Bürgerversicherung Was sich durch die Bürgerversicherung ändern würde

Julia Rieder
Finanztip-Expertin für Ver­si­che­rungen

Das Wichtigste in Kürze

  • Wenn es um eine Reform der Kran­ken­ver­si­che­rung geht, ist oft von der Bürgerversicherung die Rede.

  • Das Konzept: Das zweigeteilte System aus gesetzlicher und privater Kran­ken­ver­si­che­rung würde abgeschafft, nur Zusatzleistungen privat abgesichert.

  • SPD, Grüne und Linkspartei sind für das Konzept. Union, FDP, Ver­si­che­rungswirtschaft sowie weite Teile der Ärzteschaft lehnen es ab.

So gehen Sie vor

  • Die Bürgerversicherung hat derzeit keine Chancen auf Umsetzung. Das Konzept hat es nicht in den Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung geschafft. Politisch ist es jedoch nicht vom Tisch.

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Die gesetzliche Kran­ken­ver­si­che­rung kämpft mit Finanzierungsproblemen, privatversicherte Gutverdienerinnen bekommen häufig schneller Arzttermine als Kassenpatienten und einigen Privatversicherten mit kleiner Rente wachsen die Ver­si­che­rungsbeiträge über den Kopf. Für all diese Probleme gibt es nach Ansicht von SPD, Grünen und Linkspartei eine Lösung: die Bürgerversicherung. Doch ein solch grundsätzlicher Systemwechsel hätte weitreichende Konsequenzen.

Was ist die Bürgerversicherung?

Deutschland geht mit seiner Kran­ken­ver­si­che­rung einen Sonderweg. Anders als in den restlichen Staaten der Europäischen Union existiert hierzulande neben der gesetzlichen Kran­ken­ver­si­che­rung (GKV) eine vollwertige private Kran­ken­ver­si­che­rung (PKV), in die bestimmte Personengruppen eintreten können. Die Bürgerversicherung (manchmal auch Einheitsversicherung genannt) würde dieses zweigeteilte System aus gesetzlicher und privater Kran­ken­ver­si­che­rung ablösen. Nach dem Konzept sollen alle Bürger – auch Gutverdienende, Selbstständige und Beamte – künftig in ein Ver­si­che­rungssystem einzahlen. Viele Detailfragen zum Konzept der Bürgerversicherung sind aber noch ungeklärt.

Was könnten Vorteile der Bürgerversicherung sein?

Befürworter der Bürgerversicherung betonen häufig, das Konzept sorge für mehr Solidarität und Gerechtigkeit, da alle Bürgerinnen und Bürger in ein gemeinsames System einzahlen. Gutverdienerinnen und Beamte hätten nicht mehr die Möglichkeit, sich dem Solidarsystem zu entziehen, indem sie eine private Kran­ken­ver­si­che­rung abschließen. Das sei auch gerechter, weil bereits jetzt Menschen, die sich ihre PKV-Beiträge nicht mehr leisten können, im Rahmen des Bürgergeldes oder von Sozialhilfe einen Zuschuss aus dem Solidarsystem bekommen.

Das Zusammenlegen von PKV und GKV soll die Finanzierung der Kran­ken­ver­si­che­rung langfristig stabilisieren. Viele Befürworterinnen und Befürworter des Konzepts gehen davon aus, dass die höheren Beitragseinnahmen dazu führen würden, dass der Kran­ken­kas­senbeitrag sinkt. Das IGES-Institut hat 2020 im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung berechnet, dass der Beitragssatz um 0,2 Prozentpunkte sinken könnte, wenn die bisher Privatversicherten in das gesetzliche System integriert würden.

Ein weiteres Argument für die Bürgerversicherung ist die Hoffnung, eine „Zwei-Klassen-Medizin“ abzuschaffen. Die Einheitsversicherung soll zu schnelleren Arztterminen und gleicher Behandlung für alle führen. Kritiker werfen ein, dass es auch bei einer Bürgerversicherung möglich wäre, private Zu­satz­ver­si­che­rung­en abzuschließen. Deshalb könnten Patientinnen mit diesem Zusatzschutz trotzdem bevorzugt behandelt werden.

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Welche Nachteile hat die Bürgerversicherung womöglich?

Zunächst gibt es verfassungsrechtliche Bedenken zum Konzept der Bürgerversicherung. Dabei geht es etwa um die Frage, ob Grundrechte von privaten Ver­si­che­rungs­un­ter­neh­men und bisherigen Privatversicherten verletzt würden, wenn die Bürgerversicherung verpflichtend würde. Die Meinungen zur rechtlichen Einschätzung sind geteilt. Die meisten Konzepte zur Bürgerversicherung sehen einen Bestandsschutz für derzeit PKV-Versicherte vor.

Gegner der Bürgerversicherung warnen davor, dass sich die Gesundheitsversorgung durch eine Einheitsversicherung verschlechtern könnte. Das deutsche Gesundheitssystem sei eines der besten der Welt – das dürfe man nicht aufs Spiel setzen. Der Wettbewerb zwischen GKV und PKV sei ein Innovationsmotor und verhindere, dass die Leistungen im gesetzlichen System eingeschränkt würden. Außerdem würden den Ärzten Einnahmen durch höhere Honorare fehlen, wenn die PKV abgeschafft würde, und das könne zu Praxisschließungen und Versorgungslücken führen.

Als weiteres Argument führen die Gegner drohende Arbeitsplatzverluste ins Feld. Wenn das Geschäft der privaten Krankenversicherer einbreche, könnten Zehntausende Angestellte der Ver­si­che­rungs­un­ter­neh­men sowie Ver­si­che­rungsvermittler ihren Job verlieren. Befürworter der Bürgerversicherung entgegnen darauf, dass die private Kran­ken­ver­si­che­rung ohnehin ineffiziente Strukturen in Verwaltung und Marketing habe. Im Vergleich zur GKV beschäftige die PKV überproportional viele Menschen.

Wer unterstützt die Bürgerversicherung?

SPD, Grüne und Linke wollen durch die Bürgerversicherung die ihrer Auffassung nach heute vorherrschende „Zwei-Klassen-Medizin“ beenden. Alle Versicherten würden grundsätzlich gleich gut behandelt, Privatversicherte bekämen auch nicht mehr schneller einen Termin beim Arzt. Dadurch, dass alle Bürger – beziehungsweise je nach Konzept zumindest alle Neu-Versicherten – Mitglied in der Ver­si­che­rung wären, würde das gesamte System nach Ansicht der Parteien solidarischer und gerechter. Außerdem sollen die zusätzlichen Einnahmen in der Einheitsversicherung das Kran­ken­ver­si­che­rungssystem langfristig stabilisieren. Der Deutsche Gewerkschaftsbund, Verdi und der Sozialverband VdK haben sich ebenfalls für eine Bürgerversicherung ausgesprochen.

Die Ideen der Parteien im Detail:

SPD

Die SPD hielt sich in ihrem Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2021 bedeckt und forderte nur vage die Einführung einer Bürgerversicherung für Krankheit und Pflege. In ihrem Wahlprogramm von 2017 wurde sie etwas konkreter: Alle Neu-Versicherten sollen automatisch in die Bürgerversicherung aufgenommen werden, bisher Privatversicherte erhalten die Möglichkeit, zu wechseln. Auch Beamtinnen und Beamte werden in einem beihilfefähigen Tarif der Bürgerversicherung aufgenommen. Mit der Bürgerversicherung will die SPD die Leistungen für Zahnersatz und Brillen verbessern. Außerdem soll eine einheitliche Honorarordnung für Ärzte entstehen, die die Bevorzugung von Privatpatientinnen beendet.

Bündnis 90/Die Grünen

Die Grünen haben sich 2021 in einem Positionspapier von der Idee verabschiedet, die private Kran­ken­ver­si­che­rung abzuschaffen. Sie wollen die PKV erhalten, allerdings sollen alle Bürgerinnen und Bürger einen einkommensabhängigen Beitrag zahlen, der zunächst an den Gesundheitsfonds fließt. Der Gesundheitsfonds existiert heute bereits und verteilt die Beitragseinnahmen an die einzelnen gesetzlichen Kran­ken­kas­sen. Dem Konzept der Grünen zufolge sollen Privatversicherte einen Zuschuss vom Fonds für ihre PKV ausgezahlt bekommen – der etwa so hoch ist, wie die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds an die gesetzlichen Kassen.

Für den Kran­ken­ver­si­che­rungsbeitrag wollen die Grünen anders als bisher alle Einkommensarten heranziehen, auch Kapitalerträge und Mieteinnahmen. Das würde eine höhere finanzielle Belastung für einige Bürgerinnen und Bürger bedeuten. Allerdings soll ein Freibetrag gelten, bis zu dem zusätzliche Einkünfte nicht berücksichtigt werden. Außerdem soll es kein fiktives Mindesteinkommen mehr geben, wer kein oder nur ein geringes Einkommen hat, würde dementsprechend wenig für die Kran­ken­ver­si­che­rung zahlen.

Das Positionspapier der Grünen spricht sich außerdem dafür aus, den Wechsel von der privaten zurück in die gesetzliche Kran­ken­ver­si­che­rung zu erleichtern. Aktuell haben Menschen ab dem 55. Lebensjahr kaum noch Chancen, wieder in die GKV aufgenommen zu werden. Etwa wenn ihnen die PKV-Beiträge über den Kopf wachsen. Die Grünen möchten ein Ausgleichssystem aufbauen, durch das die Versicherten einen Teil der Altersrückstellungen mitnehmen können, wenn sie die PKV verlassen.

Die Linke

In ihrem Wahlprogramm 2021 fordert die Linke die Abschaffung der Trennung zwischen gesetzlicher und privater Kran­ken­ver­si­che­rung und möchte eine „solidarische Gesundheitsversicherung“ einführen. Auch die Pfle­ge­ver­si­che­rung soll eine Einheitsversicherung werden. Alle Bürgerinnen und Bürger zahlen diesem Konzept zufolge entsprechend ihrer gesamten Einkünfte Beitrag. Es würden also auch Kapital-, Mieteinnahmen und andere Einkünfte berücksichtigt. Dafür soll der Kran­ken­ver­si­che­rungsbeitrag von derzeit 14,6 auf 12 Prozent sinken und die kassenindividuellen Zusatzbeiträge abgeschafft werden. Zudem möchte die Partei die Leistungen der Bürgerversicherung ausweiten. So sollen etwa wieder mehr Kosten für Brillen, Medikamente und Zahnersatz übernommen werden.

Die Bei­trags­be­messungs­grenze für die Kranken- und Pfle­ge­ver­si­che­rung möchte die Linke abschaffen. Damit wären die Beiträge nicht mehr ab einem gewissen Einkommen gedeckelt.

Wer lehnt die Bürgerversicherung ab?

CDU/CSU, FDP, weite Teile der Ärzteschaft sowie die privaten Krankenversicherer sind sich einig: Die Bürgerversicherung ist eine schlechte Idee. Union und FDP sind der Meinung, dass sich das derzeitige Nebeneinander zweier Ver­si­che­rungssysteme bewährt hat. Sie fürchten, dass sich die Gesundheitsversorgung durch eine Bürgerversicherung verschlechtern könnte. Die FDP plädiert sogar dafür, geringere Hürden für den Eintritt in die PKV zu schaffen.

Der Verband der privaten Kran­ken­ver­si­che­rungsunternehmen spricht sich ebenfalls vehement gegen die Bürgerversicherung aus. Eine vom PKV-Verband und der Bundesärztekammer beauftragte Studie kommt zu dem Schluss, dass es mehr Nachteile als Vorteile habe, die höheren Arzthonorare bei der Behandlung von Privatpatienten abzuschaffen. Durch einheitliche Honorare für die Behandlung aller Versicherten gingen Ärzten und Krankenhäusern wichtige Einnahmen verloren. Diese Verluste müsste die Bürgerversicherung kostspielig ausgleichen oder die Gesundheitsversorgung in Deutschland drohe sich zu verschlechtern.

Wie lässt sich die Kran­ken­ver­si­che­rung jetzt schon optimieren?

Ob und wann die Bürgerversicherung kommt, ist unklar. Du kannst aber bereits jetzt Deine Kran­ken­ver­si­che­rung verbessern. Bist Du gesetzlich versichert, kann sich ein Kran­ken­kas­senvergleich lohnen. Zwar sind die Standardleistungen aller Kran­ken­kas­sen gleich, es gibt aber deutliche Unterschiede beim Beitrag, beim Service und bei freiwilligen Extra-Leistungen – etwa Zuschüssen für Zahnreinigung und Sportkurse.

Mehr dazu im Ratgeber Gesetzliche Kran­ken­ver­si­che­rung

  • Bei Service, Zusatzleistungen und Beitrag gibt es deutliche Unterschiede zwischen den Kran­ken­kas­sen.

  • Von uns emp­foh­lene Anbieter sind: HKK, TK, Audi BKK, HEK, Energie-BKK und Big direkt gesund

Ausführliche Informationen zur gesetzlichen Kran­ken­ver­si­che­rung findest Du in unserem Ratgeber. Mehr zur privaten Kran­ken­ver­si­che­rung kannst Du hier nachlesen.

Falls Du privatversichert bist und auf die Bürgerversicherung hoffst, weil Dir die Beiträge für Deine PKV über den Kopf wachsen, dann gibt es auch heute schon Möglichkeiten, die PKV-Kosten zu senken. Es kann sich zum Beispiel lohnen, Risikozuschläge in Deinem Vertrag überprüfen zu lassen oder über einen internen Tarifwechsel nachzudenken.

Autor
Julia Rieder

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