Widerspruch gegen die Krankenkasse So wehrst Du Dich, wenn die Krankenkasse nicht zahlt
Finanztip-Expertin für Versicherungen
Das Wichtigste in Kürze
So gehst Du vor
Deine Ärztin hat Dir nach langwierigen gesundheitlichen Problemen eine Reha empfohlen, doch die Krankenkasse will sie nicht zahlen. Oder die Versicherung stellt das Krankengeld ein, weil sie Dich für arbeitsfähig hält. In solchen Momenten ist der Schock erstmal groß. Doch Du kannst Dich mit einfachen Mitteln gegen Entscheidungen der Kasse wehren. Und Deine Chancen stehen gut: Einer Finanztip-Studie zufolge sind durchschnittlich 40 Prozent der Widersprüche erfolgreich.
Um die Kosten im Gesundheitssystem zu begrenzen, müssen gesetzliche Krankenversicherungen prüfen, ob Leistungen, die sie zahlen, medizinisch notwendig und wirtschaftlich sind (§ 12 SGB V). Das heißt, die Krankenkassen wägen ab, ob Du eine Behandlung brauchst und ob es eine günstigere Methode gibt, die ebenfalls zum Ziel führt.
Damit Dein Leistungsantrag gar nicht erst abgelehnt wird, ist eines besonders wichtig: Du musst die beantragte medizinische Maßnahme gut begründen. Also warum beispielsweise eine Reha verhindern würde, dass Du pflegebedürftig wirst. Oder wieso Du einen speziellen Rollstuhl brauchst statt eines Standardmodells.
Bitte Deine Ärzte, individuell auf Deinen Gesundheitszustand und Deine Lebenssituation einzugehen, wenn sie ein Attest oder eine Verordnung für die Krankenkasse schreiben. Und schicke mit Deinem Antrag möglichst alle Unterlagen an die Kasse, die belegen können, dass die Leistung für Dich medizinisch notwendig ist.
Hast Du Deinen Antrag abgeschickt, ist die Krankenkasse am Zug. Sie muss innerhalb von drei Wochen nach Eingang des Antrags entscheiden. Die Kasse kann aber auch ein Gutachten vom Medizinischen Dienst, früher MDK genannt, anfordern. Dann hat sie fünf Wochen Zeit, über Deinen Antrag zu entscheiden. Der Medizinische Dienst erstellt sein Gutachten meist auf Basis der eingereichten Unterlagen, kann aber auch weitere Dokumente anfordern oder Dich zu einer persönlichen Untersuchung bitten.
Lange Zeit hatten Versicherte gute Karten, wenn die Krankenkasse die Antwortfrist verpasste. Denn dann galt die beantragte Leistung als genehmigt und die Kasse musste zahlen (§ 13 Abs. 3a SGB V und § 18 Abs. 3 SGB IX).
Im Mai 2020 hat das Bundessozialgericht (BSG) seine Rechtsprechung allerdings grundsätzlich geändert (Az. B 1 KR 9/18 R). Seither gilt die Genehmigung nur noch vorläufig und Krankenkassen dürfen Anträge auch nach Ablauf der gesetzlichen Frist noch ablehnen. Sie müssen die Kosten dann nur erstatten, wenn es Dir gelungen ist, vor der Ablehnung das strittige Medikament oder die Behandlung selbst zu organisieren und die Kosten vorzustrecken. Damit ist die Regelung nur noch für wenige Patienten hilfreich. Der Sozialverband VdK hat im Januar 2022 Verfassungsbeschwerde gegen das versichertenfeindliche Urteil eingelegt.
Falls die Kranken- oder Pflegekasse nicht innerhalb der gesetzlichen Fristen über Deinen Antrag entscheidet, solltest Du Dich für Dein weiteres Vorgehen rechtlich beraten lassen.
Wenn Du einen Antrag auf Leistungen der Pflegeversicherung stellst, muss Dir die Kasse binnen zwei Wochen eine Pflegeberatung anbieten. Sie ist außerdem verpflichtet, innerhalb von 25 Arbeitstagen zu entscheiden, ob Du die Leistungen bekommst oder nicht (§ 18 Abs. 3 SGB XI). Überschreitet die Pflegekasse selbstverschuldet diese Frist, muss sie für jede angefangene Woche nach Ende der Frist 70 Euro an den Pflegebedürftigen zahlen.
In einigen Fällen gelten kürzere Fristen von ein oder zwei Wochen für das Pflegegutachten, etwa wenn Angehörige mit der Pflegezeit oder Familienpflegezeit eine Auszeit vom Job nehmen wollen. Weise auf solche Pläne am besten schon im Antrag hin, damit die Pflegekasse schnell reagieren kann.
Dass Deine Krankenkasse eine von Dir beantragte Leistungen verweigert, ist nicht ungewöhnlich. Besonders häufig passiert das bei Kuren oder Reha-Anträgen. Etwa jeder siebte Antrag auf eine solche Leistung wurde 2021 abgelehnt. Das belegen Daten von 22 Krankenkassen mit rund 35 Millionen Versicherten, die Finanztip exklusiv ausgewertet hat. Damit liegen uns Daten für etwa die Hälfte der gesetzlich Krankenversicherten in Deutschland vor.
Unsere Analyse zeigt aber auch, dass es sich lohnt, für Leistungen zu kämpfen. 40 Prozent der erledigten Widersprüche waren zumindest teilweise erfolgreich. Bei einigen Krankenkassen war es sogar die Hälfte. Dazu zählen nicht nur Widersprüche gegen abgelehnte Leistungen, sondern auch solche gegen andere Vorgänge wie fehlerhaft berechnete Versicherungsbeiträge.
Wenn Du mit einer Entscheidung Deiner Krankenkasse unzufrieden bist, reicht für den Widerspruch ein formloses Schreiben. Du brauchst nur das Aktenzeichen und das Datum der Ablehnung. Dein Widerspruch muss innerhalb eines Monats, nachdem Du die Ablehnung bekommen hast, bei der Krankenkasse eingehen (§ 84 SGG). Es zählt also nicht das Datum, an dem Du den Brief abschickst.
In Deinem Widerspruchsschreiben solltest Du begründen, warum Du die beantragten Leistungen brauchst und welche wichtigen Fakten die Kasse nicht berücksichtigt hat. Bitte Deine Ärztin oder Deinen Arzt, alle medizinischen Argumente nochmal in einer Stellungnahme zusammenzufassen.
Als Grundlage für Dein Schreiben kannst Du unseren Musterbrief verwenden. Du musst ihn mit Deinen persönlichen Angaben ergänzen. Wichtig ist, dass Du den Brief unterzeichnest und per Einwurf-Einschreiben an Deine Krankenversicherung schickst. Ein Widerspruch per E-Mail oder Telefon ist nicht gültig.
Hier kannst Du Dir unsere Vorlage für Deinen Widerspruch herunterladen.
Beruft sich die Krankenkasse in ihrer Ablehnung auf ein Gutachten des Medizinischen Dienstes (früher MDK), solltest Du dieses anfordern. Das ist zum Beispiel häufig der Fall, wenn die Kasse Dir kein Krankengeld mehr zahlen will. Wenn Du die Argumentation im Gutachten kennst, kannst Du diese in Deinem Widerspruch leichter entkräften.
Falls Du mehr als vier Wochen für die detaillierte Begründung Deines Widerspruchs brauchst, kannst Du innerhalb der Frist erst einmal allgemein widersprechen. Du solltest in Deinem Brief dann aber darauf hinweisen, dass Du eine ausführliche Begründung oder zusätzliche Unterlagen nachlieferst. Am besten nennst Du in Deinem Widerspruchsschreiben eine konkrete, aber realistische Frist, innerhalb der Du die Begründung nachreichst.
Übrigens: Falls im Ablehnungsbrief der Kasse ein Hinweis auf Dein Widerspruchsrecht fehlt, kannst Du der Entscheidung ein Jahr lang widersprechen.
Es gibt verschiedene Anlaufstellen, die Dich im Widerspruchsverfahren unterstützen können. Deine Ärzte kennen alle medizinischen Details und können Dir helfen, zu begründen, warum eine Reha oder ein bestimmtes Hilfsmittel oder Medikament für Dich unbedingt notwendig ist.
Hast Du Probleme rund ums Krankengeld, dann solltest Du Deinen behandelnden Arzt oder Deine Ärztin ebenfalls um Hilfe bitten. Will die Krankenkasse die Krankengeldzahlung einstellen, dann beruft sie sich meist auf ein Gutachten des Medizinischen Diensts, das zu dem Ergebnis gekommen ist, Du seist arbeitsfähig. In diesem Fall solltest Du Deinen Arzt oder Deine Ärztin bitten, ein Zweitgutachten zu beantragen. Alternativ kannst Du in Deinem Widerspruchsschreiben alle behandelnden Ärzte auflisten mit einem Hinweis wie „für die medizinische Begründung des Widerspruchs wenden Sie sich bitte an die folgenden Ärzte“. Wenn die Krankenkasse die Ärzte um eine Stellungnahme bittet, müssen sie antworten und können ihre Leistung auch abrechnen.
Welche Rechte Du gegenüber der Krankenversicherung hast, dazu informieren die Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD), die Verbraucherzentralen und Sozialverbände wie der VdK oder der Sozialverband Deutschland (SoVD). Diese Beratungsstellen können Dir Tipps geben, wie Du am besten gegen Entscheidungen Deiner Krankenkasse vorgehst und welche Gesetzesregelungen und Gerichtsurteile für Deinen Fall relevant sein könnten. Die Beratung bei der UPD ist kostenfrei. Die Sozialverbände beraten ihre Mitglieder gratis, bei den Verbraucherzentralen wird in der Regel ein kleines Honorar fällig.
Falls Du dich anwaltlich beraten lassen möchtest, solltest Du Dir einen Fachanwalt für Sozialrecht suchen. Das ist teurer als die Beratung bei anderen Stellen. Unter bestimmten Voraussetzungen hast Du aber die Möglichkeit, das Anwaltshonorar von der Kasse erstattet zu bekommen, wenn Dein Widerspruch erfolgreich ist (§ 63 Abs. 2 SGB X). Einen Fachanwalt für Sozialrecht in Deiner Nähe findest Du zum Beispiel über die Suchfunktion auf der Website des Deutschen Anwaltvereins.
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Wenn Du Widerspruch einlegst, muss die Krankenversicherung den Fall erneut prüfen. Sie entscheidet dann, ob sie die Leistung doch bewilligt. Das nennt sich Abhilfe. Bleibt sie bei ihrer Ablehnung, geht der Fall automatisch an den Widerspruchsausschuss der Krankenkasse. In diesem unabhängigen Gremium entscheiden ehrenamtliche Versicherten- und Arbeitnehmervertreter über Dein Anliegen. Der Widerspruchsausschuss muss Dich innerhalb von drei Monaten über seine Entscheidung informieren.
Unserer Analyse von Krankenkassendaten zufolge landeten 2021 aber nur gut ein Drittel der Widersprüche überhaupt zur Entscheidung beim Ausschuss. Der Großteil aller Widersprüche wurde vorher erledigt, weil die Kasse die Leistung doch gewährt hat oder die Versicherten ihren Widerspruch zurücknahmen. Wir empfehlen Dir, hartnäckig zu bleiben, denn die Chancen, dass Deine Kasse zurückrudert, stehen gut.
Die Beratungsstelle UPD berichtet seit Jahren immer wieder von Fällen, in denen Krankenkassen nach einem Widerspruch verunsichernde Schreiben an die Versicherten verschickt haben. Und das obwohl die zuständige Aufsichtsbehörde die Kassen schon mehrfach aufgefordert hat, solche Praktiken zu unterlassen. In den Briefen wurde den Betroffenen suggeriert, ihr Widerspruch habe keine Aussicht auf Erfolg. Sie wurden daraufhin gefragt, ob sie ihren Widerspruch beibehalten oder zurücknehmen wollen.
Hier ein Beispiel für ein derartiges Schreiben:
Auf solche Schreiben musst Du nicht reagieren! Lass Dich auf keinen Fall von der Kasse dazu drängen, Deinen Widerspruch zurückzunehmen. Denn dann hast Du keine Möglichkeit mehr, gegen die Entscheidung der Kasse vorzugehen, auch nicht vor Gericht.
Auf mündliche Zusagen von Kassenmitarbeitern solltest Du Dich nicht verlassen. Besteh auf einen schriftlichen Abhilfebescheid, in dem schwarz auf weiß steht, dass Du die Leistungen doch bekommst und halte sonst an Deinem Widerspruch fest. Grundsätzlich empfehlen wir, alles Wichtige im Widerspruchsverfahren schriftlich zu klären.
Auch wenn die Krankenkasse Deinem Widerspruch teilweise abhilft, Dir also einen Teil der Leistungen genehmigt, solltest Du Deinen Widerspruch weiter aufrechterhalten. Der Widerspruchsausschuss entscheidet dann nur über den noch nicht genehmigten Teil der Leistungen. Du hast also nichts zu verlieren.
Wenn Du das Gefühl hast, die Krankenversicherung verletzt Deine Rechte oder hält die gesetzlich vorgegebenen Bearbeitungsfristen nicht ein, kannst Du Dich bei der zuständigen Aufsichtsbehörde beschweren. Für überregionale Krankenkassen ist das Bundesamt für Soziale Sicherung zuständig, für regionale meist das Gesundheitsministerium des Bundeslandes.
Die Aufsichtsbehörden prüfen, ob Krankenkassen gegen geltendes Recht verstoßen. Sie können aber keine Entscheidungen zu einzelnen Fällen treffen. Eine Beschwerde bei der Aufsicht ersetzt deshalb nicht den Widerspruch oder eine Klage. Trotzdem ist es sinnvoll, die Aufsichtsbehörden zu informieren, damit sie Erkenntnisse zu Verfehlungen der Kassen sammeln können.
Wird Dein Widerspruch im Ausschuss endgültig abgelehnt, bekommst Du einen sogenannten Widerspruchsbescheid. Du kannst dann binnen eines Monats Klage beim Sozialgericht einreichen. Das kostet keine Gerichtsgebühren. Du musst Dir auch keinen Anwalt nehmen. Es ist aber sinnvoll, sich von einem Fachanwalt für Sozialrecht vertreten zu lassen, denn das Sozialrecht ist kompliziert.
Das Anwaltshonorar musst Du selbst zahlen, falls Du den Prozess verlierst. Wenn Du Dir die Anwaltskosten nicht leisten kannst und Deine Klage Aussicht auf Erfolg hat, kannst Du unter bestimmten Voraussetzung Prozesskostenhilfe bekommen. Andernfalls solltest Du das Kostenrisiko abwägen, falls Du keine Rechtsschutzversicherung hast. Das Gerichtsverfahren kann sich schlimmstenfalls mehrere Jahre hinziehen.
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