Hallo Forum,
mich interessiert eure Einschätzung zu folgender Thematik, die für viele junge Menschen mit ETFs perspektivisch relevant werden könnte.
Mit der Steuer auf die Vorabpauschale werden fiktive Dividendenausschüttungen thesaurierender Fonds besteuert, wodurch der Zinseszinseffekt beeinträchtigt wird. Damit eine Steuer anfällt, muss (1) der Wert des Fonds im betrachteten Kalenderjahr gestiegen sein und (2) der Basiszins positiv sein. Folgendes Beispiel zeigt, dass sich diese Steuer über einen langfristigen Anlagehorizont zu einer hohen Summe aufaddiert, wenn man einen konstanten Zins und einen konstanten Wertzuwachs des Fonds über einen langen Investitionszeitraum (z.B. 40 Jahre) annimmt (unter der Annahme, dass es die Steuer in 40 Jahren noch gibt).
Man investiert 100.000€ in einen solchen Fonds, welcher über die nächsten 40 Jahre in jedem Jahr eine Rendite von 7% erwirtschaftet. Dabei bleibt der Zinssatz konstant bei 2%. Die Anteile haben am Ende des Zeitraums einen Wert von fast 1.500.000€ und die Summe an Steuern auf die Vorabpauschale beträgt ca. 50.000€. Wenn man diese Steuerzahlungen mit dem konstanten Zins von 2% abzinst, sind diese 50.000€ heute ca. 32.000€ wert. In diesem Beispiel vereinnahmt die Steuer auf die Vorabpauschale jedes Jahr 0,26% (!) des gesamten Investitionsvermögens.
Dieses Szenario ist natürlich stark vereinfacht und unrealistisch. Wenn der Aktienmarkt in einem Kalenderjahr nicht steigt und/oder der Basiszins nicht positiv ist, fällt in entsprechendem Jahr keine Steuer auf die Vorabpauschale an. Außerdem fällt unter Konstanthaltung des Zinses und der Rendite die in Summe gezahlte Steuer bei längerem Anlagehorizont und/oder höherem Investment (deutlich) höher aus als in diesem Beispiel.
Der Gesetzgeber sieht vor, dass die gezahlte Steuer auf die Vorabpauschale mit der Kapitalertragsteuer beim Verkauf der Anteile verrechnet wird. Was passiert nun, wenn man vor dem Verkauf der Anteile auswandert und diese somit nicht in Deutschland versteuert?
Ich kann mir gut vorstellen, dass die Steuer auf die Vorabpauschale in diesem Fall einbehalten und somit zu einer de facto präventiven Wegzugsbesteuerung wird. Entweder man veräußert die Anteile in Deutschland und zahlt hier die dafür anfallenden Steuern mit Abzug der bereits geleisteten Steuer auf die Vorabpauschale oder der gesamte angesammelte „Steuerkredit“ durch die Vorabpauschale verfällt und wird damit wertlos. Damit vermindert sich der Anreiz auszuwandern nicht linear, sondern immer stärker mit zunehmendem Anlagehorizont, da die Steuer auf die Vorabpauschale (bei konstantem Wertzuwachs und Zins) im Laufe der Zeit immer höher ausfällt. Aus Sicht des deutschen Staates ist es natürlich nachvollziehbar, einen Wegzug mit zunehmender Wertsteigerung der Anteile im Laufe der Zeit immer unattraktiver zu gestalten.
Aus zwei Gründen glaube ich, dass der langfristige Effekt der Vorabpauschale von vielen Anlegern aktuell noch unterschätzt wird.
(1) Obwohl die Vorabpauschale 2018 mit der Investmentsteuerreform eingeführt wurde, hat sie aufgrund der Negativzinsen erst im Januar 2024 erstmalig Anwendung gefunden.
(2) Es dauert einige Jahre bzw. Jahrzehnte bis die Steuer richtig spürbare Auswirkungen hat und das Investieren in Indexfonds ist in Deutschland erst seit Kurzem in der breiten Bevölkerung angekommen.
Das bedeutet, dass aktuell nur sehr wenige Menschen bedeutende Summen an Steuern auf die Vorabpauschale geleistet haben bzw. einen hohen Steuerkredit haben. Von diesen wenigen Personen sind vermutlich wenige in 2024/2025 ausgewandert (vielleicht niemand?). Diesen Fall wird es in Zukunft jedoch mit Sicherheit geben und wahrscheinlich werden Gerichte darüber entscheiden, ob ein (sehr hoher) Steuerkredit bei Wegzug ersatzlos gestrichen werden kann.
Vielen Dank für eure Meinung zu dem Thema.
Mit besten Grüßen
CharlieMunger