber wohl als Einziger trotzdem richtig verstanden und auch auf eine Lösung hingewiesen. Aber auch dieser Dein Hinweis war so knapp, daß keiner der anderen (einschließlich mir) ihn in den richtigen Hals bekommen hat:

    Eine Zeichnung kann in der Zeichnungsfrist einfach widerrufen werden. Das hat nichts mit Kulanz zu tun.

    Hätte die Corona (und der TE) das verstanden, wäre die Sache ganz einfach gewesen: Schriftlicher Widerruf der Zeichnung (also des Kaufantrags) des Zertifikats und fertig.

    Sich am Telefon von einer Finanzprodukteverkäuferin anmeiern zu lassen, wäre völlig überflüssig gewesen. Aber immerhin doch: Die Käuferin muß den Widerspruch unterschreiben, das kann der TE nicht für sie tun. Das mag auf Distanz seine Tücken haben. Ich hätte mich im Zweifel ins Auto gesetzt und wäre hingefahren, der ich weiß, wie meine Mutter diesbezüglich gestrickt ist. Man tut sich leichter, einen störrischen Menschen am Küchentisch zu überreden als am Telefon, und wenn man das unterschriebene Papier in den eigenen Händen hält, kann man sich sicher sein, daß die Sache erledigt ist.

    Aber das hat eben keiner verstanden, und Du hast auch nicht insistiert: Liebe Leute, die ganze Diskussion ist fruchtlos. Das Zertifikat befindet sich in der Zeichnungsphase, die alte Dame hat es noch nicht gekauft, sondern nur gezeichnet, also bestellt. Wenn diese Bestellung nun rückgängig gemacht werden soll, geht das ganz einfach und sollte so auch gemacht werden.

    Man braucht sich also keine Gedanken darüber machen, ob hier eine Falschberatung vorliegt (Ich bin davon überzeugt, daß das der Fall ist), sondern widerruft einfach.

    Bleibt natürlich die Frage, woher das Geld für diesen Kauf gekommen wäre. Den Angaben des TE zufolge hatte die alte Dame lediglich 10 T€ zur Anlage; der Kauf hätte aber 100 T€ gekostet. Da muß also noch mehr gewesen sein, das uns der TE noch nicht erzählt hat. Offensichtlich war die Sparkasse bereit, noch länger laufende Festgelder aufzulösen, etwas, wogegen sie sich sonst (auch in Notfällen) nachhaltig sträubt.

    Aber das wollen wir hier jetzt nicht auch noch auseinanderklamüsern, zumal der TE (wie üblich) ziemlich sparsam Information preisgibt.

  • Sorry, deutsch war schon in der Schule mein schwächstes Fach. Ich fand diese Formulierung eindeutig.

    M.E. ging es aber in der Folgeerregung und -diskussion mehr um die Frage, ob es reicht, dieses Einzelproblem zu beenden, oder ob man mit 3 Anwälten ein generelles gesellschaftliches Problem bekämpfen sollte.

  • Auch wenn bei Lehman jeder an Zertifikate denkt, so hat dieses Problem eigentlich nichts mit der Zertifikatestruktur zu tun, sondern nur mit den Ausfall des Emittenten. Normale Lehman-Anleihen waren ja ebenso betroffen. In diesen Fall hier handelt es sich jedoch um einen sehr sicheren Emittenten, wie oben beschrieben.

    :thumbup:

    Die Anwälte der diesbezüglich Geschädigten (Fraspa-Fälle; "Twin Win"-Zertifikate) hatten - nach meiner Erinnerung - den Hebel ihrer Argumentationslinie (mangelnde/fehlende Aufklärung seitens der Bank) u. a. auch an der Tatsache angesetzt, daß die Frankfurter Sparkasse ihren Kunden damals keine Transparenz über die - für die Bank mit dem Verkauf des Zertifikats verbundenen - Provisionen (seitens eines Dritten sprich in dem Fall Lehman Brothers) verschafft hatte. Vermute mal, daß inzwischen die Bank über eine solche Provision von Dritten ihren Kunden zwingend (gem. WpHG) informieren muß ... ? In dem Fall hier dürfte das aber wieder anders aussehen, da die Sparkasse selbst der Emittent ist ... ? Da sich der "Fall" erledigt hat, kann das aber auch dahinstehen.


    Last but (leider) not least - und ganz generell:

    Es gibt ja Honorarberatung auch in Deutschland, aber die nutzt kein Normalbürger. Glaubst Du, die Dame hier hätte das Angebot einer neutralen Beratung für 200€ vorab angenommen?

    :thumbup: Wenn auch mit einem "leider" ...

    Honorarberatung hat sich hierzulande über die Jahre hinweg niemals durchsetzen können und fristet ein absolutes Nischendasein. Nach mir erinnerlichen Daten (Industrie- und Handelskammer) gibt es bundesweit nur um die 300 sog. "Honorar Finanzanlageberater" ... - aber beispielsweise über 40.000 registrierte Finanzanlagevermittler und vermutlich weit über 500.000 Beschäftige in der Bank/Kreditwirtschaft.


    Dazu hatte ich an anderer Stelle schon mal zwei ernüchternd-deprimierende aber leider symptomatische - selbst erlebte - Beispiele geschildert; siehe hier:

    Ein Fan der Honorarberatung (im Sinne des damals angelsächsischen "Best Advice for the Client") bin ich seit ewigen Zeiten ohnehin. Wobei schon an der Stelle zu erwähnen ist, daß zum einen auch Honorarberatung nur so gut sein kann, wie der Honorarberater fachlich und menschlich gut sprich kompetent ist; und zum anderen wie gut Honorarberater (und dessen Blick und Bild auf das "Grand Design" des Finanzsystems) und der Klient zusammenpassen.

    Klar wurde mir die typische Haltung (der meisten hierzulande) an diversen Begebenheiten. Etwa als mir mal ein Mensch seine Immobilienfinanzierung (Eigenheim) zwecks Prüfung unter die Nase hielt (Konditionen bestenfalls medioker, Konstruktion desolat). Da ich weder Zeit noch Lust hatte empfahl ich ihm einen mir bekannten kompetenten Berater vor Ort, der dazu damals schon (80er) unabhängig gegen "Gebühr" eine Beratung anbot. Einige Tage später rief mich der Mensch (fast empört) an und meinte: "Der Typ nimmt 120 DM die Stunde und meint schon am Telefon mit 2-3 Stunden müßte ich rechnen. Bei meiner Sparkasse kostet die Beratung nichts" (besagter Mensch war Akademiker und es ging um ein Darlehen von 600.000 DM ...).

    Etwa als ich einige Jahre später einen ähnlichen Kandidat (m. E. war schon die Idee für das Eigenheim finanziell nicht realisierbar) zu dem wirklich guten Max Herbst schickte (FMH in Frankfurt - der damals auch noch individuelle Beratungen anbot; macht er schon ewig nicht mehr; Tenor: Die Leute wollen dafür nicht adäquat bezahlen ...). Der kam empört zurück und meinte: "Irre, der Typ hat mir glatt vom Kauf abgeraten". Und als ich fragte, was er nun machen wird: "Ich suche mir eine Bank, die das finanziert" ...

    Die Liste mit solchen Begebenheiten ließe sich leicht verlängern. Nach meinen Dafürhalten wird Honorarberatung hierzulande daher so lange eine absolute Nische bleiben - so lange Menschen nicht bereit sind, dafür ebenso selbstverständlich und adäquat zu bezahlen wie für ihren Steuerberater, ihren Anwalt, ihren Architekt usw. usw.

    Das - meines Erachtens - Scheinargument, der auf Provisionsbasis agierenden Finanzdienstleistungsbranche (vs unabhängige Honorarberatung), "dann bekommen Menschen mit weniger Geld überhaupt keine Beratung mehr" (oder gar nicht mehr an Finanzprodukte) greift aus meiner Sicht nicht so recht. Auch wer monatlich nur 50 oder 100 € für den langfristigen Vermögensaufbau und/oder die langfristige private Altersvorsorge abzwacken kann, dürfte finanziell in der Lage sein, einmalig (!) ein gewisses überschaubares Honorar für eine Bestandsaufnahme samt Analyse und Finanzplan zu entrichten. Auch um Interessenkonflikten mit dem "Berater" (der in praxi meist ein "Verkäufer" ist) zu entkommen.

    Dieser Interessenkonflikt wird aber in der breiten Bevölkerung offensichtlich nicht gesehen und/oder nicht verstanden (inklusive der hohen Kosten und Gebühren) und demzufolge auch nicht die Vorteilhaftigkeit (Bedarf) einer objektiven unabhängigen Honorarberatung erkannt.

    Die Bereitschaft sich selbst mit dem Thema "private Finanzen" zu beschäftigen ("aufzuschlauen") ist zudem - in breiten Bevölkerungskreisen jedenfalls - auch nicht gerade besonders stark ausgeprägt. Nicht wenige sind froh, wenn ihnen der "Bankberater den leidigen Finanz-Kram abnimmt" oder sich um das "ledige Thema Finanzen kümmert" (habe ich so schon wörtlich gehört). Vielleicht auch, weil man damit (vermeintlich) die Verantwortung abgeben kann ...


    Wie schon mehrfach betont: Aus meiner Sicht hat ein solches Spezial-Forum im Internet, wie dieses hier, mit der realen Lebenswirklichkeit ("draußen im Lande") wenig bis sehr wenig zu tun:

    Ein solche Special-Interest-Forum für Finanzen ist meines Erachtens nicht repräsentativ für die Gesamtbevölkerung. Und zwar nicht mal ansatzweise.

    Den Ansatz, Anspruch oder die Vorstellung, daß auch "Otto Normalverbraucher" sprich der "Durchschnittsbürger" so ticken und agieren sollte, wie die Protagonisten eines solchen Special Interest Forums halte ich daher eher für eine Vision oder sogar Hybris.

  • Scheint Usus bei den Kreissparkassen zu sein. Ich kenne jemanden, der seinen Job bei der Kreissparkasse vor einigen Jahren aus diesem Grund gekündigt hat: Schulungen, um ältereren Senioren solche Produkte anzudrehen!

  • Um mal als langjähriger Ex-Banker eine Lanze für die "armen" Sparkassen zu brechen (die werden ja im anderen Thread schon ordentlich runtergemacht). :saint:

    Das Verkaufen nicht kundengerechter Produkte (die Produkte selbst müssen nicht schlecht sein, auch die sogenannten Barriere-Zertifikate haben durchaus ihre Berechtigung) hat mMn hauptsächlich zwei Gründe:

    - die Profilisierungssucht besonders engagierter Mitarbeiter ggü. Kollegen und Vorgesetzten

    - der Druck von oben: Vorstand -> Abteilungsleitung -> Mitarbeiter

    Dies betrifft aber nicht nur die Sparkassenorganisation sondern tritt auch im genossenschaftlichen Bereich (Volksbanken, Raiffeisenbanken,..) und Privatbankenbereich auf.

    In erster Linie abhängig von der Führung (Vorstand), der die Leitlinien für den Vertrieb bestimmt. (Der Fisch stinkt immer zuerst vom Kopf)

    Dann gibt es eben Mitarbeiter, die können das händeln und verkaufen kundengerecht.

    Andere eben nicht. Wer das nicht aushält, kündigt innerlich oder am Ende sogar faktisch.

    Nichtsdestotrotz halte ich das Netz der Sparkassen und Genossenschaftsbanken für wichtig! Es gibt immer noch viele Filialen / Geschäftsstellen in der Flächen (natürlich auch mit abnehmender Tendenz). Wichtig für die Kunden (wahrscheinlich eher die älteren Semesters), die noch einen direkten Kontakt zu ihrem "Berater" haben wollen, evt. verbunden mit dem Tässchen Kaffee.

    Selbst brauche ich das momentan (hoffentlich noch lange!) auch nicht, so wie viele hier. Alles digital und im Notfall telefonisch. Aber irgendwann, so mein Plan, werde ich vielleicht auch den Weg zu meinem Nachbarn, der Sparkasse, nehmen. Das wird dann der (zweifelsohne teure) Luxus, den ich mir gönnen werde, wenn ich mit der digitalen Varianten nicht mehr zurechtkomme. Und meine Erben haben einen Ansprechpartner vor Ort.

    Ob das dann alles so klappt? Ich weiß es nicht!