Doppelbesteuerung Rente Wann werden Renten wirklich doppelt besteuert?
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So gehst Du vor
Eine mögliche Doppelbesteuerung von Renten ist seit vielen Jahren ein strittiges Thema. Klar ist, dass eine solche Doppelbesteuerung verfassungswidrig wäre. Lange war aber unklar, wie das genau berechnet werden muss.
Viele Rentnerinnen und Rentner klagen, dass sie Steuern auf ihre Rente zahlen müssen, obwohl sie schon während ihres Arbeitslebens schin Steuern gezahlt haben. Sie sprechen dann oft von einer Doppelbesteuerung. Doch so einfach ist es nicht. Im Prinzip geht es um zwei Zahlen:
Ist der steuerfreie Rentenzufluss geringer als die versteuerten Rentenbeiträge, spricht man von einer Doppelbesteuerung von Renten. Oder anders gesprochen: Du zahlst auf einen Teil Deiner bereits versteuerten Rentenbeiträge als Rentner dann noch mal Steuern.
Erst am 19. Mai 2021 hat der Bundesfinanzhof (BFH) in zwei Urteilen (Az. X R 33/19 und Az. X R 20/19) Berechnungsgrundlagen zur Bestimmung einer doppelten Besteuerung von Renten festgelegt. Damit musste die Politik endlich reagieren und hat im Jahr 2022 einen ersten Schritt getan, um eine doppelte Besteuerung von Renten in Zukunft zu vermeiden. 2023 und leicht verspätet erst 2024 folgte der zweite, lange geplante Schritt. Weil die Bundesregierung zu der Erkenntnis gekommen ist, dass diese beiden Schritte nicht in allen Fällen ausreichen werden, ist nun auch noch von einem zusätzlichen Schritt die Rede.
Hier gibt es eine gute Nachricht: Die große Mehrheit der Rentnerinnen und Rentner ist nicht von der Doppelbesteuerung betroffen. Das sind auf jeden Fall die, die keine Steuern zahlen, weil ihr Einkommen zu niedrig ist. Doch auch von den anderen betrifft es aktuell nur sehr wenige. Der Bundesfinanzhof listet in seinen eben genannten Urteilen folgende Gruppen auf, die am ehesten von einer Doppelbesteuerung betroffen sein können. Das sind zum Beispiel:
Die größte „Gefahr“ besteht bei ehemals Selbstständigen, weil diese sich ihre Altersvorsorge ohne Zuschüsse eines Arbeitsgebers oder einer Arbeitgeberin selbst aufbauen mussten. Wer hingegen ausschließlich angestellt war, ist tendenziell eher nicht betroffen. Wie Du Deine eigene Situation besser einschätzen kannst, erfährst Du weiter unten.
Die Probleme der Doppelbesteuerung liegen an dem prinzipiellen Umbau des Rentensystems seit dem Jahr 2005. Bis zu diesem Zeitpunkt zahlten Angestellte ihre Rentenversicherungsbeiträge aus bereits versteuertem Einkommen – dafür war der größte Teil der Rente dann steuerfrei. Das nannte sich vorgelagerte Besteuerung.
Doch das Bundesverfassungsgericht forderte in seinem Urteil vom 6. März 2002 (Az. 2 BvL 17/99) den Umbau auf die nachgelagerte Besteuerung, wie es schon immer bei Pensionären, also Beamtinnen und Beamten im Ruhestand, war.
Diesen Umbau regelt das Alterseinkünftegesetz seit dem Jahr 2005. Das passiert nicht auf einen Schlag, sondern in kleinen Schritten bis zum Jahr 2040. So der ursprüngliche Plan. Wir werden aber gleich sehen, dass der Umbau nun sogar noch bis zum Jahr 2058 dauern wird.
Jahr für Jahr steigt 2005 auf der einen Seite der Anteil der steuerpflichtigen Rente, auf der anderen Seite aber auch der Anteil der Rentenversicherungsbeiträge, die sich als Vorsorgeaufwendungen von der Steuer absetzen lassen.
Wer 2005 in Rente ging, hatte 50 Prozent seiner Rente zu versteuern, wer 2015 in den Ruhestand ging, schon 70 Prozent. 2022 waren es 82 Prozent und nach dem Wachstumschancengesetz 2023 - statt ursprünglich geplant 83 - nun 82,5 Prozent. Jedes Jahr wird es dann 0,5 Prozent mehr - statt bisher 1,0 Prozent pro Jahr. Wer 2058 oder später in Rente gehen wird, muss alles versteuern. Nach der bisherigen Regelung war das schon 2040 der Fall.
In der Tabelle siehst Du die aktuellen Zahlen laut Wachstumschancengesetz.
Jahr des Rentenbeginns | steuerpflichtiger Anteil der Rente | Jahr des Rentenbeginns | steuerpflichtiger Anteil der Rente |
2005 und früher | 50 % | 2032 | 87 % |
2006 | 52 % | 2033 | 87,5 % |
2007 | 54 % | 2034 | 88 % |
2008 | 56 % | 2035 | 88,5 % |
2009 | 58 % | 2036 | 89 % |
2010 | 60 % | 2037 | 89,5 % |
2011 | 62 % | 2038 | 90 % |
2012 | 64 % | 2039 | 90,5 % |
2013 | 66 % | 2040 | 91 % |
2014 | 68 % | 2041 | 91,5 % |
2015 | 70 % | 2042 | 92 % |
2016 | 72 % | 2043 | 92,5 % |
2017 | 74 % | 2044 | 93 % |
2018 | 76 % | 2045 | 93,5 % |
2019 | 78 % | 2046 | 94 % |
2020 | 80 % | 2047 | 94,5 % |
2021 | 81 % | 2048 | 95 % |
2022 | 82 % | 2049 | 95,5 % |
2023 | 82,5 % | 2050 | 96 % |
2024 | 83 % | 2051 | 96,5 % |
2025 | 83,5 % | 2052 | 97 % |
2026 | 84 % | 2053 | 97,5 % |
2027 | 84,5 % | 2054 | 98 % |
2028 | 85 % | 2055 | 98,5 % |
2029 | 85,5 % | 2056 | 99 % |
2030 | 86 % | 2057 | 99,5 % |
2031 | 86,5 % | 2058 | 100 % |
Quelle: Alterseinkünftegesetz, BGBl. I 2004, Wachstumschancengesetz (Stand: 25. März 2024)
Die Absetzbarkeit der Rentenbeiträge steigt ebenfalls von Jahr zu Jahr. Sie hat aber nichts mit dem eigenen Jahr des Rentenbeginns zu tun, sondern ist für alle gleich. 2005 ließen sich 60 Prozent der Versicherungsbeiträge absetzen, 2015 bereits 80 Prozent und 2022 waren es 94 Prozent. Ursprünglich geplant war, dass das in 2-Prozent-Schritten so weiter geht, bis ab 2025 die vollen 100 Prozent absetzbar sind.
Mit dem Jahressteuergesetz 2022 hat die Politik das aber geändert. Demnach sind Vorsorgeaufwendungen nun bereits ab 2023 zu 100 Prozent absetzbar.
Neben diesen beiden Entwicklungen ist für das Thema Doppelbesteuerung ebenfalls wichtig, dass ab 2007 das Renteneintrittsalter schrittweise angehoben wurde. Das bedeutet, dass die Betroffenen länger in die Rentenkasse einzahlen und dafür - bei gleicher durchschnittlicher Lebenserwartung - einen kürzeren Zeitraum Rente beziehen.
Zwar gab es schon 2007 klare Hinweise, dass das neue Rentensystem im Zusammenspiel mit der Erhöhung des Renteneintrittsalters in einzelnen Fällen dazu führen kann, dass Renten doppelt besteuert werden. Genau das, was nicht passieren sollte, wie das Bundesverfassungsgericht schon 2002 betont hatte. Doch die Politik reagierte lange nicht. Noch im Jahr 2019 sah der damalige Finanzminister und spätere Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) „keinen dringenden Handlungsbedarf bei der Rentenbesteuerung“. Erst der Bundesfinanzhof setzte den Gesetzgeber mit seinen oben erwähnten Urteilen im Jahr 2021 unter Druck, dass die Politik seit 2022 eine Änderung des Alterseinkünftegesetzes auf den Weg gebracht hat.
Die Ampelkoalition hat also ihre beiden Pläne aus dem Koalitionsvertrag zur Rentenbesteuerung umgesetzt:
Schon ab 2023 lassen sich alle Rentenbeiträge komplett absetzen. So weit, so gut. Noch interessanter ist die Entwicklung bei der Rente selbst: Wer zum Beispiel 2030 in Rente geht, musste bisher 90 Prozent seiner Rente versteuern. Nach der neuen Regelung (Wachstumschancengesetz) sind es nur noch 86 Prozent. Und bei einem Renteneintritt 2040 wären es nicht mehr 100 Prozent, sondern nur noch 91 Prozent.
Dadurch würde der steuerfreie Anteil der Rente steigen. Und das heißt, dass es unwahrscheinlicher wird, dass die gesamte steuerfreie Rente die bereits versteuerten Rentenbeiträge übertrifft. Damit wäre eine Doppelbesteuerung zumindest viel seltener.
Offenbar hat die Bundesregierung aber erkannt, dass die beiden gerade genannten Schritte eine Doppelbesteuerung immer noch nicht völlig ausschließen. Im Gesetzentwurf des Wachstumschanchengesetzes vom 2. Oktober 2023 finden sich auf den Seiten 125 die folgenden Sätze:
„Die vorliegende Anpassung sowie die bereits umgesetzte Anpassung ... werden jedoch nicht ausreichen, um „doppelte Besteuerungen“ für alle zukünftige Rentenkohorten vollständig zu vermeiden. Zudem greifen diese beiden Anpassungen erst ab dem Jahr 2023 und entfalten daher ihre Wirkung erst für Rentenjahrgänge ab 2023. Zur vollständigen Vermeidung einer „doppelten Besteuerung sowohl für zukünftige Rentenkohorten, aber auch zur Beseitigung von gegebenenfalls im Einzelfall bereits eingetretener „doppelter Besteuerung“ in Bestandsrentenfällen sind weitere Regelungen erforderlich, die zeitnah in einem dritten Schritt gesetzlich geregelt werden.“
Das bedeutet, dass also recht bald weitere Gesetzesänderungen folgen werden. Mit dem Ziel, eine Doppelbesteuerung von Renten komplett auszuschließen. Es bleibt also spannend.
Wichtig: Für „Bestandsrentnerinnen und Bestandsrentner“ ändert sich nichts.
Ein schöner Nebeneffekt der neuen Regelungen ist, dass viele zukünftige Rentnerinnen und Rentner mehr Rente auf dem Konto hätten als bisher vorgesehen. Nach ersten Modellrechnungen könnte zum Beispiel ein Durchschnittsverdiener über 12.000 Euro mehr Nettorente im Laufe seines Ruhestands haben als nach der bisherigen Regelung – wenn er 1975 geboren ist. Der Betrag wird geringer, wenn Du älter oder jünger bist.
Wir sagen es gleich vorab: Das ist richtig kompliziert und sehr mühsam. Du solltest Dir bewusst sein, dass der große Aufwand in den seltensten Fällen dazu führt, dass bei Dir tatsächlich eine Doppelbesteuerung vorliegt. Zudem ist zu erwarten, dass diese nach den kommenden Neuerungen in den Gesetzen nahezu ausgeschlossen sein sollte.
Wenn Du es trotzdem versuchen willst: Auf der einen Seite musst Du Deine erwartete steuerfreie Rente ausrechnen, was noch vergleichsweise einfach ist. Auf der anderen Seite brauchst Du den Gesamtbetrag Deiner versteuerten Rentenbeiträge. Und das ist happig. Denn die dazu nötigen Unterlagen können mehr als 40 Jahre alt sein.
Der BFH hat in seinem Urteil 2021 konkrete Berechnungsparameter festgelegt. Demnach zählen zu den steuerfreien Rentenbezügen allein
Alle anderen Beträge, die das Bundesfinanzministerium ebenfalls als steuerfreie Rentenbezüge einbeziehen wollte, bleiben hingegen unberücksichtigt. Der Grundfreibetrag, im Jahr 2024 sind das 11.604 Euro, die jährliche Werbungskostenpauschale von 102 Euro, die Sonderausgabenpauschale von 36 Euro und der Sonderausgabenabzug für Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge zählen also nicht dazu.
Voraussetzung für eine Überprüfung einer Doppelbesteuerung durch das Finanzamt ist, dass Du die Unterlagen dafür vorlegen kannst. Und damit dürften schon viele ausscheiden, denn es geht um:
Die Frage ist, wer die über einen solch langen Zeitraum noch hat. Selbst wenn das bei Dir der Fall sein sollte, würde noch jede Menge Arbeit vor Dir liegen.
Hier musst Du zuerst Deinen Rentenfreibetrag ermitteln und diesen mit der statistischen Lebenserwartung multiplizieren. Das folgende Beispiel zeigt, dass das nicht allzu schwierig ist:
Im Januar 2021 bekam Hubert als 66-Jähriger erstmals monatlich 1.600 Euro Rente. Von seiner Jahresbruttorente 2021 in Höhe von 19.200 Euro waren 19 Prozent steuerfrei. Das ergibt den für sein ganzes weiteres Leben konstanten Rentenfreibetrag von 3.648 Euro pro Jahr. Dieser steuerfreie Rentenanteil von 3.648 Euro wird mit 16,91 Jahren, der statistischen Lebenserwartung bei Rentenbeginn, multipliziert: Das ergibt 61.687 Euro als steuerfreien Rentenzufluss.
Diese Zahl musst Du jetzt mit dem Gesamtbetrag Deiner versteuerten Rentenbeiträge vergleichen. Zu denen kommen wir jetzt.
Das wird schwieriger und muss auch noch zweigeteilt gemacht werden:
Wenn Hubert aus dem Beispiel auf 40.000 Euro käme, läge er insgesamt bei 60.000 Euro, was weniger ist als 61.687 Euro – also keine Doppelbesteuerung. Wenn er aber 45.000 Euro für den Zeitraum bis 2004 zusammenbekommen würde, wäre es eine Doppelbesteuerung. Dann hätte Hubert 3.313 Euro doppelt besteuert.
Wenn Du überzeugt bist, dass Du auf einen Teil Deiner Rente zweifach Steuern zahlen musst, schickst Du Deine Unterlagen ans Finanzamt und bittest darum, nachzuprüfen, ob in Deinem konkreten Fall eine Doppelbesteuerung vorliegt. Das Finanzamt wird nur tätig, wenn Du mitwirkst.
Für Deine Steuererklärung 2023 konntest Du Dir bis zum 2. September 2024 Zeit lassen. Hilft Dir ein Steuerberater oder Lohnsteuerhilfeverein, dann sogar bis zum 2. Juni 2025.
Verneint das Finanzamt nach seiner Berechnung eine Doppelbesteuerung in Deinem Fall und Du bist anderer Meinung, kannst Du Einspruch einlegen. Lehnt das Finanzamt Deinen Einspruch ab, dann kannst Du Dich nur mit einer Klage vor dem Finanzgericht wehren – verbunden mit einem hohen Kostenrisiko.
Gibt das Finanzamt Dir hingegen recht, sollte eine Abänderung des Steuerbescheids kein Problem mehr sein. Denn alle Finanzämter müssen die Rentenbesteuerung in Steuerbescheiden mittlerweile auf vorläufig setzen (Schreiben vom 30. August 2021).
Es ist auch möglich, dass eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts dafür sorgt, dass sich neue Auswirkungen bei der Rentenbesteuerung ergeben. Dann würden diese automatisch zu geänderten Steuerbescheiden führen.
Zudem sind noch verschiedene Verfahren zum Thema Doppelbesteuerung anhängig, Ausgang offen. Das betrifft auch das oben erwähnte Verfahren des BFH. Denn die dortigen Kläger haben „verloren“, aber Verfassungsbeschwerden eingelegt. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Beschwerden mit Beschluss vom 7. November 2023 aber nicht zur Entscheidung angenommen. (Az. 2 BvR 1143/21 und Az. 2 BvR 1140/21). Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, da sie unzulässig ist, so das höchste deutsche Gericht in seiner Entscheidung. Sie genüge nicht den sogenannten Substantiierungsanforderungen von Paragraf 23 Abs. 1 Satz 2, Paragraf 92 BVerfGG.
Und wenn es dann eines Tages tatsächlich mal den Fall einer nachgewiesenen Doppelbesteuerung geben sollte, bleibt immer noch die Frage, wie der entstandene Steuernachteil im Detail ausgeglichen wird.