Le­bens­ver­si­che­rung widerrufen So forderst Du Deine Beiträge zurück

Expertin für Recht - Dr. Britta Beate Schön
Dr. Britta Beate Schön
Finanztip-Expertin für Recht

Das Wichtigste in Kürze

  • Wer zwischen dem 29. Juli 1994 und dem 31. Dezember 2007 eine Lebens- oder Ren­ten­ver­si­che­rung abgeschlossen hat, ist oft nicht richtig über das Widerspruchs- oder Rücktrittsrecht belehrt worden.
  • Ein Widerspruch kann sich lohnen, wenn Versicherte die eingezahlten Beiträge zurückbekommen plus Zinsen – also mehr als den Rückkaufswert.
  • Um den Widerspruch durchzusetzen, ist oft eine Klage nötig. Die Erfolgschancen vor Gericht sind in den letzten zwei Jahren gesunken; eine Klage ist daher nur Versicherten mit Rechtschutzversicherung zu empfehlen.

So gehst Du vor

  • Lass überprüfen, ob Du Deine Le­bens­ver­si­che­rung rückabwickeln kannst. Dazu kannst Du Dich an eine Verbraucherzentrale wenden; in Hamburg kostet eine Prüfung 100 Euro.
  • Für den Widerspruch kannst Du unser Musterschreiben nutzen.

    Download Mus­ter­schrei­ben
  • Akzeptiert die Ver­si­che­rung den Widerspruch nicht, kannst Du den Ver­si­che­rungs­om­buds­mann einschalten oder eine Rechtsanwaltskanzlei beauftragen.

Fast jeder deutsche Haushalt hat sie: eine Le­bens­ver­si­che­rung. Und das, obwohl die Rendite weit hinter dem zurückbleibt, was der Vermittler beim Abschluss vorgerechnet hat. Schuld daran sind: hohe Abschlusskosten und schlechte Anlagerenditen. Etwa die Hälfte der Verträge werden vorzeitig beendet. Von einer Kündigung raten wir wegen der hohen Abschläge ab – zurück gibt es dann nur den Rückkaufswert. Mehr Geld kann es geben, wenn Du den Vertrag widerrufst und die Rückabwicklung der Le­bens­ver­si­che­rung beantragst.

Wer kann seine Le­bens­ver­si­che­rung widerrufen?

Wer heute eine Le­bens­ver­si­che­rung abschließt, dem steht ein Widerrufsrecht zu. Er kann den Vertrag innerhalb von 30 Tagen widerrufen (§ 152 VVG). Bei unvollständiger oder fehlerhafter Vertragsinformation beginnt die Widerrufsfrist nicht zu laufen.

Bei Vertragsabschlüssen zwischen dem 29. April 1994 und 31. Dezember 2007 gab es statt einer Widerrufsmöglichkeit ein Widerspruchs- und Rücktrittsrecht. Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte mehrfach für diese Altverträge entschieden, dass Le­bens­ver­si­che­rungskunden noch Jahre später ihre Verträge rückabwickeln können, da die Ver­si­che­rung damals gar nicht oder fehlerhaft über diese Rechte belehrt hatte (07.05.2014, Az. IV ZR 76/11, 29.07.2015, Az. IV ZR 384/14 und IV ZR 448/14). Diese Möglichkeit, den Vertrag rückabwickeln zu lassen, wird auch Widerrufsjoker genannt.

Eine Rückabwicklung kann sich lohnen, denn bei einem Widerspruch muss der Versicherer regelmäßig wesentlich mehr zurückzahlen als im Fall einer Kündigung. Dann gibt es nur den Rückkaufswert.

Aber: Ein Widerspruch nach vielen Jahren kann rechtmissbräuchlich sein, wenn Du Dich auf einen rein formalen Fehler im Vertrag berufst, der für Dich aber keinen Nachteil bedeutete. Ein Widerspruch in solchen Fällen verstößt gegen den Grundsatz von Treu und Glauben und ist damit ausgeschlossen (BGH, 15.02.2023, Az. IV ZR 353/21; 10.02.2021, Az. IV ZR 32/20). Die Erfolgsaussichten für Rückabwicklungsklagen sind deutlich gesunken, da sich mittlerweile viele Landgerichte den Argumenten des Bundesgerichtshofs anschließen und zudem wegen des langen Zeitraums oft Verwirkung annehmen.

Ganz aussichtslos sind solche Streitigkeiten allerdings auch heute nicht, da es immer auf den Einzelfall ankommt. Zudem gibt es Zweifel daran, ob der Einwand des Rechtsmissbrauchs oder der Verwirkung überhaupt zulässig sind. Einige Anwälte sehen darin einen Verstoß gegen europäisches Recht. Um diese Frage zu klären, hat das Landgericht Erfurt den Europäischen Gerichtshof angerufen (13.01.2022, Az. 8 O 1463/20). Die Richter in Luxemburg werden diese Frage klären.

Welche Ver­si­che­rungs­ver­träge sind betroffen?

Es geht grundsätzlich um Verträge zu Lebens- und Ren­ten­ver­si­che­rungen, die zwischen dem 29. Juli 1994 und dem 31. Dezember 2007 nach dem sogenannten Policen-Modell abgeschlossen wurden. Bei einem Vertragsschluss nach diesem Modell bekam der Versicherte vor oder bei Antragstellung nicht alle erforderlichen Verbraucherinformationen, sondern erst später – mit Ausfertigung der Ver­si­che­rungs-Police. Nach Vertragsschluss hätte die Ver­si­che­rung alle Unterlagen zusenden und richtig über das Wi­der­spruchs­recht belehren müssen. Das hat oft nicht funktioniert, so dass die Widerspruchsfrist nicht zu laufen begann.

Verträge nach dem Antragsmodell - Wenn Du schon beim Antrag alle Ver­si­che­rungs­be­din­gungen und Verbraucherinformationen bekommen hast, hast Du Deinen Vertrag nach dem sogenannten Antragsmodell abgeschlossen. Dabei gibt es statt eines Wi­der­spruchs­rechts ein Rücktrittsrecht. Auch von diesen Verträgen können viele Versicherte noch heute zurücktreten. Entscheidend ist, ob der Versicherer unzureichend belehrt hat. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn die Belehrung drucktechnisch nicht hervorgehoben war. Wegen dieses Formmangels beginnt die Rücktrittsfrist von 30 Tagen nicht zu laufen (BGH, 17.12.2014, Az. IV ZR 260/11, 25.01.2017, Az. IV ZR 173/15). Es besteht ein ewiges Rücktrittsrecht.

Lebens- und Ren­ten­ver­si­che­rungsverträge - Es spielt keine Rolle, ob es sich um einen fondsgebundenen Vertrag oder einen Vertrag ohne Fondsanlage handelt. Insbesondere auch Riester-Rentenversicherungen (auch Förderrenten genannt) und Rürup-Rentenversicherungen (auch Basisrentenversicherungen genannt) aus dem obigen Zeitraum können Versicherte noch heute rückgängig machen.

Be­rufs­un­fä­hig­keits­ver­si­che­rungen und Ri­si­ko­le­bens­ver­si­che­rungen - Bei diesen Verträgen dürfte ein Widerspruch nur in Ausnahmefällen sinnvoll sein. Zum einen bieten diese Ver­si­che­rungen in der Regel einen wichtigen Schutz, den Du behalten solltest. Zum anderen sparst Du nur geringe Beträge an. Wenn Du aber der Meinung bist, dass Deine Be­rufs­un­fä­hig­keits­ver­si­che­rung für Dich nachteilig oder ungeeignet ist und Du vielleicht einen Neuvertrag zu besseren Bedingungen abschließen könntest, dann solltest Du diese Möglichkeit prüfen. Gleiches gilt bei der Ri­si­ko­le­bens­ver­si­che­rung.

Laufende, gekündigte und abgelaufene Verträge - Du kannst noch laufende Verträge, grundsätzlich aber auch bereits gekündigte oder regulär abgelaufene Ver­si­che­rungen durch einen Widerspruch rückabwickeln lassen.

Wie viel Geld bringt die Rückabwicklung?

Sofern Du Deinem Vertrag erfolgreich widersprichst, erhältst Du Deine eingezahlten Beiträge zurück. Zusätzlich hast Du Anspruch auf einen sogenannten Nutzungsersatz. Das bedeutet, dass der Versicherer das, was er mit Deinen Beiträgen an Zinsen erwirtschaftet hat, erstatten muss.

Allerdings musst Du beweisen, dass er tatsächlich aus Deinem Kapital Nutzungen gezogen hat (BGH, 11.11. 2015, Az. 513/14). Du kannst dementsprechend nicht einfach 5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz als Nutzungsersatz verlangen (§ 288 BGB).

Auf den Risikoanteil und die Abschluss- und Verwaltungskosten muss die Ver­si­che­rung keinen Nutzungsersatz erstatten (BGH, 10.02.2016, Az. IV ZR 19/15). Bei den Verwaltungskosten kann das anders sein.

Das Oberlandesgericht Stuttgart hatte in einem Fall den Nutzungsersatz geschätzt. Es hat die Geschäftsberichte der relevanten Jahre als Grundlage herangezogen und einen durchschnittlichen Zinssatz von 4,02 Prozent angenommen. Bei einem zu erstattenden Betrag von rund 16.000 Euro musste die Ver­si­che­rung einen Nutzungsersatz von 3.500 Euro zahlen (23.10.2014, Az. 7 U 54/14).

Bei einer fondsgebundenen Ver­si­che­rung stellen die aus der Anlage des Sparanteils erzielten Gewinne die tatsächlich gezogenen Nutzungen dar (BGH, Urteil vom 11. November 2015, Az. 513/14). Darüber hinaus musste der Versicherer keine weiteren Zinsen erstatten.

Von den eingezahlten Beiträgen darf das Ver­si­che­rungs­un­ter­neh­men einige Positionen abziehen. Was die Gerichte dazu entschieden haben, kannst Du der Tabelle entnehmen.

Rückabwicklung Le­bens­ver­si­che­rung: zulässige Abzüge

Rückkaufswert

 

 

Von den geleisteten Beiträgen darf die Ver­si­che­rung den Rückkaufswert abziehen, den sie bei Beendigung bereits ausgezahlt hat.

 

 

Risikoanteile

 

 

 

Der Versicherer darf die sogenannten Risikoanteile abziehen. Das sind die Kosten, die für den Ver­si­che­rungs­schutz anfallen, den Du während der Laufzeit des Vertrags hättest. Das kann ein Todesfallschutz und ein Schutz bei Be­rufs­un­fä­hig­keit sein.
SteuernAls Vermögensvorteil darf die Ver­si­che­rung die abgeführte Kapitalertragssteuer nebst Solidaritätszuschlag als Vermögensvorteil gegenrechnen.

Quelle: Finanztip-Recherche (Stand: Mai 2023)

Nach der Rechtsprechung gibt es auch Kosten, die das Ver­si­che­rungs­un­ter­neh­men nicht von Deinen Einzahlungen abziehen darf. Um welche es sich dabei handelt, findest Du in der Tabelle.

Rückabwicklung Le­bens­ver­si­che­rung: unzulässige Abzüge

AbschlusskostenAbschlusskosten darf der Versicherer bei einem Widerspruch nicht abziehen (BGH, 29.07.2015, Az. IV ZR 448/14).
VerwaltungskostenVerwaltungskosten muss der Versicherer erstatten (BGH, 29.07.2015, Az. IV ZR 448/14).
RatenzahlungszuschlagAuch ihn darf der Versicherer im Falle eines wirksamen Widerspruchs nicht auf den Kunden umlegen.

Quelle: Finanztip-Recherche (Stand: Mai 2023)

Wie viel tatsächlich für Dich bei einem Widerspruch herauskommt, hängt von Deinem Vertrag ab. Zur Veranschaulichung folgt ein konkreter Beispielfall, den der Bundesgerichtshof so entschieden hat. Von den eingezahlten Prämien in Höhe von knapp 34.000 Euro bekam der Verbraucher den Rückkaufswert von rund 21.600 Euro. Darüber hinaus musste die Ver­si­che­rung rund 8.500 Euro zahlen.

Beispiel: Le­bens­ver­si­che­rung Rückabwicklung mit BU-Anteil

Prämienzahlungen33.841,79 €
abzgl. ausgezahlter Betrag21.588,70 €
abzgl. Risikoanteil BU3.609,16 €
abzgl. Risikoanteil Todesfall1.816,46 €
zu erstattende Summe6.827,47 €
zzgl. Nutzungsersatz1.668,15 €

Quelle: BGH, 29.07.2015, Az. IV ZR 384/14, Vorinstanz OLG Köln, 05.09.2014, Az. 20 U 77/14

Wann lohnt sich der Widerspruch der Le­bens­ver­si­che­rung?

Ob sich die Rückabwicklung Deiner Le­bens­ver­si­che­rung lohnt, lässt sich nicht pauschal beantworten. Dazu fünf grundsätzliche Aspekte:

1. Je jünger der Vertrag ist, desto eher lohnt sich ein Widerspruch

Dies betrifft vor allem die Verträge aus den Jahren 2005 bis 2007. Denn diese Verträge haben zum einen nicht mehr das Privileg, in der Auszahlung steuerfrei zu sein. Zum anderen liegt die Anfangsphase, in der die Abschlusskosten abgezogen wurden, noch nicht so lange zurück. Daher ist oft der aktuelle Vertragswert niedriger als die eingezahlten Beiträge, selbst wenn man die Risikobeiträge für den Ver­si­che­rungs­schutz berücksichtigt.

2. Bei einem Riester-Vertrag an Zulagen und Steuer denken

Falls Du einen Riester-Vertrag rückabwickeln willst, werden sowohl die Zulagen als auch die Steuerrückzahlungen abgezogen, die Du über die Jahre erhalten hast. Du musst also aufpassen, wenn Du den aktuellen Vertragswert mit den eingezahlten Beiträgen vergleichst. Dennoch kann es sich unter Umständen auch bei einer Riester-Rentenversicherung lohnen, für diese nachträglich einen Widerspruch durchzusetzen. Denn auch dabei sind in der Regel hohe Abschlusskosten angefallen.

3. Bei älteren Verträgen ist Vorsicht geboten

Gerade bei Verträgen aus den 1990er-Jahren solltest Du vorsichtig mit einem Widerspruch sein. Oft haben sich diese Verträge trotz der hohen Abschlusskosten schon vernünftig entwickelt. Zudem genießen sie das Privileg einer steuerfreien Auszahlung. Klassische Ka­pi­tal­le­bens­ver­si­che­rungen aus dieser Zeit haben außerdem eine hohe Verzinsung im Vergleich zu heute.

4. Der Widerspruch lohnt besonders bei geringem Risikoanteil

Je weniger zusätzlicher Ver­si­che­rungs­schutz in Deinem Vertrag steckt, wie Absicherung gegen Be­rufs­un­fä­hig­keit, Unfallschutz oder im Todesfall, desto eher lohnt sich ein Widerspruch. Den Risikoanteil darf die Ver­si­che­rung nämlich bei einer Rückabwicklung von den eingezahlten Prämien abziehen.

5. Überlege genau bei einem Be­rufs­un­fä­hig­keits-Zusatz

Ganz vorsichtig solltest Du sein, wenn Dein Vertrag mit einer echten Be­rufs­un­fä­hig­keits-Zusatzversicherung kombiniert ist. Das ist der Fall, wenn Du bei Be­rufs­un­fä­hig­keit eine monatliche Rente ausbezahlt bekommst. Diese Zusatzversicherung kann sehr wichtig sein. Du solltest nur in Ausnahmefällen widersprechen. In vielen Fällen ist es besser, den Beitrag zur Hauptversicherung, also den Sparanteil, zu reduzieren, wenn Du die Le­bens­ver­si­che­rung nicht weiter besparen willst.

Wie setzt Du einen Widerspruch durch?

Am besten gehst Du in vier Schritten vor.

Schritt 1: Belehrung überprüfen lassen

Lass Deinen Vertrag überprüfen. Du kannst Dich dazu an die Verbraucherzentrale Hamburg wenden, die für das Überprüfen der Unterlagen 100 Euro verlangt. Du kannst Dich auch an spezialisierte Anwaltskanzleien wenden, die in der Regel für die Ersteinschätzung eine pauschale Vergütung verlangen.

Schritt 2: Rückabwicklung Le­bens­ver­si­che­rung berechnen

Du solltest genau durchrechnen und bewerten lassen, ob sich bei Deinem Vertrag ein Widerspruch lohnt. Die Bewertung ist nicht leicht. Die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen bietet über die Zahl und Recht GmbH eine juristische und mathematische Prüfung aller Verträge für 375 Euro an.

Schritt 3: Widerspruch Le­bens­ver­si­che­rung erklären

Lohnt sich der Widerspruch bei Deinem Vertrag, solltest Du widersprechen. Du solltest ihn als Einwurf-Einschreiben versenden, damit Du einen Beweis in der Hand hältst, dass Du widersprochen hast.

Du kannst dazu unseren Musterwiderspruch verwenden.

Zum Download

Schritt 4: Ombudsmann oder Anwalt einschalten

Rechne damit, dass der Versicherer nicht klein beigibt. Die Marktwächter der Verbraucherzentralen mussten feststellen, dass viele Ver­si­che­rungs­un­ter­neh­men die Rechtslage ignorieren und die Rückabwicklung ablehnen.

Du kannst Dich kostenlos an den Ver­si­che­rungs­om­buds­mann wenden und überprüfen lassen, ob der Versicherer zu Unrecht Deinen Widerspruch abgelehnt hat.

Solltest Du beim Ver­si­che­rungs­om­buds­mann auf Granit beißen, kannst Du eine Anwaltskanzlei beauftragen. Entweder es gelingt eine gütliche Einigung mit dem Versicherer, oder Du ziehst vor Gericht, falls Deine Rechts­schutz­ver­si­che­rung die Kosten einer Klage übernimmt.

Wichtig: Die Erfolgsaussichten sind mittlerweile stark gesunken. Vermehrt scheitern Klagen, weil viele Instanzgerichte annehmen, dass Verwirkung eingetreten ist oder der Widerspruch insgesamt schon rechtsmissbräuchlich ist. Einige Kanzleien, die wir bisher emp­foh­len haben, hatten sich bereits wegen geringer Erfolgschancen der Verfahren aus diesem Bereich ganz zurückgezogen. Wir haben uns deshalb dazu entschlossen, keine spezialisierten Kanzleien mehr in diesem Bereich zu empfehlen.

Was ist der rechtliche Hintergrund?

Bei Lebens- und Ren­ten­ver­si­che­rungen, die Kunden zwischen dem 29. Juli 1994 und dem 31. Dezember 2007 abgeschlossen haben, gab es eine Besonderheit: Ein Vertrag galt auch dann als abgeschlossen, wenn der Versicherer dem Ver­si­che­rungsnehmer den Ver­si­che­rungsschein, die Allgemeinen Ver­si­che­rungs­be­din­gungen (AVB) oder eine Verbraucherinformation erst übersandte, nachdem der Kunde den Antrag gestellt hatte. Das nannte sich Abschluss nach Policen-Modell.

Der Versicherte hatte dann ein Wi­der­spruchs­recht von 14 Tagen; bei Le­bens­ver­si­che­rung­en betrug die Widerspruchsfrist ab dem 8. Dezember 2004 sogar 30 Tage. Sie begann jedoch erst, wenn dem Versicherten die Vertragsunterlagen vollständig vorlagen und er bei Aushändigung des Ver­si­che­rungsscheins schriftlich und deutlich über das Wi­der­spruchs­recht, den Fristbeginn und die Dauer belehrt worden war.

Auch wenn der Versicherer nicht oder nicht ordentlich belehrt hatte, erlosch das Wi­der­spruchs­recht ein Jahr nach Zahlung der ersten Ver­si­che­rungsprämie (§ 5a Absatz 2 Satz 4 VVG a.F.). Diese im Gesetz vorgesehen Jahresfrist hat der Bundesgerichtshof allerdings 2015 gekippt. Er hat zahlreiche Urteile zum Widerspruch von Le­bens­ver­si­che­rung­en gefällt. Der Versicherte hat nach der Rechtsprechung ein sogenanntes ewiges Wi­der­spruchs­recht, sofern ihn der Versicherer nicht ordentlich belehrt hat.

Typische Fehler in den Widerspruchsbelehrungen

Dass der Versicherer tatsächlich vergessen hat, Dir eine Widerspruchsbelehrung zuzuschicken, ist ziemlich unwahrscheinlich. Wahrscheinlicher ist, dass die Widerspruchsbelehrung nicht korrekt formuliert ist und einen der folgenden Fehler enthält:

  • In der Widerspruchsbelehrung steht nicht, dass es ausreicht, den Widerspruch innerhalb der 30-Tage-Frist (14 Tage bei Verträgen mit Abschlussdatum vor dem 8. Dezember 2004) abzusenden. Der Widerspruch muss nämlich nicht innerhalb der Frist beim Versicherer eingehen, sondern nur rechtzeitig abgesendet werden.
  • Sofern der Vertrag 2002 oder später abgeschlossen wurde, muss in der Widerspruchsbelehrung ausdrücklich auf die Textform, nicht auf die Schriftform des Widerspruchs hingewiesen werden. Das bedeutet, dass seit 2002 auch eine E-Mail als Widerspruch ausreicht (BGH, 14.10.2015, Az. IV ZR 211/14).
  • Die Widerspruchsbelehrung muss sich deutlich vom übrigen Text abheben und darf nicht ohne Hervorhebung in den Ver­si­che­rungs­be­din­gungen stehen (BGH, 24.02.2016, Az. IV ZR 512/14).

Neuere Entwicklungen in der Rechtsprechung

Der Bundesgerichtshof bewertet Widersprüche als rechtsmissbräuchlich, wenn ein geringfügiger Belehrungsfehler vorliegt, durch den dem Ver­si­che­rungsnehmer nicht die Möglichkeit genommen wird, sein Wi­der­spruchs­recht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben. 

Zudem hat sich aufgrund einer Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs an deutschen Gerichten eine sogenannte Wesentlichkeitsprüfung von Mängeln eingebürgert (EuGH, 19.12.2019, Az. C-355/18). Unwesentliche, rein formale Mängel führen dementsprechend nicht dazu, dass der Versicherte ewig widersprechen kann.

So hat zum Beispiel das Landgericht Frankfurt entschieden: Der fehlende Hinweis darauf, dass der Widerspruch schriftlich zu erklären ist, führt nicht dazu, dass dem Versicherten die Möglichkeit zum Widerspruch genommen werde. Auch wenn unklar bleibt, ob er in Textform oder Schriftform widersprechen muss, weiß er jedenfalls, dass er seinen Widerspruch rechtzeitig absenden muss, um die Widerspruchsfrist einzuhalten. Der Fehler ist unwesentlich, so dass das Wi­der­spruchs­recht ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erloschen ist (21.01.2022, Az. 2-30 O 186/21).

Vor diesem Hintergrund müssen Versicherte genau überlegen, ob sie ihr Recht auf Rückabwicklung auch vor Gericht einklagen wollen. Es kommt immer auf den Einzelfall an.

Autoren
Annika Krempel
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