Bürgerbewegung Finanzwende, Finanztip und Verbraucherzentrale Sachsen appellieren an Sparkassen
Leipzig. Die Sparkasse Leipzig zeigt sich im Streit um Zinsnachzahlungen weiter unnachgiebig. Für die beliebten Prämiensparverträge haben Sparkassen über lange Jahre sehr oft weniger Zinsen gezahlt als den Sparer*innen zustehen. Das hat Anfang dieses Monats der Bundesgerichtshof (BGH) bestätigt.
Auf diese Verweigerungshaltung reagierte heute das Aktionsbündnis aus Bürgerbewegung Finanzwende, Geldratgeber Finanztip und Verbraucherzentrale Sachsen laut und deutlich mit dem Appell: „Zahlt endlich die Zinsen!“ Eine gemeinsame Protestaktion in Leipzigs Innenstadt fand am Vormittag des Weltspartages 2021 mit Betroffenen und Passanten statt. Im Mittelpunkt stand insbesondere die Forderung an die Sparkassen, endlich auf ihre Kundschaft zuzugehen.
Der Bundesgerichtshof hatte am 6. Oktober 2021 geurteilt, dass die Sparkasse Leipzig bei vielen Prämiensparverträgen Zinsen nachzahlen muss, wenn Verbraucher*innen dies einfordern. Die Sparkasse Leipzig hält jedoch wie viele andere Sparkassen weiterhin an der Verschleppungstaktik fest. Enttäuschte und frustrierte ältere Prämiensparende werden dadurch gezwungen, ihr Recht zeitaufwändig selbst durchzusetzen. Bei Verträgen zahlreicher Sparkassen, die 2018 beendet wurden, droht zudem schon Ende 2021 die Verjährung der Ansprüche.
„Dabei ist nicht erst seit dem aktuellen BGH-Urteil klar, dass die Sparkassen mehr Zinsen zahlen müssen. Schon seit 2004 gibt es dazu eine deutliche Rechtsprechung, die Zinsfestsetzung nach Gutsherrenart untersagt. Es ist einfach unglaublich, dass die Sparkassen seit 17 Jahren die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs inhaltlich ignorieren“, meint Hermann-Josef Tenhagen, Chefredakteur vom Geldratgeber Finanztip. „Es kann doch nicht angehen, dass berechtigte Forderungen vieler Tausend älterer Kunden deshalb einfach verjähren. Das muss mit allen Mitteln verhindert werden!“, ergänzt Tenhagen und verweist auf die verschiedenen Möglichkeiten, diese Verjährung zu verhindern.
„Wir sind vor zwei Jahren angetreten, um sächsische Verbraucherinnen und Verbraucher im Streit um ihr Geld und ihre Rechte zu unterstützen. Wir waren vor dem Oberlandesgericht und dem Bundesgerichthof erfolgreich. Im Schlussspurt heißt es für Betroffene, nicht die Zuversicht zu verlieren! Deshalb schalten wir einen Gang hoch und mobilisieren weitere Unterstützer und auch nach der heutigen Protestaktion weitere Maßnahmen. Die Sparkasse Leipzig wird zahlen“, zeigt sich Andreas Eichhorst, Vorstand der Verbraucherzentrale Sachsen entschlossen.
Dass das Geld fließen muss, ist aus Sicht von Julian Merzbacher, Sprecher der Bürgerbewegung Finanzwende klar. „Gerade die Sparkassen als öffentlich-rechtliche Institute stehen in der Pflicht, nicht weiteres Vertrauen zu verspielen. Die Sparkassen müssen Verantwortung für ihre falschen Zinsberechnungen übernehmen. Das sind sie ihren Kunden schuldig. Das Spiel auf Zeit muss ein Ende haben. Deshalb lautet unsere Forderung ganz klar: Sparkasse Leipzig und Co.: Zahlt Euren Kunden endlich die Zinsen“, fordert Merzbacher.
In einem offenen Brief an die Sparkasse Leipzig betonen Finanzwende, Finanztip und Verbraucherzentrale Sachsen, dass es dem Institut als einer der größten Sparkassen der Bundesrepublik gelingen kann, vom Bremser zum Vorreiter zu werden. Sie muss dazu selbst aktiv werden und kann auf andere Institute einwirken und so dem Anspruch der Sparkassen als zuverlässiger und starker Partner gerecht werden.
Hintergrund
In dem seit über zwei Jahren laufenden Rechtsstreit zwischen der Verbraucherzentrale Sachsen und der Sparkasse Leipzig hat der Bundesgerichthof (Aktenzeichen XI ZR 234/20) am 6. Oktober 2021 entschieden, dass die in den Langzeitsparverträgen „Prämiensparen flexibel“ verwendeten Klauseln zur Zinsanpassung unwirksam sind. Außerdem hat der BGH entschieden, dass bei der ergänzenden Vertragsauslegung ein langfristiger von der Deutschen Bundesbank veröffentlichter Zinssatz bei Wahrung des relativen Zinsabstands anzuwenden ist und die Verjährungsfrist frühestens mit Vertragsende beginnt. Die Entscheidung, welcher konkrete Referenzzins anzuwenden ist, muss das Oberlandesgericht Dresden noch treffen.
Da jedoch alle Referenzzinssätze die gleiche Zinsentwicklung abbilden, sind diesbezüglich keine großen Unterschiede zu erwarten. Nach Berechnungen der Verbraucherzentrale Sachsen wurde im Durchschnitt ein Nachzahlungsbetrag in Höhe von 3.600 Euro pro Vertrag ermittelt – mit einem der in Frage kommenden langfristigen Referenzzinssätze.
Nach Auskunft der Finanzaufsichtsbehörde BaFin geht es deutschlandweit um rund eine Million Prämiensparverträge mit strittigen Zinsanpassungsklauseln.
Offener Brief: Aufforderung zur Zahlung von Zinsen aus Prämiensparverträgen
An die
Stadt- und Kreissparkasse Leipzig
- vertreten durch den Vorstand -
Humboldtstraße 25
04105 Leipzig
Leipzig, 29.Oktober 2021
Sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter der Sparkasse Leipzig,
wir schreiben Ihnen diesen offenen Brief, stellvertretend für Tausende Ihrer Kundinnen und Kunden, die sich in den vergangenen Jahren an unsere drei Organisationen gewandt haben: An die Bürgerbewegung Finanzwende, die sich regelmäßig in großen Kampagnen für mehr Transparenz und Gerechtigkeit im Finanzsektor einsetzt. An den Geldratgeber Finanztip, der mit seinem Newsletter wöchentlich über 750.000 Leser und über finanztip.de 50 Millionen Seitenabrufe jährlich erreicht. Und an die Verbraucherzentrale Sachsen, die über 1.300 Menschen bei Deutschlands erster Musterfeststellungsklage zum Thema Prämiensparen vertritt und täglich neue Beratungen dazu durchführt.
Wir wissen aus dem Austausch mit unseren Unterstützerinnen, Lesern, Mitklägerinnen und Beratungskunden, dass es zu enormem Frust führt, wenn zwar längst klar ist, dass die Sparkasse bei vielen Verträgen Zinsen nachzahlen muss, aber dennoch weiterhin kein Geld fließt. Das Prämiensparen ist in allen Generationen beliebt, aber vor allem bei den Älteren, von denen nicht wenige für den Ruhestand vorsorgen wollten und die endlich über die ihnen zustehenden Zinsen verfügen möchten.
Der juristische Weg zur Nachbesserung der Prämiensparverträge ist eine Sache. Selbstverständlich begrüßen wir es, dass der Bundesgerichtshof (BGH) in entscheidenden Stellen im Sinne der Prämiensparer geurteilt hat, und wir sehen optimistisch der neuerlichen Verhandlung vor dem Oberlandesgericht Dresden entgegen, in der nur noch über den geeigneten langfristigen Referenzzins zu entscheiden ist. Allerdings haben die Sparkassen unglaublich viel Zeit vergehen lassen. Bedenken Sie: Das erste Urteil des Bundesgerichtshofs zum Prämiensparen fiel vor 17 Jahren. Die aktuelle Musterfeststellungsklage ist von der Verbraucherzentrale Sachsen im Juni 2019 eingereicht worden.
Wir finden, die unnachgiebige und langanhaltende Verweigerungshaltung passt nicht zu Ihrem eigenen Anspruch als zuverlässiger starker Partner der Menschen in Leipzig und Umgebung. Und sie passt nicht zu der Gemeinwohlorientierung der Sparkassen. Es erschüttert Vertrauen, wenn Sie auf Zeit spielen. Unser Appell: Warten Sie nicht länger. Gehen Sie aktiv auf Ihre Kundinnen und Kunden zu. Zahlen Sie jetzt den Großteil der ausstehenden Zinsen zügig aus und klären Sie den kleinen Rest, wenn später der konkrete Referenzzins feststeht. Die in Frage kommenden Zinssätze weichen nur geringfügig voneinander ab, so dass eine Vorauszahlung kein Problem darstellt. Und verzichten Sie auf die Einreden der Verjährung und der Verwirkung, damit wirklich alle Kundinnen und Kunden die ihnen zustehenden Zinsen erhalten.
Wir ermuntern Sie auch, als eine der größten Sparkassen der Bundesrepublik auf Ihre Kolleginnen und Kollegen in den anderen Städten und Kreisen einzuwirken, damit auch diese auf die dortige Kundschaft zugehen. Bitte werden Sie vom Bremser zum Vorreiter!
Mit freundlichen Grüßen,
Julian Merzbacher
Sprecher,
Bürgerbewegung Finanzwende
Hermann-Josef Tenhagen
Geschäftsführer,
Finanztip
Andreas Eichhorst
Vorstand,
Verbraucherzentrale Sachsen