Wie erwartet hat die Europäische Zentralbank (EZB) in ihrer Sitzung am 25. Januar 2024 die Leitzinsen unverändert belassen. Der wichtigste der drei Leitzinsen steht weiterhin bei 4,5 Prozent. Die EZB bewegt sich damit weiterhin im Gleichschritt mit der US-Notenbank. Die legt ebenfalls derzeit eine Pause bei ihren Zinsmaßnahmen ein und wartet auf weitere Konjunktur- und Inflationsdaten, um zu erkennen, ob es in den nächsten Monaten einen Spielraum für Zinssenkungen gibt.
Das hohe Zinsniveau belastet die Wirtschaft
Sowohl für die Vereinigten Staaten als auch für den Euroraum gilt, dass die aktuellen Niveaus von Geldmarkt- und Kapitalmarktzinsen eine Reihe von Bereichen in der Wirtschaft massiv belasten. Allen voran trifft es den Immobilien- und Bausektor. Aber auch die Zinsbelastungen für die öffentlichen Haushalte steigen, im Vergleich zu den vergangenen fünf Jahren, deutlich an und beschränken deren Spielraum. Es gibt also eine Reihe von Lobbygruppen, die baldige Zinssenkungen sehen wollen. Diesem Druck müssen die Währungshüter, die wiederum die Inflationserwartungen absenken wollen, erst mal widerstehen.
Wie ist die aktuelle Zinssituation historisch einzuordnen?
Aber betrachten wir einmal das historische Bild, um die aktuelle Zinssituation einordnen zu können. Ausgehend vom US-Zinsmarkt, der im großen Trend auch vom europäischen Zinsmarkt gespiegelt wurde, sehen wir seit dem zweiten Weltkrieg zwei lange Phasen. Von 1950 bis 1980 hatten wir es mit einem einmaligen Aufwärtstrend der Zinsen zu tun, der seine Ursachen in einem starken Wirtschaftswachstum aufgrund des Wiederaufbaus, des US-Wirtschaftsbooms und höheren Inflationsraten hatte.
In den 70er Jahren kam es dann, mit den Ölpreisschocks und der Formierung der Organisation der erdölexportierenden Länder (OPEC), zu einer Explosion der Inflationsraten. Die US-Zinsen stiegen bis auf 15 Prozent.
Mit der massiven Intervention von Paul Volcker, dem damaligen US-Notenbankchef, wurde der Inflationsschock gebrochen und ein 40 Jahre währender Trend von sinkenden Zinsen eingeläutet.
Der Aufstieg Chinas mit billigen Produkten für den Westen, die Globalisierung des Handels, die Friedensdividende, also sinkende Rüstungs- und Verteidigungsausgaben sowie steigender Wohlstand nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion: All das hat dazu beigetragen, dass die Inflationsraten niedrig waren und die Notenbanken bei jeder Konjunkturschwäche oder Krisensituation den Spielraum hatten, die Zinsen weiter zu senken. Bis sie schließlich als Folge der globalen Finanzkrise und der Pandemie sogar null oder teilweise negatives Terrain erreichten. Die Zinsniveaus von 2020 und 2021 waren die niedrigsten der letzten 2.000 Jahre!
Mit dem Inflationsschock, den pandemiebedingten Lieferkettenproblemen und den massiven Pandemiehilfen kam es ab dem Jahr 2022 zu einer drastischen Korrektur an den Zinsmärkten. Die Leitzinsen wurden rasch von der Federal Reserve Bank und der EZB angehoben, um die Inflation unter Kontrolle zu bekommen. Die Kapitalmarktzinsen, gemessen an zehnjährigen US-Staatsanleihen, schossen von einem in kurzer Zeit auf fünf Prozent hoch. Nüchtern betrachtet ist damit der vierzigjährige Abwärtstrend der Zinsen klar gebrochen.
Die Niedrigzinsen kommen nicht wieder
Die jüngste Einwicklung der Zinsen kann man nicht nur einfach als Korrektur bezeichnen. Es handelt sich um einen Trendwechsel. Zwar werden die Zinsen die nächsten ein bis zwei Jahre, wie ein JoJo, stark schwanken – aber eines ist klar: Wir befinden uns am Beginn eines Bärenmarktes für die Zinsmärkte und Nullzinsen wird es vielleicht die nächsten 2.000 Jahre nicht mehr geben.
Worin liegen die fundamentalen Begründungen für diese Behauptung?
- Die Globalisierung hat ihren Höhepunkt überschritten. Das Verhältnis der USA und Chinas ist gestört und es entsteht gerade eine bipolare, vielleicht sogar tripolare, Weltordnung mit vielen negativen Auswirkungen auf Lieferketten und deutlich höheren Preisen für regionale und lokale Produktion.
- Die Arbeitsmärkte im Westen, aber auch in China, sind demographisch beeinträchtigt und Arbeit wird immer teurer, was zu einer höheren Basisinflationsrate führt.
- Die Friedensdividende dreht sich aktuell in eine Phase der Verteidigungsfinanzierung und Aufrüstung mit entsprechenden Folgen für die Staatshaushalte.
- Die Demographie wird künftig die Sozialsysteme im Westen und in China massiv belasten.
Das alles sind Kosten- und Preistreiber. Vor diesem Hintergrund werden höhere Basisinflationsraten auch den Spielraum bei den Zinsen eingrenzen ‒ und die Investoren werden am langen Ende des Kapitalmarktes höhere Risikoprämien und damit Zinsen verlangen.
Die Zinssenkungen, die die EZB und US-Notenbank gerade für Mitte des Jahres 2024 in Aussicht stellen, sind daher als taktische Maßnahmen zu verstehen: zur Feinsteuerung der Konjunktur und vor dem Hintergrund der anstehenden Wahlen in den USA. Wenn Marktteilnehmer glauben, dass dies schon wieder die große Wende nach der großen Wende wird, dann liegen sie falsch. Es sind große Schwankungen vor dem Hintergrund einer gänzlich neuen Situation in der Welt – Zinstrends dauern immer 20 Jahre oder länger. Der neue Aufwärtstrend hat gerade erst begonnen.
Verbraucherinnen und Verbraucher sollten weiter genau hinschauen
Vor diesem Hintergrund werden in den nächsten Jahre Zinsinstrumente wie Tagesgeld, Festgeld und Anleihen ein fester Bestandteil des Anlagemixes für Sparer und Anleger sein. Der Zins ist also zurück und damit hat Geld endlich wieder einen Preis. Baufinanzierer sollten Niveaus um die drei bis 3,5 Prozent auf jeden Fall für das Absichern von Laufzeitverlängerungen verwenden. Wer über den Erwerb einer Wohnung oder eines Hauses nachdenkt, sollte ebenfalls die aktuellen Zinsen nutzen und parallel hart über den Kaufpreis verhandeln.
Wie viel Zinsen die Banken beim Tagesgeld und Festgeld zurzeit bieten, ist stets tagesaktuell bei Finanztip nachzulesen.
von Finanztip Co-Gründer Robert Haselsteiner