Le­bens­ver­si­che­rung widerrufen

So forderst Du Deine Beiträge zurück

Dr. Britta Beate Schön
Finanztip-Expertin für Recht

Das Wichtigste in Kürze

  • Wer zwischen dem 29. Juli 1994 und dem 31. Dezember 2007 eine Lebens- oder Ren­ten­ver­si­che­rung abgeschlossen hat, hat oft die Chance, den Vertrag heute noch rückabzuwickeln. Denn viele Versicherer haben nicht richtig über das Widerspruchs- oder Rücktrittsrecht belehrt.
  • Ein Widerspruch kann sich lohnen, da Versicherte die eingezahlten Beiträge zurückbekommen plus Zinsen – also mehr als den Rückkaufswert.
  • Die Versicherer zahlen oft erst nach einer Klage. Die Erfolgschancen vor Gericht sind in den letzten zwei Jahren gesunken.

So gehst Du vor

  • Lass überprüfen, ob Du Deine Le­bens­ver­si­che­rung rückabwickeln kannst. Dazu kannst Du Dich an spezialisierte Anwälte wenden oder an eine Verbraucherzentrale.
  • Für den Widerspruch kannst Du unser Musterschreiben nutzen.
  • Akzeptiert die Ver­si­che­rung Deinen Widerspruch nicht, kannst Du den Ver­si­che­rungs­om­buds­mann einschalten oder eine Rechtsanwaltskanzlei beauftragen.

Fast jeder deutsche Haushalt hat sie: eine Le­bens­ver­si­che­rung. Und das, obwohl die Rendite weit hinter dem zurückbleibt, was der Vermittler beim Abschluss vorgerechnet hat. Schuld daran sind: hohe Abschlusskosten und schlechte Anlagerenditen. Etwa die Hälfte der Verträge werden vorzeitig beendet. Von einer Kündigung raten wir wegen der hohen Abschläge ab – zurück gibt es dann nur den Rückkaufswert. Mehr Geld gibt es, wenn Du den Vertrag widerrufst und die Rückabwicklung der Le­bens­ver­si­che­rung beantragst.

Wie lange kannst Du eine Le­bens­ver­si­che­rung widerrufen?

Wer heute eine Le­bens­ver­si­che­rung abschließt, dem steht ein Widerrufsrecht zu. Er kann den Vertrag innerhalb von 30 Tagen widerrufen (§ 152 VVG). Bei unvollständiger oder fehlerhafter Vertragsinformation beginnt die Widerrufsfrist nicht zu laufen.

Bei Vertragsabschlüssen zwischen dem 29. April 1994 und 31. Dezember 2007 gab es statt einer Widerrufsmöglichkeit ein Widerspruchs- und Rücktrittsrecht. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mehrfach für diese Altverträge entschieden, dass Le­bens­ver­si­che­rungskunden noch Jahre später ihre Verträge rückabwickeln können, da die Ver­si­che­rung damals gar nicht oder fehlerhaft über diese Rechte belehrt hatte (Urteil vom 7. Mai 2014, Az. IV ZR 76/11, Urteile vom 29. Juli 2015, Az. IV ZR 384/14, IV ZR 448/14). Diese Möglichkeit, den Vertrag rückabwickeln zu lassen, wird auch Widerrufsjoker genannt.

Eine Rückabwicklung kann sich lohnen, denn bei einem Widerspruch muss der Versicherer regelmäßig wesentlich mehr zurückzahlen als im Fall einer Kündigung. Dann gibt es nur den Rückkaufswert.

Aber: Ein Widerspruch nach vielen Jahren kann rechtmissbräuchlich sein, wenn Du Dich auf einen rein formalen Fehler im Vertrag berufst, der für Dich aber keinen Nachteil bedeutete. Ein Widerspruch ist in diesen Fällen ausgeschlossen (Urteil vom 10. Februar 2021, Az. IV ZR 32/20). Die Erfolgsaussichten für eine Klage auf Rückabwicklung sind deutlich gesunken, da sich mittlerweile viele Landgerichte den Argumenten des Bundesgerichtshofs anschließen und zudem wegen des langen Zeitraums oft Verwirkung annehmen.

Ganz aussichtslos sind solche Streitigkeiten allerdings auch heute nicht; es kommt immer auf den Einzelfall an. Zudem gibt es Zweifel daran, ob der Einwand des Rechtsmissbrauchs oder der Verwirkung überhaupt zulässig sind. Einige Anwälte sehen darin einen Verstoß gegen europäisches Recht. Um diese Frage zu klären, hat das Landgericht Erfurt den Europäischen Gerichtshof angerufen (Beschluss vom 13. Januar 2022, Az. 8 O 1463/20). Die Richter in Luxemburg werden diese Frage klären, wobei noch unklar ist, wann mit einem Urteil zu rechnen ist.

Welche Ver­si­che­rungs­ver­träge sind betroffen?

Es geht grundsätzlich um Verträge zu Lebens- und Ren­ten­ver­si­che­rungen, die zwischen dem 29. Juli 1994 und dem 31. Dezember 2007 nach dem sogenannten Policen-Modell abgeschlossen wurden. Bei einem Vertragsschluss nach diesem Modell bekam der Versicherte vor oder bei Antragstellung nicht alle erforderlichen Verbraucherinformationen, sondern erst später – mit Ausfertigung der Ver­si­che­rungs-Police. Nach Vertragsschluss hätte die Ver­si­che­rung alle Unterlagen zusenden und richtig über das Wi­der­spruchs­recht belehren müssen. Das hat oft nicht funktioniert, so dass die Widerspruchsfrist nicht zu laufen begann.

Verträge nach dem Antragsmodell - Wenn Du schon beim Antrag alle Ver­si­che­rungs­be­din­gungen und Verbraucherinformationen bekommen hast, hast Du Deinen Vertrag nach dem sogenannten Antragsmodell abgeschlossen. Dabei gibt es statt eines Wi­der­spruchs­rechts ein Rücktrittsrecht. Auch von diesen Verträgen können viele Versicherte noch heute zurücktreten. Entscheidend ist, ob der Versicherer unzureichend belehrt hat. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn die Belehrung drucktechnisch nicht hervorgehoben war. Wegen dieses Formmangels beginnt die Rücktrittsfrist von 30 Tagen nicht zu laufen (BGH, Urteil vom 17. Dezember 2014, Az. IV ZR 260/11, Urteil vom 25. Januar 2017, Az. IV ZR 173/15). Es besteht ein ewiges Rücktrittsrecht.

Lebens- und Ren­ten­ver­si­che­rungsverträge - Es spielt keine Rolle, ob es sich um einen fondsgebundenen Vertrag oder einen Vertrag ohne Fondsanlage handelt. Insbesondere auch Riester-Rentenversicherungen (auch Förderrenten genannt) und Rürup-Rentenversicherungen (auch Basisrentenversicherungen genannt) aus dem obigen Zeitraum können Versicherte noch heute rückgängig machen.

Be­rufs­un­fä­hig­keits­ver­si­che­rungen und Ri­si­ko­le­bens­ver­si­che­rungen - Bei diesen Verträgen dürfte ein Widerspruch nur in Ausnahmefällen sinnvoll sein. Zum einen bieten diese Ver­si­che­rungen in der Regel einen wichtigen Schutz, den Du behalten solltest. Zum anderen sparst Du nur geringe Beträge an. Wenn Du aber der Meinung bist, dass Deine Be­rufs­un­fä­hig­keits­ver­si­che­rung für Dich nachteilig oder ungeeignet ist und Du vielleicht einen Neuvertrag zu besseren Bedingungen abschließen könntest, dann solltest Du diese Möglichkeit prüfen. Gleiches gilt bei der Ri­si­ko­le­bens­ver­si­che­rung.

Laufende, gekündigte und abgelaufene Verträge - Du kannst noch laufende Verträge, grundsätzlich aber auch bereits gekündigte oder regulär abgelaufene Ver­si­che­rungen durch einen Widerspruch rückabwickeln lassen.

Wie viel Geld bringt die Rückabwicklung der Ver­si­che­rung?

Sofern Du Deinem Vertrag erfolgreich widersprichst, erhältst Du Deine eingezahlten Beiträge zurück. Zusätzlich hast Du Anspruch auf einen sogenannten Nutzungsersatz. Das bedeutet, dass der Versicherer das, was er mit Deinen Beiträgen an Zinsen erwirtschaftet hat, erstatten muss.

Allerdings musst Du der Rechtsprechung zufolge beweisen, dass er tatsächlich aus Deinem Kapital Nutzungen gezogen hat. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs lässt sich zumindest nicht vermuten, dass ein Versicherer Gewinne in Höhe des gesetzlichen Verzugszinses erwirtschaftet hat (BGH, Urteil vom 11. November 2015, Az. 513/14). Du kannst dementsprechend nicht einfach 5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz als Nutzungsersatz verlangen (§ 288 BGB).

Auf den Risikoanteil und die Abschluss- und Verwaltungskosten muss die Ver­si­che­rung keinen Nutzungsersatz erstatten (BGH, Urteil vom 10. Februar 2016, Az. IV ZR 19/15). Bei den Verwaltungskosten kann das anders sein.

Das Oberlandesgericht Stuttgart hat in einem Fall den Nutzungsersatz geschätzt. Es hat die Geschäftsberichte der relevanten Jahre als Grundlage herangezogen und einen durchschnittlichen Zinssatz von 4,02 Prozent angenommen. Bei einem zu erstattenden Betrag von rund 16.000 Euro musste die Ver­si­che­rung einen Nutzungsersatz von 3.500 Euro zahlen (Urteil vom 23. Oktober 2014, Az. 7 U 54/14).

Bei einer fondsgebundenen Ver­si­che­rung stellen die aus der Anlage des Sparanteils erzielten Gewinne die tatsächlich gezogenen Nutzungen dar (BGH, Urteil vom 11. November 2015, Az. 513/14). Darüber hinaus musste der Versicherer keine weiteren Zinsen erstatten.

Von den eingezahlten Beiträgen darf das Ver­si­che­rungs­un­ter­neh­men einige Positionen abziehen. Was die Gerichte dazu entschieden haben, kannst Du der Tabelle entnehmen.

Rückabwicklung Le­bens­ver­si­che­rung: zulässige Abzüge

 

 

Rückkaufswert

 

 

Von den geleisteten Beiträgen darf die Ver­si­che­rung den Rückkaufswert abziehen, den sie bei Beendigung bereits ausgezahlt hat.

 

 

 

Risikoanteile

 

 

 

Der Versicherer darf die sogenannten Risikoanteile abziehen. Das sind die Kosten, die für den Ver­si­che­rungs­schutz anfallen, den Du während der Laufzeit des Vertrags hättest. Das kann ein Todesfallschutz und ein Schutz bei Be­rufs­un­fä­hig­keit sein.
SteuernAls Vermögensvorteil darf die Ver­si­che­rung die abgeführte Kapitalertragssteuer nebst Solidaritätszuschlag als Vermögensvorteil gegenrechnen.

Quelle: Finanztip-Recherche (Stand: Februar 2022)

Nach der Rechtsprechung gibt es auch Kosten, die das Ver­si­che­rungs­un­ter­neh­men nicht von Deinen Einzahlungen abziehen darf. Um welche es sich dabei handelt, findest Du in der Tabelle.

Rückabwicklung Le­bens­ver­si­che­rung: unzulässige Abzüge

AbschlusskostenAbschlusskosten darf der Versicherer bei einem Widerspruch nicht abziehen (BGH, Urteil vom 29. Juli 2015, Az. IV ZR 448/14).
VerwaltungskostenVerwaltungskosten muss der Versicherer erstatten (BGH, Urteil vom 29. Juli 2015, Az. IV ZR 448/14).
RatenzahlungszuschlagAuch ihn darf der Versicherer im Falle eines wirksamen Widerspruchs nicht auf den Kunden umlegen.

Quelle: Finanztip-Recherche (Stand: Februar 2022)

Wie viel tatsächlich für Dich bei einem Widerspruch herauskommt, hängt von Deinem Vertrag ab. Zur Veranschaulichung folgt ein konkreter Beispielfall, den der Bundesgerichtshof so entschieden hat. Von den einzahlten Prämien in Höhe von knapp 34.000 Euro bekam der Verbraucher den Rückkaufswert von rund 21.600 Euro. Darüber hinaus musste die Ver­si­che­rung rund 8.500 Euro zahlen.

Beispiel: Le­bens­ver­si­che­rung Rückabwicklung mit BU-Anteil

Prämienzahlungen33.841,79 €
abzgl. ausgezahlter Betrag21.588,70 €
abzgl. Risikoanteil BU3.609,16 €
abzgl. Risikoanteil Todesfall1.816,46 €
zu erstattende Summe6.827,47 €
zzgl. Nutzungsersatz1.668,15 €

Quelle: BGH (Urteil vom 29. Juli 2015, Az. IV ZR 384/14, Vorinstanz OLG Köln, Urteil vom 5. September 2014, Az. 20 U 77/14)

Wann lohnt sich der Widerspruch Deiner Le­bens­ver­si­che­rung?

Ob sich die Rückabwicklung Deiner Le­bens­ver­si­che­rung lohnt, lässt sich nicht pauschal beantworten. Dazu fünf grundsätzliche Aspekte:

1. Je jünger der Vertrag ist, desto eher lohnt sich ein Widerspruch

Dies betrifft vor allem die Verträge aus den Jahren 2005 bis 2007. Denn diese Verträge haben zum einen nicht mehr das Privileg, in der Auszahlung steuerfrei zu sein. Zum anderen liegt die Anfangsphase, in der die Abschlusskosten abgezogen wurden, noch nicht so lange zurück. Daher ist oft der aktuelle Vertragswert niedriger als die eingezahlten Beiträge, selbst wenn man die Risikobeiträge für den Ver­si­che­rungs­schutz berücksichtigt.

2. Bei einem Riester-Vertrag an Zulagen und Steuer denken

Falls Du einen Riester-Vertrag rückabwickeln willst, werden sowohl die Zulagen als auch die Steuerrückzahlungen abgezogen, die Du über die Jahre erhalten hast. Du musst also aufpassen, wenn Du den aktuellen Vertragswert mit den eingezahlten Beiträgen vergleichst. Dennoch kann es sich unter Umständen auch bei einer Riester-Rentenversicherung lohnen, für diese nachträglich einen Widerspruch durchzusetzen. Denn auch dabei sind in der Regel hohe Abschlusskosten angefallen.

3. Bei älteren Verträgen ist Vorsicht geboten

Gerade bei Verträgen aus den 1990er Jahren solltest Du vorsichtig mit einem Widerspruch sein. Oft haben sich diese Verträge trotz der hohen Abschlusskosten schon vernünftig entwickelt. Zudem genießen sie das Privileg einer steuerfreien Auszahlung. Klassische Ka­pi­tal­le­bens­ver­si­che­rungen aus dieser Zeit haben außerdem eine hohe Verzinsung im Vergleich zu heute.

4. Der Widerspruch lohnt besonders bei geringem Risikoanteil

Je weniger zusätzlicher Ver­si­che­rungs­schutz in Deinem Vertrag steckt, wie Absicherung gegen Be­rufs­un­fä­hig­keit, Unfallschutz oder im Todesfall, desto eher lohnt sich ein Widerspruch. Den Risikoanteil darf die Ver­si­che­rung nämlich bei einer Rückabwicklung von den eingezahlten Prämien abziehen.

5. Überlege genau bei einem Be­rufs­un­fä­hig­keits-Zusatz

Ganz vorsichtig solltest Du sein, wenn Dein Vertrag mit einer echten Be­rufs­un­fä­hig­keits-Zusatzversicherung kombiniert ist. Das ist der Fall, wenn Du bei Be­rufs­un­fä­hig­keit eine monatliche Rente ausbezahlt bekommst. Diese Zusatzversicherung kann sehr wichtig sein. Du solltest nur in Ausnahmefällen widersprechen. In vielen Fällen ist es besser, den Beitrag zur Hauptversicherung, also den Sparanteil, zu reduzieren, wenn Du die Le­bens­ver­si­che­rung nicht weiter besparen willst.

Wie setzt Du einen Widerspruch durch?

Am besten gehst Du in vier Schritten vor.

Schritt 1: Belehrung überprüfen lassen

Lass Deinen Vertrag überprüfen. Du kannst Dich an spezialisierte Anwälte wenden. Eine andere Anlaufstelle ist die Verbraucherzentrale Hamburg, die für das Überprüfen der Unterlagen 100 Euro verlangt. Auch die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen bietet für 95 Euro eine rechtliche Überprüfung der Belehrung durch die Kanzlei RHS.

Schritt 2: Rückabwicklung Le­bens­ver­si­che­rung berechnen

Du solltest genau durchrechnen und bewerten lassen, ob sich bei Deinem Vertrag ein Widerspruch lohnt. Die Bewertung ist nicht leicht. Die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen bietet eine juristische und mathematische Prüfung aller Verträge ohne Be­rufs­un­fä­hig­keitszusatzversicherung für 290 Euro an, mit Be­rufs­un­fä­hig­keitszusatzversicherung kostet der Service 375 Euro.

Schritt 3: Widerspruch Le­bens­ver­si­che­rung erklären

Lohnt sich der Widerspruch bei Deinem Vertrag, solltest Du widersprechen. Du kannst dazu unseren Musterwiderspruch verwenden. Du solltest ihn als Einwurf-Einschreiben versenden, damit Du einen Beweis in der Hand hältst, dass Du widersprochen hast.

Schritt 4: Ombudsmann oder Anwalt einschalten

Rechne damit, dass der Versicherer nicht klein beigibt. Die Marktwächter der Verbraucherzentralen mussten feststellen, dass viele Ver­si­che­rungs­un­ter­neh­men die Rechtslage ignorieren und die Rückabwicklung ablehnen.

Du kannst Dich kostenlos an den Ver­si­che­rungs­om­buds­mann wenden und überprüfen lassen, ob der Versicherer zu Unrecht Deinen Widerspruch abgelehnt hat. Die Schlichtungsstelle hat bereits viele Beschwerden zugunsten von Verbrauchern entschieden.

Solltest Du beim Ver­si­che­rungs­om­buds­mann auf Granit beißen, kannst Du eine Anwaltskanzlei beauftragen. Entweder es gelingt dem Anwalt, sich gütlich mit dem Versicherer zu einigen, oder Du ziehst vor Gericht. Sofern Du eine Rechts­schutz­ver­si­che­rung hast, solltest Du abklären, ob sie die Kosten einer Klage übernimmt.

Aber: Die Erfolgsaussichten sind mittlerweile gesunken. Vermehrt scheitern Klagen, weil viele Instanzgerichte mittlerweile annehmen, dass Verwirkung eingetreten sei. Einige Kanzleien, die wir bisher emp­foh­len haben, haben sich wegen geringer Erfolgschancen der Verfahren aus diesem Bereich ganz zurückgezogen.

Welche Anwälte sind spezialisiert auf den Widerrufsjoker?

Die folgenden Kanzleien haben sehr viel Erfahrung mit der Rückabwicklung von Le­bens­ver­si­che­rung­en. Sie haben im Jahr 2021 mindestens ein positives Urteil erstritten und mindestens einen positiven Vergleich erzielt. Warum wir diese Experten empfehlen und wie wir sie ausgewählt haben, liest Du am Ende dieses Artikels.

Witt Rechtsanwälte PartGmbB, Heidelberg u.a.
Erfolge gegen Clerical Medical, Vienna Life u.a.
Nutzer-Erfahrungen
  • viel Erfahrung (in 2021: 4 positive Urteile und 1 positiver Vergleich nachgewiesen)
  • Erstberatung: 350 Euro
  • Berechnung des Anspruchs: zwischen 300 und 600 Euro
  • kein Fachanwalt für Ver­si­che­rungsrecht
Mayer & Mayer Rechtsanwälte, Freiburg
Erfolge gegen Clerical Medical, Vienna Life u.a.
Nutzer-Erfahrungen
  • viel Erfahrung (in 2021: 2 positive Urteile und 14 positive Vergleiche nachgewiesen)
  • Erstberatung: 59,90 Euro pro Vertrag
  • Berechnung des Anspruchs: zwischen 250 und 500 Euro
  • kein Fachanwalt für Ver­si­che­rungsrecht
Decker & Böse Rechtsanwälte, Köln
Erfolge gegen Generali, Allianz u.a.
Nutzer-Erfahrungen
  • viel Erfahrung (in 2021: 2 positive Urteile und 4 positive Vergleiche nachgewiesen)
  • kostenlose Prüfung der Vertragsunterlagen
  • kein Fachanwalt für Ver­si­che­rungsrecht
Zum Anbieter
Justus Rechtsanwälte, Berlin
Erfolge gegen Prisma Life, Clerical Medical u.a.
Nutzer-Erfahrungen
  • viel Erfahrung (in 2021: 1 positives Urteil und 2 positive Vergleiche nachgewiesen)
  • kostenlose Prüfung der Vertragsunterlagen
  • Berechnung des Anspruchs: 179 Euro
  • kein Fachanwalt für Ver­si­che­rungsrecht

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Was ist der rechtliche Hintergrund?

Bei Lebens- und Ren­ten­ver­si­che­rungen, die Kunden zwischen dem 29. Juli 1994 und dem 31. Dezember 2007 abgeschlossen haben, gab es eine Besonderheit: Ein Vertrag galt auch dann als abgeschlossen, wenn der Versicherer dem Ver­si­che­rungsnehmer den Ver­si­che­rungsschein, die Allgemeinen Ver­si­che­rungs­be­din­gungen (AVB) oder eine Verbraucherinformation erst übersandte, nachdem der Kunde den Antrag gestellt hatte. Das nannte sich Abschluss nach Policen-Modell.

Der Versicherte hatte dann ein Wi­der­spruchs­recht von 14 Tagen; bei Le­bens­ver­si­che­rung­en betrug die Widerspruchsfrist ab dem 8. Dezember 2004 sogar 30 Tage. Sie begann jedoch erst, wenn dem Versicherten die Vertragsunterlagen vollständig vorlagen und er bei Aushändigung des Ver­si­che­rungsscheins schriftlich und deutlich über das Wi­der­spruchs­recht, den Fristbeginn und die Dauer belehrt worden war.

Auch wenn der Versicherer nicht oder nicht ordentlich belehrt hatte, erlosch das Wi­der­spruchs­recht ein Jahr nach Zahlung der ersten Ver­si­che­rungsprämie (§ 5a Absatz 2 Satz 4 VVG a.F.). Diese im Gesetz vorgesehen Jahresfrist hat der Bundesgerichtshof allerdings 2015 gekippt. Er hat zahlreiche Urteile zum Widerspruch von Le­bens­ver­si­che­rung­en gefällt. Der Versicherte hat nach der Rechtsprechung ein sogenanntes ewiges Wi­der­spruchs­recht, sofern ihn der Versicherer nicht ordentlich belehrt hat.

Typische Fehler in den Widerspruchsbelehrungen

Dass der Versicherer tatsächlich vergessen hat, Dir eine Widerspruchsbelehrung zuzuschicken, ist ziemlich unwahrscheinlich. Aber der Blick in die Unterlagen kann sich trotzdem lohnen. Wenn Du der Meinung bist, keine Widerspruchsbelehrung bekommen zu haben, muss der Versicherer nachweisen, dass das doch der Fall war.

Wahrscheinlicher ist, dass die Widerspruchsbelehrung nicht korrekt formuliert ist und einen der folgenden Fehler enthält:

  • In der Widerspruchsbelehrung steht nicht, dass es ausreicht, den Widerspruch innerhalb der 30-Tage-Frist (14 Tage bei Verträgen mit Abschlussdatum vor dem 8. Dezember 2004) abzusenden. Der Widerspruch muss nämlich nicht innerhalb der Frist beim Versicherer eingehen, sondern nur rechtzeitig abgesendet werden.
  • Sofern der Vertrag 2002 oder später abgeschlossen wurde, muss in der Widerspruchsbelehrung ausdrücklich auf die Textform, nicht auf die Schriftform des Widerspruchs hingewiesen werden. Das bedeutet, dass seit 2002 auch eine E-Mail als Widerspruch ausreicht (BGH, Urteil vom 14. Oktober 2015, Az. IV ZR 211/14).
  • Die Widerspruchsbelehrung muss sich deutlich vom übrigen Text abheben und darf nicht ohne Hervorhebung in den Ver­si­che­rungs­be­din­gungen stehen (BGH, Urteil vom 24. Februar 2016, Az. IV ZR 512/14).

Wenn Du einen solchen Fehler in der Widerspruchsbelehrung findest, hast Du die Chance auf Rückabwicklung des Vertrages.

Neuere Entwicklungen in der Rechtsprechung

Der Bundesgerichtshof hat grundsätzlich strenge Anforderungen aufgestellt, bevor ein Ver­si­che­rungsnehmer nicht mehr widersprechen kann, weil das Recht verwirkt ist. Er lässt Verwirkung auch viele Jahre nach Vertragsende nicht gelten, wenn besondere Umstände für die Treuwidrigkeit des Widerrufs fehlen.

Die Landgerichte und Oberlandesgerichte sind zum Teil jedoch großzügiger und nehmen zugunsten der Versicherer relativ häufig an, dass der Ver­si­che­rungsnehmer nicht mehr widersprechen kann. Das hat auch der Ver­si­che­rungs­om­buds­mann in seinem Jahresbericht 2020 so festgestellt (Seite 23).

Aufgrund einer Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs hat sich an deutschen Gerichten eine sogenannte Wesentlichkeitsprüfung von Mängeln eingebürgert (EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2019, Az. C-355/18). Dementsprechend halten einige Richter Mängel bei der Belehrung mittlerweile für unerheblich. Unwesentliche, rein formale Mängel führen nicht dazu, dass der Versicherte ewig widersprechen kann.

So hat zum Beispiel das Landgericht Frankfurt entschieden: Der fehlende Hinweis darauf, dass der Widerspruch schriftlich zu erklären ist, führt nicht dazu, dass dem Versicherten die Möglichkeit zum Widerspruch genommen werde. Auch wenn unklar bleibt, ob er in Textform oder Schriftform widersprechen muss, weiß er jedenfalls, dass er seinen Widerspruch rechtzeitig absenden muss, um die Widerspruchsfrist einzuhalten. Der Fehler ist unwesentlich, so dass das Wi­der­spruchs­recht ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erloschen ist (Urteil vom 21. Januar 2022, Az. 2-30 O 186/21).

Vor diesem Hintergrund müssen Versicherte genau überlegen, ob sie ihr Recht auf Rückabwicklung auch vor Gericht einklagen wollen. Es kommt immer auf den Einzelfall an. Besprich mit Deiner Anwältin, wie die Erfolgsaussichten in Deinem konkreten Fall sind.

 

So haben wir die Rechtsanwälte ausgewählt

Seit 2016 empfehlen wir Rechtsanwaltskanzleien zum Thema „Widerruf Le­bens­ver­si­che­rung - Rückabwicklung Le­bens­ver­si­che­rung“. Dazu hatten wir 2016 mehr als 20 Kanzleien angeschrieben, die auf diesen Bereich spezialisiert waren und die bei einer Google-Suche am 10. Juni 2016 auf den ersten drei Seiten zu den Begriffen „Widerspruch Le­bens­ver­si­che­rung Rechtsanwalt“ erschienen oder die sich direkt an uns gewandt hatten. Zur Prüfung schickten wir den Kanzleien einen umfangreichen Fragebogen. Nach Auswertung der Antworten konnten wir elf Anwaltskanzleien empfehlen. 

Im Dezember 2021 erkundigten wir uns bei allen Emp­feh­lungen nach deren Erfahrungen und baten um eine Einschätzung zur aktuellen Rechtsprechung. Wir fragten nach der Anzahl der Rechtsanwälte und Fachanwälte für Ver­si­che­rungsrecht in der Kanzlei sowie nach positiven Urteilen und Vergleichen im Jahr 2021. Fünf Kanzleien nahmen an der Umfrage teil.

Voraussetzung für eine Emp­feh­lung ist, dass die Kanzlei im Jahr 2021 mindestens ein positives Urteil und einen positiven Vergleich erstritten hat. Wir baten um entsprechende Belege. Als positiv haben wir nur Urteile bewertet, bei denen die Ver­si­che­rung zur Zahlung verurteilt wurde und auch die Gerichtskosten tragen musste. Konnte der Kläger nur einen Teil seiner Forderung gerichtlich durchsetzen, kam es auf die Kostenquote an. Wir bewerteten solche Urteile als positiv, wenn die Ver­si­che­rung den überwiegenden Teil der Gerichtskosten zahlen musste – dann hat aus unserer Sicht der Kunde das Verfahren gewonnen.

Urteile aus früheren Jahren zählten nicht. Wir berücksichtigten auch keine Teilurteile oder Urteile mit einer Kostenquote, bei denen der Kunde 50 Prozent oder mehr der Gerichtskosten tragen musste. Vergleiche haben wir entsprechend dann als positiv bewertet, wenn die Ver­si­che­rung den überwiegenden Teil der Kosten des Verfahrens zahlen musste.

Über die tatsächliche Beratungsqualität der einzelnen Rechtsanwälte können wir keine Aussage treffen, da wir sie nicht überprüfen können. Unter den Kanzleien stehen diejenigen ganz oben, die uns die meisten positiven Urteile im Jahr 2021 belegt haben. Bei gleicher Anzahl von positiven Urteilen, steht die Kanzlei mit einer größeren Anzahl von nachgewiesenen Vergleichen oben.

Die Untersuchungen sind abgeschlossen. Weitere Anwaltskanzleien können wir aktuell nicht berücksichtigen.

Hast Du Erfahrungen mit einer der von uns emp­foh­lenen Kanzleien gemacht, dann bitten wir Dich, andere Leser daran teilhaben zu lassen. Dazu kannst Du auf unseren Anbieterseiten die Kanzlei bewerten.

Autoren
Dr. Britta Beate Schön
Annika Krempel

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Ob und in welcher Höhe uns ein Anbieter vergütet, hat keinerlei Einfluss auf unsere Emp­feh­lungen. Was Dir unsere Experten empfehlen, hängt allein davon ab, ob ein Angebot gut für Verbraucher ist.

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