Progressionsvorbehalt Lohnersatzleistungen: Steuererklärung fast immer Pflicht

Finanztip-Experte für Steuern
Das Wichtigste in Kürze
So gehst Du vor
Viele staatliche Sozialleistungen sind steuerfrei. Sie können dennoch Deine Steuerlast erhöhen. Das liegt am sogenannten Progressionsvorbehalt. Er führt dazu, dass Du für dein steuerpflichtiges Einkommen meist einen höheren Steuersatz hast als wenn Du keine solche steuerfreien Lohnersatzleistungen beziehst.
Betroffen davon waren während der Corona-Pandemie viele Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in Kurzarbeit. Sie bekamen Kurzarbeitergeld und eventuell auch Aufstockungszahlungen. Eine Folge davon können Steuernachzahlungen im kommenden Jahr sein. Ob auch Du wegen Kurzarbeitergeldes mit Steuernachzahlungen zu rechnen hast, wie hoch sie ausfallen können und was für Deine Aufstockungszahlungen gilt, kannst Du in diesem Ratgeber erfahren.
Ersatzleistungen für wegfallenden Lohn oder Einkommen sind in der Regel steuerfrei.
Alle steuerfreien Einkünfte unter Progressionsvorbehalt sind in Paragraf 32b Einkommensteuergesetz aufgezählt. Die Liste umfasst zum Beispiel:
Grundlage vieler Lohnersatzleistungen ist das Sozialgesetzbuch (SGB). Dem Progressionsvorbehalt unterliegen aber auch Auslandseinkünfte, die gemäß Doppelbesteuerungsabkommen hierzulande steuerfrei sind.
Die Aufzählung in Paragraf 32b Einkommensteuergesetz ist abschließend. Das heißt: Alles, was dort nicht aufgeführt ist, beispielsweise Arbeitslosengeld II, steht nicht unter Progressionsvorbehalt.
Hast Du in einem Jahr über 410 Euro aus Leistungen bezogen, die dem Progressionsvorbehalt unterliegen? Dann fällst Du unter die sogenannte Pflichtveranlagung und musst eine Steuererklärung abgeben. Die Frist dafür läuft normalerweise bis zum 31. Juli des Folgejahres. Wegen der Corona-Pandemie rutscht der Termin seit 2020 aber nach hinten, die Steuererklärung 2022 ist zum Beispiel erst am 2. Oktober 2023 fällig. Die Termine für die darauf folgenden Jahre findest Du in unserem Ratgeber zur Frist der Steuererklärung.
Arbeitgeber und andere Stellen, die Lohnersatzleistungen auszahlen, müssen die Zahlungen an die Finanzverwaltung melden. Deshalb liegen diese dem Finanzamt in der Regel als elektronische Daten vor.
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Im Steuerrecht gilt das Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. Deshalb haben wir in der Einkommensteuer einen progressiven Tarifverlauf. Das heißt, der Steuersatz steigt mit dem zu versteuernden Einkommen.
Auch die steuerfreien Einnahmen verbessern die Leistungsfähigkeit des Empfängers. Um dies zu berücksichtigen, aber gleichzeitig die Lohnersatzleistungen steuerfrei zu belassen, ermittelt das Finanzamt einen besonderen Steuersatz. Dies erfolgt in drei Schritten:
Folglich wird nur das steuerpflichtige Einkommen etwas höher besteuert.
Wie sich der Progressionsvorbehalt auswirkt, zeigt ein Beispiel für die Einkommensteuer 2022:
Ein unverheirateter Arbeitnehmer hat nach Abzug von Werbungskosten und Sonderausgaben ein zu versteuerndes Einkommen von 30.000 Euro. Hierfür müsste er 4.700 Euro Einkommensteuer zahlen.
Im Lauf des Jahres 2022 erhält er zusätzlich 15.000 Euro Kurzarbeitergeld. Dies steht unter Progressionsvorbehalt. Deshalb setzt das Finanzamt 45.000 Euro als fiktives zu versteuerndes Einkommen an. Die Einkommensteuer darauf wäre 9.537 Euro. Daraus ergibt sich ein Progressionsteuersatz von 21,1933 Prozent (9.537 Euro * 100 / 45.000 Euro). Bezüglich des zu versteuernden Einkommens von 30.000 Euro ergibt sich dadurch eine Einkommensteuer von 6.357 Euro.
Das Kurzarbeitergeld führt in diesem Fall dazu, dass die Steuer um 1.657 (6.357 - 4.700) Euro höher ausfällt als ohne Lohnersatzleistung. Hinzu kommt eventuell noch eine Mehrbelastung bei der Kirchensteuer und bei sehr hohen Einkommen beim Solidaritätszuschlag.
Die Rechnung funktioniert analog mit anderen Lohnersatzleistungen wie Kranken- und Elterngeld. Der Progressionsvorbehalt greift auf die selbe Weise.
Steuerpflichtiges Einkommen | Kurzarbeitergeld (steuerfrei) | Steuersatz | Einkommensteuer |
---|---|---|---|
30.000 € | 0,00 € | 15,67 % | 4.700 € |
30.000 € | 15.000 € | 21,13 % | 6.357 € |
Differenz 1.657 € |
Quelle: Finanztip-Berechnung mit Progessionsvorbehalt-Rechner (Stand: 19. September 2023)
In solchen Fällen kommt es im Folgejahr oft zu einer Steuernachzahlung. Dies sollten Bezieher von Lohnersatzleistungen berücksichtigen und, falls möglich, Geld dafür zurücklegen.
Um zu erfahren, wie sich der Progressionsvorbehalt auf Ihre Steuerlast auswirkt und wie viel Du zu zahlen hast, kannst Du den Progressionsvorbehalt-Rechner des Bayerischen Landesamts für Steuern nutzen.
Beachte dabei, dass sich der Rechner eher für einfache Sachverhalte eignet. In komplexeren Fällen hast Du damit jedoch immerhin einen ungefähren Anhaltspunkt.
Die Frage, ob Du Steuern nachzahlen musst, hängt von vielen Faktoren ab, wie zum Beispiel:
Wenn ein Partner oder eine Partnerin Lohnersatzleistungen erhalten hat, kann es sein, dass unterm Strich weniger Steuern zu zahlen sind, wenn beide jeweils eigene Steuererklärungen abgeben. Dies kannst Du mit einem Steuerprogramm oder einer App im konkreten Fall berechnen. Auch die Wirkung des Progressionsvorbehalts kannst Du damit näherungsweise berechnen.
Auf Grund der Corona-Pandemie beziehen seit 2020 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Kurzarbeitergeld. Kurzarbeit kann der Arbeitgeber unter bestimmten Bedingungen anordnen. Er reduziert dann die Arbeitszeit seiner Angestellten – möglicherweise sogar auf Null. Bei Kurzarbeit 50 zum Beispiel, arbeitetest Du nur noch die Hälfte der üblichen Zeit. Zusätzlich zur Hälfte des Gehalts bekommst Du dann 60 Prozent des ausgefallenen Nettoentgelts. Hast du mit Kind, erhältst Du sogar 67 Prozent. Ab dem vierten und dem siebten Monat des Bezugs steigt der Leistungssatz.
Diese Lohnersatzleistung wird nach einem pauschalierten Nettolohn berechnet. Folglich hängt die Höhe des Kurzarbeitergeldes von der auf der elektronischen Lohnsteuerkarte eingetragenen Steuerklasse ab.
Verheiratete haben die Wahl zwischen mehreren Steuerklassen: 3, 4, 4 mit Faktor und 5. Wenn bei einem Ehepaar bei einem Partner Kurzarbeit ansteht, dann sollte dieser eine steuergünstigere Lohnsteuerklasse haben, zum Beispiel 3 oder 4. In der Steuerklasse 5 fällt der Nettolohn niedriger aus und dementsprechend auch das Kurzarbeitergeld. Bereits abgerechnete Monate können nicht rückwirkend korrigiert werden.
Betroffene sollten daher zum frühestmöglichen Zeitpunkt bei ihrem Finanzamt einen „Antrag auf Steuerklassenwechsel bei Ehegatten/Lebenspartnern“ stellen und damit die Steuerklasse ändern. Im Folgemonat sollten dann bei beiden Ehepartnern die neuen beantragten Steuerklassen auf der jeweiligen elektronischen Lohnsteuerkarte stehen. Seit 2020 können Steuerpflichtige mehrmals im Jahr die Steuerklasse ändern lassen.
Kurzarbeitende Mütter und Väter mit Steuerklasse 5 sollten auf jeden Fall einen Steuerklassenwechsel in 3 oder 4 erwägen. Denn bei ihnen steht kein Kinderfreibetrag auf der Lohnsteuerkarte, nur beim Partner. Folglich zahlt der Arbeitgeber nur 60 Prozent Kurzarbeitergeld aus. Den erhöhten Satz für Eltern (67 Prozent) bekommst Du, wenn der Kinderfreibetrag eingetragen ist. Das ist bei Steuerklasse 3 und 4 möglich.
Alternativ kannst Du oder der Arbeitgeber eine Bescheinigung bei der Agentur für Arbeit beantragen, in der Deine Kinder eingetragen sind. Zurzeit genügt sogar eine Kopie der Lohnsteuerkarte Deines Ehepartners, auf der der Kinderfreibetrag eingetragen ist. Diese musst Du Deinem Arbeitgeber aushändigen.
Der Gesetzgeber hat nachgebessert: Aufstockungszahlungen zum Kurzarbeitergeld, die zwischen März 2020 und Juni 2022 vom Arbeitgeber geleistet wurden, bleiben steuerfrei (§ 3 Nr. 28a EStG). Dabei dürfen Aufstockungsbetrag und Kurzarbeitergeld zusammen höchstens 80 Prozent des ausgefallenen Arbeitsentgelts betragen. Eine Aufstockung bis zu 80 Prozent des Gehalts bleibt steuer- und beitragsfrei. Ein darüber hinausgehender Betrag ist zu versteuern.
Einkünfte unter Progressionsvorbehalt können auch negativ sein. Bringen Dir etwa Geldanlagen im Ausland Verluste ein, werden diese bei der Berechnung des Steuersatzes von Deinem zu versteuernden Einkommen abgezogen.
Das gilt auch, wenn der Staat gezahlte Transferleistungen zurückfordert. Dann tritt die umgekehrte Wirkung ein: Der negative Progressionsvorbehalt drückt Deinen Steuersatz und mindert somit Deine Steuerlast.
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