In den vergangenen zwölf Monaten war das Augenmerk der Zentralbanken voll auf die Entwicklung der Verbraucherpreise gerichtet. Leitzinserhöhungen schienen die einfache Antwort auf Inflationsraten, die zehn Prozent oder mehr erreichten.
Die Logik der Federal Reserve in den USA und auch der Europäischen Zentralbank (EZB) war an die Erfahrungen der 1980er-Jahre angelehnt: Starke Leitzinserhöhungen würden die Finanzierungskosten von Unternehmen und Privathaushalten erhöhen, weniger Investitionstätigkeit und weniger Aktivität im Immobiliensektor würden die Konjunktur bremsen, steigende Arbeitslosenzahlen und Rezession würden in Kauf genommen – und der Preisdruck würde aus dem System verschwinden.
Gerade in den vergangenen Wochen hatte sich die Diskussion entzündet, ob die bisherigen Erhöhungen schon ausreichen oder ob die Zinsen doch noch weiter erhöht werden müssen. Die Nervosität und damit die Schwankungsbreite am Zinsmarkt gerade bei den länger laufenden Anleihen hat sich erhöht. Und es sah kurz so aus, als ob die Notenbanken doch überraschend aggressiv mit ihren Maßnahmen weitermachen müssten.
Sorgen an der West Coast – und anderswo
Bis in der letzten Woche ein Phänomen an die Kapitalmärkte zurückkehrte, das man nach den Wirren der Global Financial Crisis 2008 schon wieder vergessen hatte. Probleme im Bankensystem wurden plötzlich sichtbar. Die Silicon Valley Bank (SVB) in den USA wurde in wenigen Tagen zu einem Problemfall, der die Stabilität des amerikanischen Bankensystems bedrohte. Ein Institut mit mehr als 175 Milliarden Dollar Kundeneinlagen musste zugeben, dass die Verluste, die es mit Investitionen in US-Staatsanleihen angehäuft hatte, die Höhe des Eigenkapitals erreichten. Nervöse Einlagenkunden zogen in Scharen ihre Gelder ab, und die Bank geriet in einen Abwärtsstrudel.
Am Wochenende wurde die SVB von den amerikanischen Behörden geschlossen. Gleichzeitig mussten die Notenbank und das Finanzministerium eine Garantie der Einlagen aussprechen, um nicht eine Panik im gesamten Bankenmarkt entstehen zu lassen. Denn viele Kunden hatten plötzlich auch Fragezeichen bei anderen Banken und wollten ihre Gelder abziehen.
Die Schieflage der Silicon Valley Bank hat eine Reihe von Ursachen, aber eines ist klar: Den Wagen ins Rollen gebracht hat die aggressive Zinserhöhungspolitik der Notenbank. Diese stark steigenden Zinsen haben den Markt für Depositen wie auch den Markt für Anleihen massiv in Bewegung gebracht. Und viele Marktbeobachter fragen sich schon seit Monaten, wann die ersten Unfälle im Bankensystem sichtbar werden bei all dieser Volatilität. Es war höchst verwunderlich, dass bei so starken Bewegungen scheinbar NIEMAND auf dem falschen Fuß erwischt wurde.
Wertverluste bei den Anleihen
Inzwischen wissen wir aber, dass viele Banken massive Kursverluste auf ihren Anleihebeständen verzeichnen, diese aber zum großen Teil wegen buchhalterischer Regeln nicht zeigen müssen. Die Silicon Valley Bank ist der erste sichtbare Unfall, einige andere wie die First Republic Bank wurden auch schon aufgefangen, aber die Tatsache bleibt, dass natürlich die Zinspolitik der Notenbanken besonders den Bankensektor unter Druck setzt. Kein Wunder, wenn 2-jährige Renditen von Null auf 5 Prozent gehen – im Laufe von Monaten.
Das heißt aber auch, dass die Notenbanken jetzt nicht nur auf die Inflation schauen müssen, sondern auch auf das Bankensystem. Und auf den Stress, den sie in diesem mit ihren Maßnahmen erzeugen. Das Bild wird also noch komplexer, als es sowieso schon war. Denn Rettungsmaßnahmen für Banken bedeuten nichts anderes, als dem System wieder Geld zuzuführen – also genau das Gegenteil von dem Effekt, den man über höhere Leitzinsen erreichen will.
Die Ankündigungen der EZB, die gestern die Leitzinsen nochmals um 0,50 Punkte auf jetzt 3,00 Prozent (für den Einlagezins) bis 3,75 Prozent (für den Spitzensatz) erhöht hat, deuten jedenfalls schon in die Richtung einer Pause für weitere Zinsentscheidungen. Bleibt nur zu hoffen, dass auch die Inflationsentwicklung eine Pause macht.
Weitere Schwankungen voraus
Gemessen am Goldpreis steigt auf jeden Fall das Gefühl von steigenden Risiken an den Märkten. Wir erwarten für die nächsten Wochen weitere größere Schwankungen bei den Zinsen für Anleihen und Baugeld. Die Tatsache, dass diese neue Bankenkrise mit der Credit Suisse auch eine europäische Bank unter Druck setzt, erhöht noch einmal die Schwankungsbreite, die zu erwarten ist.
Die Frage ist inzwischen nicht mehr „Wie weit werden die Zinsen erhöht?“, sondern vielmehr „Können die Notenbanken überhaupt noch erhöhen, ohne das Bankensystem in Gefahr zu bringen?“ Wenn also die Inflationsraten in den nächsten Monaten hoch bleiben, dann werden die Risikoaufschläge für lange Laufzeiten eher steigen. Keine guten Aussichten für Immobilienkäufer, denn die Hypothekenzinsen sollten hoch bleiben.
(rha)