Das Wichtigste in Kürze
- Eine alte Lebensversicherung kannst Du auch heute noch rückabwickeln, wenn Du damals nicht richtig über Deine Rechte informiert wurdest.
- Das kann sich lohnen, da Du zusätzlich zu den eingezahlten Sparbeiträgen auch eine Extra-Zahlung bekommst.
- Um den Widerruf durchzusetzen, ist oft eine Klage nötig. Daher empfehlen wir den Prozess nur, wenn Du eine Rechtschutzversicherung hast.
So gehst Du vor
- Lass als erstes überprüfen, ob Du Deine Lebensversicherung rückabwickeln kannst. Das geht zum Beispiel bei der Verbraucherzentrale Hamburg.
- Für den Widerruf kannst Du unser Musterschreiben nutzen.
- Akzeptiert die Versicherung den Widerruf nicht, kannst Du den Versicherungsombudsmann einschalten oder eine Rechtsanwaltskanzlei beauftragen.
Inhalt
- Wann lohnt sich der Widerruf Deiner alten Lebensversicherung?
- Wie viel Geld bringt die Rückabwicklung Deiner Lebensversicherung?
- Welche Lebensversicherungen kannst Du widerrufen?
- Was solltest Du beim Widerruf Deiner Lebensversicherung beachten?
- Wie setzt Du einen Widerruf Deiner Lebensversicherung durch?
Fast jeder deutsche Haushalt hat sie: eine Lebens- oder Rentenversicherung. Und oft bleibt die Rendite hinter dem zurück, was der Vermittler beim Abschluss vorgerechnet hat. Der Grund dafür sind meist hohe Kosten und schlechte Anlagerenditen. Etwa die Hälfte der Verträge werden vorzeitig beendet.
Von einer Kündigung raten wir von Finanztip wegen der hohen Abschläge ab – zurück gibt es dann nur den Rückkaufswert. Mehr Geld kannst Du bekommen, wenn Du den Vertrag widerrufst und die Rückabwicklung der Lebensversicherung beantragst. Das geht aber nur in bestimmten Fällen.
Wann lohnt sich der Widerruf Deiner alten Lebensversicherung?
Der Widerruf Deiner alten Lebens- oder Rentenversicherung lohnt sich nur, wenn Du eine Rechtsschutzversicherung hast. Denn die Erfolgschancen vor Gericht sind in den letzten Jahren gesunken. Und bei einer erfolglosen Klage würdest Du auf den Kosten sitzenbleiben.
Wann ist ein Widerruf Deiner alten Lebensversicherung möglich?
Der Widerruf Deiner alten Lebens- oder Rentenversicherung ist möglich, wenn Du bei Abschluss nicht richtig über Deine Rechte informiert worden bist. Das ist vor allem bei Vertragsabschlüssen zwischen dem 29. April 1994 und 31. Dezember 2007 geschehen.
Bei diesen Verträgen gab es oftmals Fehler in der Belehrung über die Rechte, weshalb die Widerrufsfrist nie begonnen hat. Sie ist bei betroffenen Verträgen daher auch noch nicht abgelaufen.
Lebensversicherung widerrufen: Wie hat der Bundesgerichtshof entschieden?
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in solchen Fällen mehrfach entschieden, dass Lebensversicherungskunden noch Jahre später ihre Verträge rückabwickeln können (07.05.2014, Az. IV ZR 76/11, 29.07.2015, Az. IV ZR 384/14 und IV ZR 448/14). Aber: Bei einem rein formalen Fehler, der effektiv keinen Nachteil für Dich zur Folge hatte, funktioniert das nicht (BGH, 15.02.2023, Az. IV ZR 353/21; 10.02.2021, Az. IV ZR 32/20).
Ganz aussichtslos ist eine Klage allerdings nie, da es immer auf den Einzelfall ankommt. Zudem gibt es Zweifel daran, ob der Einwand des Rechtsmissbrauchs bei formalen Fehlern oder der Verwirkung überhaupt zulässig sind. Einige Anwälte sehen darin einen Verstoß gegen europäisches Recht.
Lebensversicherung: Widerruf oder Widerspruch?
Bei alten Verträgen handelt es sich genau genommen nicht um einen Widerruf, sondern um einen Widerspruch oder um einen Rücktritt vom Vertrag. Der Begriff Widerruf ist allerdings der heutzutage gängige für die Rückabwicklung eines Vertrags. Daher hat er sich auch für die älteren Formen etabliert, weshalb wir ihn in diesem Ratgeber einheitlich verwenden.
Begriffsklärung: Widerruf, Widerspruch und Rücktritt vom Vertrag
Widerruf: Wenn Du heute eine Lebens- oder Rentenversicherung abschließt, steht Dir ein 30-tägiges Widerrufsrecht zu (§§ 8, 152 VVG). Innerhalb dieser Frist kannst Du den Vertrag widerrufen. Das geht mit einem einfachen Schreiben oder einer E-Mail.
Widerspruch: Die Möglichkeit eines Widerspruchs gibt es bei Verträgen, die zwischen dem 29. Juli 1994 und dem 31. Dezember 2007 nach dem Policen-Modell abgeschlossen wurden. Bei dieser alten Art des Vertragsabschlusses bekamen Versicherte die notwendigen Verbraucherinformationen erst mit Ausfertigung der Versicherungs-Police. Also erst nach der Unterschrift unter den Vertrag.
Der Versicherer musste anschließend alle gesetzlich vorgeschriebenen Unterlagen zusenden und korrekt über das Widerspruchsrecht aufklären. Das hat oft nicht stattgefunden, sodass die Widerspruchsfrist nicht zu laufen begann.
Rücktritt vom Vertrag: Wenn Du schon beim Antrag alle Versicherungsbedingungen und Verbraucherinformationen bekommen hast, hast Du Deinen Vertrag nach dem sogenannten Antragsmodell abgeschlossen. Dabei gibt es statt eines Widerspruchsrechts ein Rücktrittsrecht. Auch von diesen Verträgen kannst Du noch heute zurücktreten. Entscheidend ist, ob der Versicherer Dich unzureichend belehrt hat. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn die Belehrung drucktechnisch nicht hervorgehoben war. Wegen dieses Formmangels beginnt die Rücktrittsfrist von 30 Tagen nicht zu laufen (BGH, 17.12.2014, Az. IV ZR 260/11, 25.01.2017, Az. IV ZR 173/15). In diesem Fall besteht ein ewiges Rücktrittsrecht.
Typische Fehler bei der Belehrung
Dass der Versicherer tatsächlich vergessen hat, Dir eine Belehrung zuzuschicken, ist ziemlich unwahrscheinlich.
Wahrscheinlicher ist, dass die Belehrung nicht korrekt formuliert ist und einen der folgenden Fehler enthält:
- In der Belehrung steht nicht, dass es ausreicht, den Widerruf innerhalb der 30-Tage-Frist (14 Tage bei Verträgen mit Abschlussdatum vor dem 8. Dezember 2004) abzusenden. Der Widerruf muss nämlich nicht innerhalb der Frist beim Versicherer eingehen, sondern nur rechtzeitig abgesendet werden.
- Sofern der Vertrag 2002 oder später abgeschlossen wurde, muss in der Belehrung ausdrücklich auf die Textform, nicht auf die Schriftform hingewiesen werden. Das bedeutet, dass seit 2002 auch eine E-Mail als Widerruf ausreicht (BGH, 14.10.2015, Az. IV ZR 211/14).
- Die Belehrung muss sich deutlich vom übrigen Text abheben und darf nicht ohne Hervorhebung in den Versicherungsbedingungen stehen (BGH, 24.02.2016, Az. IV ZR 512/14).
Was passiert bei einem Widerruf Deiner alten Lebensversicherung?
Beim erfolgreichen Widerruf Deiner Lebensversicherung wird der Vertrag aufgelöst. Du bekommst das zum Sparen eingezahlte Geld zurück. Dazu erhältst Du meist noch eine Extrazahlung, da der Versicherer mit Deinem Geld Gewinne erwirtschaftet hat.
Insgesamt bekommst Du so oft mehr Geld als bei einer Kündigung, bei der Dir der Versicherer lediglich den Rückkaufswert Deines Vertrags auszahlt.
Wie viel Geld bringt die Rückabwicklung Deiner Lebensversicherung?
Wenn Dein Widerruf erfolgreich ist, erhältst Du Deine eingezahlten Beiträge zurück. Das schließt auch die Abschluss- und Verwaltungskosten ein. Zusätzlich hast Du Anspruch auf einen sogenannten Nutzungsersatz.
Das bedeutet, dass der Versicherer das Geld, was er mit Deinen Beiträgen an Zinsen erwirtschaftet hat, erstatten muss.
Allerdings musst Du beweisen, dass er tatsächlich aus Deinem Kapital Nutzungen gezogen hat (BGH, 11.11. 2015, Az. 513/14).
Das Oberlandesgericht Stuttgart hatte in einem Fall den Nutzungsersatz auf 4,02 Prozent geschätzt. Bei einem zu erstattenden Betrag von rund 16.000 Euro musste die Versicherung einen Nutzungsersatz von 3.500 Euro zahlen (23.10.2014, Az. 7 U 54/14).
Bei einer fondsgebundenen Versicherung sind das die tatsächlich erwirtschafteten Gewinne (BGH, Urteil vom 11. November 2015, Az. 513/14). Darüber hinaus musste der Versicherer keine weiteren Zinsen erstatten.
Was darf der Versicherer bei der Rückzahlung abziehen?
Rückkaufswert: Von den geleisteten Beiträgen darf die Versicherung den Rückkaufswert abziehen, den sie bei Beendigung bereits ausgezahlt hat.
Risikoanteile: Der Versicherer darf die sogenannten Risikoanteile abziehen. Das sind die Kosten, die für den Versicherungsschutz anfallen, den Du während der Laufzeit des Vertrags hättest. Das kann ein Todesfallschutz oder ein Schutz bei Berufsunfähigkeit sein.
Steuern: Als Vermögensvorteil darf die Versicherung die abgeführte Kapitalertragssteuer nebst Solidaritätszuschlag als Vermögensvorteil gegenrechnen.
Nach der Rechtsprechung gibt es auch Kosten, die das Versicherungsunternehmen nicht von Deinen Einzahlungen abziehen darf.
Was darf der Versicherer bei der Rückzahlung nicht abziehen?
Abschlusskosten: Abschlusskosten darf der Versicherer bei einem Widerspruch nicht abziehen (BGH, 29.07.2015, Az. IV ZR 448/14).
Verwaltungskosten: Verwaltungskosten muss der Versicherer erstatten (BGH, 29.07.2015, Az. IV ZR 448/14).
Ratenzahlungszuschlag: Den Ratenzahlungszuschlag darf der Versicherer im Falle eines wirksamen Widerspruchs nicht auf den Kunden umlegen.
Wie viel tatsächlich für Dich bei einer Rückabwicklung herauskommt, hängt von Deinem Vertrag ab. Zur Veranschaulichung ein konkreter Beispielfall mit BU, den der Bundesgerichtshof so entschieden hat: Von den eingezahlten Prämien in Höhe von knapp 34.000 Euro bekam der Verbraucher den Rückkaufswert von rund 21.600 Euro. Darüber hinaus musste die Versicherung rund 8.500 Euro extra zahlen.
Beispiel: Rückabwicklung Lebensversicherung mit BU-Anteil
| Einzahlungen | 33.841,79 € |
| abzgl. bereits ausgezahlter Betrag | 21.588,70 € |
| abzgl. Risikoanteil BU | 3.609,16 € |
| abzgl. Risikoanteil Todesfall | 1.816,46 € |
| zu erstattende Summe | 6.827,47 € |
| zzgl. Nutzungsersatz | 1.668,15 € |
| zusätzliche Auszahlung | 8.495,62 € |
Quelle: BGH, 29.07.2015, Az. IV ZR 384/14, Vorinstanz OLG Köln, 05.09.2014, Az. 20 U 77/14
Welche Lebensversicherungen kannst Du widerrufen?
Lebens- und Rentenversicherungsverträge - Es spielt keine Rolle, ob es sich um einen fondsgebundenen Vertrag oder einen kapitalbildenden Vertrag ohne Fondsanlage handelt. Beide Varianten kannst Du grundsätzlich widerrufen. Auch Riester-Rentenversicherungen und selbst unkündbare Rürup-Verträge/Basisrentenversicherungen aus dem obigen Zeitraum kannst Du bei fehlerhafter Belehrung noch heute rückabwickeln.
Berufsunfähigkeitsversicherungen (BU) und Risikolebensversicherungen - Bei diesen Verträgen ist ein Widerruf zwar ebenfalls möglich, allerdings dürfte dieser nur in Ausnahmefällen sinnvoll sein. Zum einen bieten diese Versicherungen einen wichtigen Schutz. Zum anderen sparst Du nur geringe Beträge an, denn der Großteil Deiner Einzahlungen ist für die Absicherung des Risikos bestimmt. Diesen Teil würdest Du nicht zurückbekommen. Wenn Du Deine Berufsunfähigkeitsversicherung oder Risikolebensversicherung aber ohnehin kündigen wolltest, prüfe vorher die Widerrufs-Option.
Laufende, gekündigte und beendete Verträge - Du kannst sowohl laufende Verträge als auch bereits gekündigte oder beendete Versicherungen rückabwickeln lassen.
Was solltest Du beim Widerruf Deiner Lebensversicherung beachten?
Vorsicht bei älteren Verträgen: Gerade bei Verträgen aus den 1990er-Jahren bis einschließlich 2004 solltest Du vorsichtig mit einem Widerruf sein. Oft haben sich diese Verträge trotz der hohen Abschlusskosten schon vernünftig entwickelt. Zudem genießen sie das Privileg einer steuerfreien Auszahlung. Klassische Kapitallebensversicherungen aus dieser Zeit haben außerdem eine hohe Verzinsung im Vergleich zu heute.
Bei einem Riester-Vertrag an Zulagen und Steuer denken: Falls Du einen Riester-Vertrag rückabwickeln willst, musst Du sowohl die Zulagen als auch eventuelle Steuerersparnisse zurückzahlen, die Du über die Jahre erhalten hast. Du musst also aufpassen, wenn Du den aktuellen Vertragswert mit den eingezahlten Beiträgen vergleichst. Dennoch kann es sich unter Umständen auch bei einer Riester-Rentenversicherung lohnen, für diese nachträglich einen Widerruf durchzusetzen. Denn gerade bei Riester-Verträgen fallen in der Regel hohe Kosten an.
Der Widerruf lohnt besonders bei geringem Risikoanteil: Je weniger zusätzlicher Versicherungsschutz in Deinem Vertrag steckt, desto eher lohnt sich ein Widerruf. Absicherung gegen Berufsunfähigkeit, Unfallschutz oder im Todesfall schmälert Deine Auszahlung. Den Risikoanteil darf die Versicherung nämlich bei einer Rückabwicklung von den eingezahlten Prämien abziehen.
Überlege genau bei einem Berufsunfähigkeits-Baustein: Vorsichtig solltest Du sein, wenn Dein Vertrag mit einer echten Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung kombiniert ist. Das ist der Fall, wenn Du bei Berufsunfähigkeit eine monatliche Rente ausbezahlt bekommen würdest. Diese Zusatzversicherung kann sehr wichtig sein. Du solltest nur in Ausnahmefällen widerrufen. In vielen Fällen ist es besser, den Beitrag zur Hauptversicherung, also den Sparanteil, zu reduzieren, wenn Du die Lebens- oder Rentenversicherung nicht weiter besparen willst.
Wie setzt Du einen Widerruf Deiner Lebensversicherung durch?
Schritt 1: Belehrung überprüfen lassen
Lass Deinen Vertrag überprüfen. Das geht zum Beispiel bei der Verbraucherzentrale Hamburg. Dort kostet die Überprüfung 110 Euro. Du kannst Dich auch an spezialisierte Anwaltskanzleien wenden, die in der Regel für die Ersteinschätzung eine pauschale Vergütung verlangen.
Schritt 2: Rückerstattung berechnen
Du solltest genau durchrechnen und bewerten lassen, ob sich bei Deinem Vertrag ein Widerruf lohnt. Die Bewertung ist nicht leicht. Eine grobe Einschätzung kannst Du mit dem Online-Rechner der Verbraucherzentrale Hamburg bekommen. Darüber hinaus gibt es dort die Möglichkeit, Deinen Vertrag ausführlich prüfen zu lassen.
Schritt 3: Lebensversicherung widerrufen
Verschicke Deinen Widerruf als Einwurf-Einschreiben. So hast Du einen Beweis in der Hand.
Du kannst dazu unser Musterformular verwenden.
Schritt 4: Ombudsmann oder Anwalt einschalten
Rechne damit, dass der Versicherer nicht klein beigibt. Die Marktwächter der Verbraucherzentralen mussten feststellen, dass viele Versicherungsunternehmen die Rechtslage ignorieren und die Rückabwicklung ablehnen.
Du kannst Dich kostenlos an den Versicherungsombudsmann wenden und überprüfen lassen, ob der Versicherer Deinen Widerruf zu Unrecht abgelehnt hat.
Solltest Du beim Versicherungsombudsmann auf Granit beißen, kannst Du eine Anwaltskanzlei beauftragen. Entweder gelingt eine gütliche Einigung mit dem Versicherer oder Du ziehst vor Gericht, falls Deine Rechtsschutzversicherung die Kosten einer Klage übernimmt.
Wichtig: Die Erfolgsaussichten sind mittlerweile stark gesunken. Vermehrt scheitern Klagen, weil viele Instanzgerichte annehmen, dass Verwirkung eingetreten ist oder der Widerruf insgesamt schon rechtsmissbräuchlich ist. Einige Kanzleien, die wir bisher empfohlen haben, haben sich bereits wegen geringer Erfolgschancen der Verfahren aus diesem Bereich ganz zurückgezogen. Wir haben uns deshalb dazu entschlossen, keine spezialisierten Kanzleien mehr in diesem Bereich zu empfehlen.

